15-05-2010, 02:03
(14-05-2010, 20:19)humanist schrieb: Will nicht wieder meine Statistiken rauskramen. Tatsächlich sind die meisten der Konfessionslosen nichtgläubig.
Sie stellen den größten Teil der Bevölkerung, trennst du Katholische und Evangelische.
Weshalb Konfessionslose gruppiert sein müssen, um als Klientel der Politik zu gelten, erschließt sich mir nicht, sorry.
Die Statistik würde mich zwar interessieren, aber ich lasse das mal so stehen. Was Du sagst ist auch deshalb nicht schwer zu glauben, da wir ja auch von den neuen Bundesländern reden, in denen der prozentuale Anteil an Atheisten sicherlich relativ hoch sein wird.
Zum letzten Punkt: Das ist eigentlich ganz leicht zu verstehen, wenn man das Ganze nicht mehr aus einem ideologischen, sondern aus einem rein politisch-strategischen Blickwinkel betrachtet. Hast Du eine Organisation vor Dir, die eine ethische Grundlinie vorgibt und die von einem sehr hohen Anteil der Menschen getragen wird, (wie wir wissen nicht eine Mehrheit, aber ein großer Teil der Leute, einschließlich der Sympathisanten und Christen unter den Konfessionslosen), dann kannst Du leichter (wohlbemerkt: auch nicht leicht, wie wir an dem Käßmann-Problem Guttenbergs sehen) eine Politik zu deren Gunsten machen, die eine hohe Wahrscheinlichkeit trägt, von einem breiten Publikum akzeptiert zu werden. Du kannst christliche Themen auf populistische Weise adressieren und kannst Dir relativ sicher sein, dass eine Mehrheit der Christen Dir zustimmen. Aus Sicht einer auf die Demokratie abgestimmte Taktik ist dies Gold wert. Du hast eine Gruppierung, die sicherlich nicht für alle Christen spricht, aber für eine Mehrheit derselben. Wenn diese Mehrheit schwindet oder tatsächlich bedroht ist (hier habe ich keine konkreten bestätigten Zahlen, aber ich habe mal läuten hören, dass hier in NRW 16% der Mitglieder aufgrund der Mißbrauchsvorwürfe ausgetreten sein sollen), dann hast Du als eine Partei, die Christen ansprechen soll, ein neuerliches strategisches Problem. Du weißt nicht mehr genau, wo Du Dein Fähnchen platzieren sollst und ob ein Zugeständnis an die katholische Kirche eventuell unpopulär ist.
Und hier siehst Du das ganz große Problem bei Atheisten. Ein lebhaftes, nachvollziehbares Beispiel:
Wir beide sind Atheisten. Davon einmal abgesehen, sind wir grundverschieden. Du verfolgst eine idealistische, ethische Linie, die sich "Humanismus" nennt und in meinen Augen nur alter Wein in neuen Schläuchen ist. Du verfolgst eine ethische Grundlinie, die vergleichbar ist mit den Fundamenten des Christentums und der stoischen Linie. (Zumindest unterstelle ich das jetzt einfach mal; mein Wissen über die "Humanismus-Bewegung" ist sicherlich nicht profund, aber das ist mein Eindruck, den ich aus diversen Artikeln gewonnen habe. Korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liege). Du hast kein Problem, Dich einem Kollektiv, einer Herde anzuschließen, um diese Linie auf breiter Front zu repräsentieren und bist dahingehend sehr idealistisch und bereit, diese Ideale in die Gesellschaft zu tragen.
Ich hingegen bin alles andere als idealistisch. Ich bin ein Egoist. Von einer gemeingültigen Ethik halte ich nicht viel (um es vorsichtig auszudrücken), und Vereinsmeierei und Gleichmacherei, die mich im Grunde als eine Marionette im Kollektiv betrachtet, ist mir grundsätzlich zuwider. Ich rege mich so lange nicht über einen Mißstand auf, ehe er mich nicht betrifft. Es ist auch aus meiner Sicht bedauerlich, dass diese Gesellschaft noch keine weitreichenden laizistischen Züge angenommen hat, aber dieses Thema gibt für mich nicht so viel existentielle Qualität her, dass ich mich am Ende gar einer Bewegung anschließen und meine Zeit damit verschwenden würde, irgendwelchen Idealen hinterherzurennen, die schlußendlich allesamt in der Menschheitsgeschichte zwar gut gemeint waren, aber doch in der Regel mehr Mißstände als Vorteile kreiert haben.
Wir beide unterscheiden uns also fundamental voneinander. Wir mögen beide Atheisten sein, aber unsere Weltanschauung (die wesentlich schwerer wiegt als die Frage, ob wir an den großen Alten mit Rauschebart glauben oder nicht) ist gänzlich verschieden. Wie möchtest Du jetzt politisch-strategisch vorgehen, um eine Politik für uns beide zu machen? Sicherlich, wir wären beide damit einverstanden, dass Kreuze aus dem Klassenzimmer verbannt werden; aber das ist kein existentielles politisches Thema. Wie gehst Du in sozialpolitischen Fragen vor? In gesellschaftlichen Fragen? Du wärest, um bei der Schulgleichung zu bleiben, wahrscheinlich für einen Ethikunterricht, ich hielte das für schwachsinnig, so lange Philosophie unterrichtet wird.
Schlußendlich sind wir beide keine feste Gruppierung mit einer moralischen Leitlinie, an der man seine Politik strategisch ausrichten könnte. Darum haben Atheisten de facto keinen strategischen Wert für die Politik, deswegen werden sie selbst bei der FDP oder auch bei den Linken kaum taktisch angesprochen.
Sicherlich wäre es leichter, taktisch vorzukommen, wenn es eine große humanistische Organisation gäbe, die Deine Linie vertritt - aber de facto sind die bestehenden Organisationen noch viel zu klein, als dass jemand daran eine politisch Taktik festmachen könnte, um an Wählerstimmen zu gelangen. Und dann würde man damit immer noch nicht "die Atheisten" ansprechen, sondern "die Humanisten".
[/quote]Kurzum; Atheismus ist nicht dergestalt gruppierbar, dass er in einer Demokratie politisch-strategisch berücksichtigt werden könnte.
Zitat:Das war meine Meinung zu euren Aussagen, es ist halt Tradition in D, dass das Christentum Sonderrechte genießt, also friss es.
Ich kann Dein Denken durchaus nachvollziehen, aber das ändert ja nichts daran. Und der Einsiedler hat mit seiner Einschätzung sicherlich nicht Unrecht; um das aus den Köpfen der Leute herauszukriegen, wird es Jahrhunderte brauchen. Ich selbst gehe eher davon aus, dass die katholische Kirche sich in den folgenden Jahrzehnten wieder erholt. Flauten gab es in den letzten Jahrhunderten immer mal wieder. Das schmälert nicht den grundlegenden Erfolg dieser Organisation.