03-02-2010, 19:32
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 03-02-2010, 19:56 von Hikikomori.)
(03-02-2010, 01:25)Ekkard schrieb: [...]
Ich gebe aber zu bedenken, dass die Gottesvorstellung ein Konsens unter Gläubigen ist, der seinerseits Grundlage von vielen gesellschaftlich relevanten, abgeleiteten Eigenschaften menschlicher Beziehungen ist: So werden zum Beispiel - unter Gläubigen - Nächstenliebe, Achtung, Barmherzigkeit, Bewahrung des Lebens, Würde, Gerechtigkeit durch die Gottesvorstellung definiert und legitimiert.
Für den Gläubigen ist Gott in dem Sinne Ursache von allem, wie man sich verantwortlich für Mitmenschen oder Umwelt fühlt, wie die Vorstellung Sinn und damit Halt vermittelt, wie sie uns zu Menschlichkeit und gegenseitiger Achtung führen will.
[...]
Bitte entschuldige wenn ich Deinen Beitrag streng genommen aus dem Kontext in dem Du ihn verfasst hast reiße. Aber ich möchte auf etwas hinweisen was mir in solchen Diskussionen immer wieder durch den Kopf geht und was meiner Ansicht nach viele Gläubige zuwenig bedenken und reflektieren.
Du sprichst von Gefühlen, wie das Gläubige oft tun, und das man diese Gefühle als Gläubiger teilweise mit Gott verbindet oder auf ihn zurückführt.
Mir ist kein unreflektiertes, "heiliges" Grundgefühl über meine Gefühle zu eigen, und ich will hier auch nicht behaupten daß Du oder andere hier nicht auch dazu in der Lage sind über ihre Gefühle nachzudenken und sie zu verstehen und sie damit auch unter Kontrolle zu bringen.
Aber ich glaube daß das viel zu oft eben nicht geschieht wenn man (manche) Gefühle unreflektiert als etwas gutes, gottgebenes hinstellt wie das leider bei Menschen, und nicht nur aber in zunehmenden Maße bei Gläubigen der Fall ist wie ich finde.
Man mag mir vorwerfen ich wäre zu "verkopft", und in gewisser Weise stimmt das auch. Es fällt mir schwerer als anderen Menschen meine Gefühle sozusagen mit mir durchgehen zu lassen, spontan zu sein. Man kann mich meiner Ansicht nach von aussen betrachtet mit Fug und Recht als langweilig(er) sehen als einen Mensch der seinen Gefühlen nicht solche Zügel anlegt wie ich das tue, sie nicht andauernd der Ratio preisgibt.
Aber es hat definitiv auch Vorteile das eben doch zu tun.
Ich finde Begriffe die diffuse Gefühle ausdrücken sollen wie "Nächstenliebe, Achtung, Barmherzigkeit, Bewahrung des Lebens, Würde, Gerechtigkeit" nicht so unproblematisch wie Du das hier zu tun scheinst. Mir ist dabei durchaus klar das Du, nach allem was ich bisher über Dich zu wissen glaube, auch nicht so naiv bist die Gefahren hinter diesen "heiligen" Dingen nicht zu sehen. Aber ich glaube daß das ungeheuer oft der Fall ist, weswegen ich das Postulat Gefühle wären gottgebenene Dinge und die fast zwangsläufigen Assoziationen und Implikationen, daß man aufgrund der Neigung des Menschen zum Dualismus sie in "immer Gut" und "immer Schlecht" einteilen könnte auch ohne die Situation in Bezug zu setzen, oder über das vermeintlich Gute müsse nicht reflektiert werden um Beispiele zu nennen, für sehr gefährlich halte.
Nehmen wir nur einmal Nächstenliebe. Das klingt zunächst wie eine unheimlich gute Sache. Aber nicht wenige Menschen nehmen das erste Wort wichtiger als das letzte, sehen nicht das eine "echte" Nächstenliebe eigentlich eine Fremdliebe sein müsste. Sie neigen dazu aufgrund der gottgegebenen Nächstenliebe beispielsweise auch dazu ein anderes "Gefühl", oder besser gefühltes Ideal zu überhöhen, Vergebung.
