Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Kann religiöser Glaube Ausschließlichkeitscharakter haben?
Liebe Karla,
ich fange mal mit dem Wesen von Religion an. Das, was du da schreibst, entspricht meiner Erfahrung und Kenntnis nur zum Teil.
(28-08-2010, 17:21)Karla schrieb: () ich frage () danach, warum Religion definiert, was als wahr zu beurteilen ist. Das ist doch gar nicht ihr Wesen. Religiöse Wahrnehmung bedeutet zunächst mal einfach nur, mehr an Verstehen und Erleben oder an Fragestellungen in sich wahrzunehmen als normal. Das hat doch überhaupt nichts mit Wahrheit zu tun.
Ich verweise auf die Grundsatzdiskussion zum Thema „Wahrheit“ im Forum Philosophie. Die Religionslehren dieser Welt geben im Allgemeinen einen Mythos vor und einen Verhaltenskodex – schön vermischt, damit es nicht auffällt. Man kann sogar sagen, der Verhaltenskodex wird in mythischen Vorstellungen verpackt. (Petronius spricht vom Transzendenten.) Was du beschreibst, ist die Reaktion auf Religion, also Glaube. Ohne Religion wüssten wir überhaupt nicht, was als richtig und was als verwerflich zu gelten hat, oder was man tut, und was man besser bleiben lässt. Man kann dies verallgemeinern auf den Begriff der Verantwortlichkeit. Dadurch dass jemand an eine absolut vorgegebene transzendente Gestalt glaubt, wird er oder sie verantwortlich vor dieser Gestalt – im biblischen Gewand explizit genannt: vor Gott im Endgericht. Ein Kennzeichen unserer Gesellschaft ist Verantwortungslosigkeit. Wie kann man beispielsweise mit überdimensionierten Laserstiften auf Fahrzeug- oder Flugzeugführer zielen?

(28-08-2010, 17:21)Karla schrieb: Ich frage ja gerade danach, warum jemand zu so einer einfältigen Logik greift. Ein friedfertiger Mensch täte das einfach nicht. Er braucht keinen Sündenbock und keine Projektionsfläche für seine eigenen unerledigten Probleme.
Richtig; ich hatte auch nur ein Modell geschildert, wie ein Absolutheitsanspruch zustande kommt, wie wir ihn im (römischen) Katholizismus definitiv vorfinden. Die Logik habe ich mir in Vorträgen live angehört. Sie ist so simpel!
Deine Sündenbockvorstellungen mögen für einzelne Personen gelten, aber nicht für die Organisation „r.k. Kirche“

(28-08-2010, 17:21)Karla schrieb: Das kann man doch überprüfen: dass Religionsgemeinschaften nicht als Religionsgemeinschaften Absolutheitsanspruch erheben. Das ist doch historisch gar nicht richtig.
Aber sicher doch! Genau das müssen römisch katholische Christen ihrem Glauben gemäß vertreten. Jesu Tod ist die universelle Erlösungstat. Es gibt keine andere. Dies ist nicht einmal bös gemeint sondern heiliger Ernst, der in der Regel auch zu keinerlei Aggressionen Anlass gibt, obwohl andere Auffassungen verworfen werden.
(28-08-2010, 17:21)Karla schrieb: Und woran liegt es, dass es Zeiten gibt, wo keiner sich darum schert, was die andere Religion denkt oder auch nicht mit Absolutheitsanspruch winkt - und in den letzten zwanzig Jahren dieser Absolutheitsanspruch massiv gestiegen ist?
Moment, der Anspruch ist Bestandteil der Bibel, bestand also bereits „immer“. Dass der Anspruch wieder zunehmend vertreten wird, liegt am Zerfall der großen Religionsgemeinschaften zugunsten zunächst von Glaubenslosen, die zum Teil von Splittergruppen aufgesogen werden. M. E. hat das mit der Strenge und Enge dieser Gruppen zu tun. Es ist einfach so, dass vielen Menschen der Halt fehlt, die Wahrheit eben. Ich behaupte, eine solche Wahrheit gibt es nicht. Man kann nur in einem Akt der Konsensfindung solche Wahrheiten etablieren – und genau das macht die Bibel mehr oder weniger implizit, weil sie im Glauben als Wort Gottes angesehen wird.

