28-06-2009, 04:13
Danke, Mattheist, für diesen Thread.
Gefühle zu beschreiben ist nicht einfach in einem Forum. Ich versuche es trotzdem.
Der Mensch, den ich liebte und mit dem ich mein Leben verbringen wollte – ich war 17, der Mensch 18 – hat sich getötet, weil er den Sinn des Lebens nicht fand.
Ich bin danach in lauter Einzelmoleküle zersprungen, wie es mir vorkam, und ich konnte mich erst 13 Jahre später wieder zusammenbauen. In diesen 13 Jahren war ich, meiner Grundempfindung nach, innerlich taub.
Der Mensch, mit dem ich künstlerisch bis an mein Lebensende zusammenarbeiten wollte, ist Mitte 40 gestorben, an einer nicht zu heilenden Krankheit. Ich bin danach künstlerisch nie wieder auf die Beine gekommen.
Am schlimmsten war der Tod meiner Mutter, obwohl ich dadurch nicht aus der Bahn geworfen wurde. Aber mit ihr war der „Mutterboden“ weg, ich spürte zum ersten Mal ganz realistisch, dass ich selber ihr folgen werde.
Der bisher letzte Tod, und an dem reibe ich mich täglich, ist der meines Vaters. Ich frage mich jeden Tag, wo er jetzt ist, denn dass er nicht „weg“ sein kann, ist mir so sicher wie mein eigener Tod.
Ich glaube auch von mir selber nicht, dass ich irgendwie weg sein werde, aber so eine große Rolle spielt das für mich nicht. Ich war vor meiner Geburt ja auch nicht hier, und das scheine ich ja ganz gut überlebt zu haben…
Der Tod bekannter Persönlichkeiten, die ich zwar nicht persönlich kannte, die mir aber etwas bedeuteten, war der Mord an John F. Kennedy und mehr noch der Mord an Olof Palme.
Beide Regierungschefs hatten neue Wege zum Weltfrieden eingeleitet.
Völlig fertig gemacht hat mich die Niederschlagung des Aufstandes in Peking 1989. Fast 3000 Widerständler ermordet.
Das Geschehen diese und letzte Woche in Teheran erschien mir fast wie ein Déjà-vu. Ich sitze dann fassungslos vor meinen PC und weiß nicht, wo ich Trost hernehmen soll.
Meine eigenen Erfahrungen mit dem Verlust von geliebten Menschen haben mich überempfindlich gemacht für die Billgiung von Mord im Krieg oder kriegsähnlichen Zuständen.
Je älter ich werde, desto näher rückt mir die Nazizeit, die ich nicht mehr erlebt habe, aber mich mehr als jedes andere beeinflusst hat und mich immer mehr beeinflusst.
Ich lese – zum erstenmal traue ich mich das – Erfahrungsberichte und ideologische Analysen aus jener Zeit selbst, um wirklich zu verstehen, soweit menschenmöglich, wie im Laufe von sechs Jahren Weltkrieg 60 Millionen Menschen ermordet werden konnten und im Holocaust weitere 6 Millionen, und dass das so viele okay fanden und eifrig mitmachten.
Mir bricht da einfach das Menschenbild bei weg.
Mir fällt dazu Ida Ehre ein, die Hamburger jüdische Schauspielerin, die einmal das Gedicht „Sag nein“ von Wolfgang Borchert vor 25 000 Leuten gelesen hat, 1983.
Wolfgang Borchert starb 1947 mit 26 Jahren, und dieses Gedicht soll er kurz vor seinem Sterben noch versucht haben fertigzukriegen – er starb an den Folgen seines Soldatseins und vermutlich auch des Gefängnisses, in das man ihn gesteckt hatte, weil er Goebbels karikiert hatte.
Ich zitier mal den ersten – bekannteren - Teil des Gedichts:
Wolfgang Borchert (1921-1947)
Antikriegsmanifest
Dann gibt es nur eins!
Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen - sondern Stahlhelm und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und Kakao Schiesspulver verkaufen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie Dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Hasslieder singen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keinen Weizen mehr fahren - sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Schneider auf deinem Bett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, Du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Truppentransporter, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du am Hoangho und am Missisippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo - Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins:
Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!
