30-01-2010, 20:42
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 30-01-2010, 21:04 von Hikikomori.)
(30-01-2010, 19:00)Dornbusch schrieb: Hikkikomori, in Deutschland ist der Religionsunterricht das (einzige)Unterrichtsfach, das zu erteilen der Staat durch das Grundgesetz verpflichtet ist. Da dem Staat die Kompetenz (Trennung von Staat und Kirche) mangelt, Religionsunterricht selbst zu erteilen, bittet er die Kirchen, diese Aufgabe - unter staatlicher Aufsicht - zu übernehmen. Für die Kirchen stellt das eine große Belastung dar.
Wenn du also hier einen Missionierungsdrang sehen solltest, wäre die Bundesregierung der richtige Ansprechpartner für dein Anliegen.
Zum Atheismus. Dieser wird in der Schule nicht unterrichtet, studiert werden (als Disziplin) kann er auch nicht. Was bleibt mir anderes übrig, als die atheistischen Selbstbezichtigungen hier im Forum ernstzunehmen?
Aufklärung und Säkularisierung haben aber mit Atheismus nichts zu tun.
Was ich in der Schule über die Entstehung des Universums lernte? Als ich in der Schule war wurde von Astronomen und Physikern darüber diskutiert, wie die "Rotverschiebung" einiger Galaxien zu interpretieren sei. Urknall und schwarze Löcher erschienen erst viel später.
Gruß Dornbusch
Hier liegt meines Erachtens, und diese Ansicht vertreten auch einige streng laizistische Verfassungsrechtler, eine Verletzung des Grundgesetzes durch sich selbst beziehungsweise einiger wichtiger Maximen durch den Artikel 7 Absatz 3 vor, indem die Trennung von Kirche und Staat zu spät oder nicht umfänglich genug vorgenommen wurde. Zudem bleibt zweifelhaft wieso gerade der Religionsunterricht staatliche Förderung verdient, was leistet er denn für Deutschland? Vor allem was macht er besser als es ein Ethikunterricht oder eine neutrale Religionskunde nicht gleich gut oder besser könnte?
Der Religionsunterricht ist in Deutschland tatsächlich so geregelt wie Du es gesagt hast, aber das etwas in einem Gesetzbuch oder gar dem Grundgesetz steht oder stand bedeutet noch nicht das es supertoll sein muß, was einleuchtet wenn man sich ansieht wann der Sodomieparagraph entgültig aus dem Strafrecht gestrichen wurde. 1973 wurde die "Unzucht zwischen erwachsenen Männern" straffrei gestellt und erst 1994 wurde der letzte homophobe Einfluß aus dem verbliebenen Paragraphen 175 getilgt, der lautete:
§ 175
I. Ein Mann über achtzehn Jahre, der sexuelle Handlungen an einem Mann unter achtzehn Jahren vornimmt oder von einem Mann unter achtzehn Jahren an sich vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
II. Das Gericht kann von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn
1. der Täter zur Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war oder
2. bei Berücksichtigung des Verhaltens desjenigen, gegen den sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist.
Diesem Paragraphen war die Ansicht eines Bedarfes nach Rechtsgüterschutz unterlegt wonach ein junger Mann der Sex mit einem anderen jungen Mann hat, selbst wenn er einvernehmlich ist, das Recht des jeweils anderen auf sexuelle Entwicklung zu einem "natürlichen" heterosexuellen Mann behindern würde.
Eine absolut mittelalterliche Vorstellung, die sich trotzdem bis 1994!! hielt.
Zur Begründung wieso dieser Mißstand, der relativ offensichtlich ist, nicht behoben wurde hast Du selbst vorhin das stärkste Indiz geliefert. Ist doch "selbstverständlich". Sowas nenne ich unreflektierte Moral, oder wenn ich polemisch sein möchte Bauernmoral. "Es is so weils so is, frag net son Scheiß Bua." Wie es bei uns hieß.
Dasselbe Phänomen ist meiner Ansicht beim Art. 7 Abs. 3 GG zu beobachten, auch wenn der Schaden für die Entwicklung und freie Persönlichkeitsentfaltung durch die relativ hohe Sakularität hierzulande nicht so dramatisch ausfallen dürfte. Es sei denn man lebt im tiefsten Bayern auf dem Land, dann ist es sicher etwas spürbarer, oder man hat das Pech einem reaktionären, streng religiösem Haushalt anzugehören.