Ich habe in einem aktuellen Artikel über die Mißbrauchsfälle die gerade momentan publik werden und für Empörung sorgen etwas abscheuliches über Vergebung und ihre "Heiligkeit" gelesen.
Da wurde ein Junge in seiner Kindheit von einem Priester und einem weiteren Kirchenangestellten jahrelang sexuell mißbraucht. Nach Jahren, vermutlich lange nachdem er erwachsen geworden war und versuchte sein Leben zu bewältigen, wollte und konnte er nicht mehr schweigen, er klagte in seiner Gemeinde, vermutlich zuerst recht direkt an einen anderen Priester gerichtet, sein Schicksal an.
Daraufhin wurde er gebeten zu schweigen, bekam 25.000 Euro geboten wenn er die Sache auf sich beruhen ließe und als Zuckerl damals einen Brief vom Papst. Nachdem er diesem zuerst geschrieben hatte er könne nicht mehr schweigen, es würde ihn zerreißen das man ihn zwingen oder drängen wolle zu schweigen.
Was tat der Papst? Johannes Paul II fand es nicht angebracht sich auf die Seite des Leidenden zu stellen, ihm Kraft und Mut zuzusprechen, ihn aufzufordern sein Schicksal und damit vielleicht auch das Schicksal von anderen in Vergangenheit und Gegenwart zu enthüllen und vielleicht zukünftige Fälle zu verhindern. Er fand es nicht nötig sich auf die Seite der Opfer zu stellen.
Nein, er fand es wäre angebracht über seine Hoffnung zu schwabulieren er, das Opfer, möge Kraft für Vergebung finden. Das ist vernichtend für ein Opfer von Mißbrauch, denn es weist ihm eine Teilschuld zu, als wäre er zwar das Opfer aber es wäre seine göttliche Bestimmung zu vergeben, als hätte er in dieser Situation auch eine Verpflichtung darüber hinaus Hilfe in Anspruch zu nehmen und zu genesen soweit das möglich ist, und wenn dazu der so verachtenswerte Haß auf den Täter und das Verlangen nach Gerechtigkeit und Vergeltung dazugehören.
Das wäre sein Recht, das wäre in dieser Situation richtig gewesen, denn das Opfer hat sich nicht ausgesucht mißbraucht und verletzt zu werden, der Täter tat das, und damit muß er auch jeglichen Haß und jegliche Vergeltung sich selbst zuschreiben.
Sogar andere Opfer, ja ein Großteil der Gemeinde in der man schon früher immer wieder über sowas getuschelt hatte es aber nie laut auszusprechen wagte, griffen ihn darauf hin an. Als wäre ein Verbrechen laut auszusprechen auch ein Verbrechen.
So einfach wie es manche, ja sehr sehr viele Gläube hinstellen ist das Leben und unsere Gefühle nicht. Manche Menschen scheinen zwar in der Lage zu sein in einen Spiegel zu blicken und ihr Gesicht zu sehen, aber diesen Spiegel an ihrem Wesen, ihren Gefühlen und ihrem Innersten anzulegen, dazu sind viel zu viele nicht fähig.
Mir fallen bei Deinen anderen Werten auch Beispiele ein wie sie fehl am Platze oder gar schlechte Werte sein können, ich denke man muß hier tiefer und gründlicher darüber nachdenken, anstatt Gefühle die sich gut anfühlen und die sich gut anhören einfach als "heilig" anzusehen oder als "nichtstofflicher" Hinweis auf einen göttlichen Willen zu deuteln.
Nachtrag:
Ich finde den Platz in unseren Herzen und den Wert den Menschen Gott zumessen braucht er nicht. Die Menschen selbst bräuchten ihn. Das ist Humanismus so wie ich ihn begreife.