Wolfgang Borchert, 1947
Gefühle zu beschreiben ist nicht einfach in einem Forum. Ich versuche es trotzdem.
Der Mensch, den ich liebte und mit dem ich mein Leben verbringen wollte – ich war 17, der Mensch 18 – hat sich getötet, weil er den Sinn des Lebens nicht fand.
Ich bin danach in lauter Einzelmoleküle zersprungen, wie es mir vorkam, und ich konnte mich erst 13 Jahre später wieder zusammenbauen. In diesen 13 Jahren war ich, meiner Grundempfindung nach, innerlich taub.
Der Mensch, mit dem ich künstlerisch bis an mein Lebensende zusammenarbeiten wollte, ist Mitte 40 gestorben, an einer nicht zu heilenden Krankheit. Ich bin danach künstlerisch nie wieder auf die Beine gekommen.
Am schlimmsten war der Tod meiner Mutter, obwohl ich dadurch nicht aus der Bahn geworfen wurde. Aber mit ihr war der „Mutterboden“ weg, ich spürte zum ersten Mal ganz realistisch, dass ich selber ihr folgen werde.
Der bisher letzte Tod, und an dem reibe ich mich täglich, ist der meines Vaters. Ich frage mich jeden Tag, wo er jetzt ist, denn dass er nicht „weg“ sein kann, ist mir so sicher wie mein eigener Tod.
Ich glaube auch von mir selber nicht, dass ich irgendwie weg sein werde, aber so eine große Rolle spielt das für mich nicht. Ich war vor meiner Geburt ja auch nicht hier, und das scheine ich ja ganz gut überlebt zu haben…
Der Tod bekannter Persönlichkeiten, die ich zwar nicht persönlich kannte, die mir aber etwas bedeuteten, war der Mord an John F. Kennedy und mehr noch der Mord an Olof Palme.
Beide Regierungschefs hatten neue Wege zum Weltfrieden eingeleitet.
Völlig fertig gemacht hat mich die Niederschlagung des Aufstandes in Peking 1989. Fast 3000 Widerständler ermordet.
Das Geschehen diese und letzte Woche in Teheran erschien mir fast wie ein Déjà-vu. Ich sitze dann fassungslos vor meinen PC und weiß nicht, wo ich Trost hernehmen soll.
Meine eigenen Erfahrungen mit dem Verlust von geliebten Menschen haben mich überempfindlich gemacht für die Billgiung von Mord im Krieg oder kriegsähnlichen Zuständen.
Je älter ich werde, desto näher rückt mir die Nazizeit, die ich nicht mehr erlebt habe, aber mich mehr als jedes andere beeinflusst hat und mich immer mehr beeinflusst.
Ich lese – zum erstenmal traue ich mich das – Erfahrungsberichte und ideologische Analysen aus jener Zeit selbst, um wirklich zu verstehen, soweit menschenmöglich, wie im Laufe von sechs Jahren Weltkrieg 60 Millionen Menschen ermordet werden konnten und im Holocaust weitere 6 Millionen, und dass das so viele okay fanden und eifrig mitmachten.
Mir bricht da einfach das Menschenbild bei weg.
Mir fällt dazu Ida Ehre ein, die Hamburger jüdische Schauspielerin, die einmal das Gedicht „Sag nein“ von Wolfgang Borchert vor 25 000 Leuten gelesen hat, 1983.
Wolfgang Borchert starb 1947 mit 26 Jahren, und dieses Gedicht soll er kurz vor seinem Sterben noch versucht haben fertigzukriegen – er starb an den Folgen seines Soldatseins und vermutlich auch des Gefängnisses, in das man ihn gesteckt hatte, weil er Goebbels karikiert hatte.
Ich zitier mal den ersten – bekannteren - Teil des Gedichts:
Wolfgang Borchert (1921-1947)
Antikriegsmanifest
Dann gibt es nur eins!
Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen - sondern Stahlhelm und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und Kakao Schiesspulver verkaufen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie Dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Hasslieder singen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keinen Weizen mehr fahren - sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Schneider auf deinem Bett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, Du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Truppentransporter, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du am Hoangho und am Missisippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo - Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins:
Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!
Wolfgang Borchert, 1947