Der Gesetzgeber spricht den Kindern das Recht zu Religionsunterricht zu erhalten wenn er angeboten wird, laut Art. 7 Abs. 3 GG, und den Eltern das Recht die Religionszugehörigkeit selbst zu bestimmen und ihre Kinder vom staatlichen Unterricht fernzuhalten. Abgesehen davon was man davon hält das eine solche weitreichende Entscheidung von Eltern für ihre Kinder getroffen werden kann anstatt diese selbst entscheiden zu lassen sobald sie volljährig sind bricht der Staat seine eigenen Maximen nach der:
-"Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden." (Art. 140 Art. 136)
-"Der Staat muss um der "Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses" willen (GG Art.4) seine weltanschauliche Neutralität strikt wahren."
Und trotzdem ist es umstritten ob jeder Schüler das Recht hat daß sein spezieller Glaube auch angeboten wird, anstatt daß "Niemand darf gezwungen..." wörtlich genommen wird und auch auf unmündige Kinder ausgeweitet wird, zumindest in jeglicher öffentlichen Form wie es die Zurechnung zu einer Religionsgemeinschaft nunmal ist. Privat dürfen die Eltern sowieso tun was sie wollen.
Dadurch daß nur bestimmte Konfessionen als Unterrichtsfach angeboten werden bevorzugt der Staat aber auch aus organisatorischen und finanziellen Gründen verbreitete Religionen, und hilft ihnen zudem bei ihrer Verbreitung indem er ihnen erlaubt innerhalb seiner Insitutionen(Schulen) Lehrzeit darauf zu verwenden von Glaubensgemeinschaften geradezu beliebige Inhalte zu lehren. Und es ist zwar richtig das die Kirchen hier einen Beitrag leisten, aber der ist lächerlich im Vergleich zu den 15 Milliarden!!! die im Jahr 2002 für Subventionen wie Lehrergehälter und Steuererleichterungen draufgegangen sind. Alleine etwas über 6 Milliarden waren reine Zahlungen, also kein Steuerverzicht.
Damit kann man den Gesundheitssektor fast auf einen Schlag sanieren.
Wenn Eltern ihren Kinder Glaubenslehren beibringen wollen sollen sie sie in spezielle Schulen stecken, auf eigene Kosten, oder es ihnen selbst oder in einem gemeinschaftlichen Projekt beibringen lassen.
Zumindest solange die Kirchen nicht gegen das Gesetz verstoßen dürfen sie tun was sie wollen, was zudem schwer überprüfbar ist wie die Skandale um islamischen Lehrstoff gezeigt haben, bei dem erst nach langer Zeit aufflog daß einige islamische Lehrkräfte demokratie- und verfassungsfeindliche Ansichten vertraten, wie Theokratie und die Gehorsamspflicht von Frauen gegenüber Männern.
Selbst recht weit verbreitete Religionen werden nicht in allen deutschen Bundesländern angeboten, so sind beispielsweise beim Judentum private religiöse Schulen oder die Möglichkeit den Unterricht an öffentlichen Schulen zu erhalten nur in 5 Bundesländern verwirklicht oder geplant.
Vermutlich wegem "mangelndem Interesse".
Und natürlich wird Atheismus nicht unterrichtet, wenn Du etwas lernen willst kannst Du Dich ernsthaft mit Wissenschaft, Säkularismus, Humanismus, Logik oder zumindest Argumentationstheorie, Evolutionsbiologie und einem Rattenschwanz von anderen faszinierenden Dingen beschäftigen. Auch ohne Schule.
Dadurch wirst Du nicht zum Atheisten, aber Du würdest Dich in die Lage versetzen unsere Argumente zumindest nachvollziehen zu können, auch wenn Du sie nicht unterstützt, und ausserdem wärst Du locker in der Lage einen ganzen Haufen von falschen Gottesbeweisen, transzendentem Geschwafel und Scheinargumenten, von denen der Kreationismus beispielsweise nur so strotzt, als solche zu erkennen.
Wenn Du dann noch glauben willst hindert Dich nichts und niemand daran, aber Du würdest viel besser verstehen wovon "Atheisten" reden wenn sie "Argumente" von Gläubigen als Postulate und Zirkelschlüße zurückweisen.
Und würdest vielleicht einen anderen, "besseren" oder konsistenteren Zugang zu Glauben finden.

