02-12-2009, 14:08
(02-12-2009, 13:51)Ekkard schrieb: Es bleibt die Tatsache bestehen, dass jede Haltung den Texten gegenüber eine Eigenleistung des lesenden Menschen ist. Nichts davon ist vorgegeben und selbstverständlich.
Man kann als Christ nicht der Ansicht sein, dass Jesus nicht gekreuzigt wurde. Nur darüber, was diese Kreuzigung zu bedeuten hat, kann man streiten.
Die Deutung religiöser Texte hat selbst wiederum eine Tradition, die noch immer fortgesetzt wird. Es wird jungen Menschen beigebracht wie diese Texte zu verstehen sind oder zumindest wie man sie verstehen kann.
Der Lesende hat freilich eine Eigenleistung zu erbringen. Der sind aber textimmanente und kulturspezifische Grenzen gesetzt, die eine Willkürlichkeit der Deutung ausschließen.
Diese Grenzen zu verstehen bedeutet den Text in seiner Komplexität zu verstehen. Nichts anderes hat doch ein modernes Theologiestudium zu leisten, oder nicht?
Viel wichtiger ist aber der Punkt, dass unsere Kultur durch Tradition in einem bestimmten Rahmen festgelegt ist. Die oft aufgestellte Behauptung z.B., man könne statt an Jesus auch an die große Mama Kartoffel glauben, bewahrheitet sich nicht. In unserer Gesellschaft kann man nicht an die große Mama Kartoffel glauben, denn wer das tut gilt als verrückt. Allenfalls, wenn die geschaffene Vorstellung aussagekräftig ist, kann sie als Kunstwerk aufgefasst werden, aber wohl kaum als Religion.
Ob man an etwas glauben kann, ist also ein wichtiges Kriterium zur Bewertung und Deutung von Dingen, nicht nur eine Abwesenheit von Faktenwissen.