(28-08-2010, 17:21)Karla schrieb: Hass ist vielleicht ein zu starkes Wort gewesen. Aber wenn man wie ich seit Jahren in einem Fundi-Forum mitliest, dann ist der sublimierte Hass gegeneinander mit Händen förmlich zu greifen. Der äußerlich sanfte Ton ist mit leisen Giftspritzen nur so angefüllt.
Es gibt sicher auch hassfreie Ansprüche, mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft die alleinige Wahrheit zu besitzen. Aber auch sie liegen nicht primär darin, dass Religionsgemeinschaften niemals ohne diesen Anspruch überleben könnten, sondern dass innere Unsicherheit nicht nur zu Hass führt, sondern auch zu anderen Verhaltensweisen.
Diese Beobachtung kann ich nur zur Kenntnis nehmen. „Innere Unsicherheit“ ist nicht eben das Merkmal streng gläubiger Menschen, sondern die sichere Überzeugung, die richtigen Prioritäten gesetzt zu haben. Ein tiefgläubiger Fundamentalist erlebt die Welt in fest gefügten Strukturen. Deswegen kann er sanft reagieren, mit stetigem Druck auf seine Mitmenschen, die Prioritäten ebenfalls genauso fundamental aufzurichten.

(28-08-2010, 00:52)Ekkard schrieb: Man muss schon genauer hinsehen, um zu erkennen, dass diese simple, aber offensichtliche Logik einen Denkfehler enthält: Dass nämlich eine religiöse Wahrheit nichts anderes ist als ein intersubjektiver Konsens der betreffenden Gesellschaft (Gemeinde, Kirche).

(28-08-2010, 17:21)Karla schrieb: Wir werden emotionale Beweggründe nicht mit rationalen Nachweisen aus der Welt schaffen können.
Nun, natürlich nicht! Es geht doch nur um eine Modellvorstellung, welche die Reaktion eines Fundamentalisten verständlich macht. Dessen subjektives Erleben kennen wir im Einzelnen gar nicht. Hier geht es darum, wie Fundamentalismus funktionieren könnte. Dass dabei auch eine psychische „Druckentlastung“ stattfinden kann, bestreite ich nicht. Klar, das Leben in einer Gemeinschaft mit klaren, eindeutigen Regeln ist einfacher als Teilnahme an unserer multikulturellen, offenen Gesellschaft!

(28-08-2010, 17:21)Karla schrieb: Und Leute, die solche inneren Spannungen haben, laufen in Religionsgemeinschaften und graben längst vergrabene Absolutheitsansprüche wieder aus, weil sie da ihre Aggressionen oder von mir aus auch Ängste austoben können.
Richtig; aber ich möchte dies weniger emotional aufgeladen betrachten. Dass eine Religionsgemeinschaft Abgrenzung nach Außen oder Absolutheitsansprüche ihrer Lehre brauchte, halte ich ebenfalls für ein unzutreffendes Gerücht. Die r.k. Kirche und eine Reihe von Erweckungsbewegungen haben diesen Anspruch aber nun mal. Ich war einfach der Frage nachgegangen, wie man sich vorstellen kann, wie das kommt. Und wenn man dies weiß, welche Argumente es dagegen gibt. Mein Hauptargument für Menschen guten Willens ist: Eine religiöse Wahrheit (bitte nicht missverstehen: Es gibt deren Hunderte!) gilt nur innerhalb der entsprechenden Konsensgemeinschaft.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Kann religiöser Glaube Ausschließlichkeitscharakter haben? - von Ekkard - 29-08-2010, 00:11

Möglicherweise verwandte Themen…
Thema Verfasser Antworten Ansichten Letzter Beitrag
  Theologe: Marienbild des Koran kann Frauen in Kirche versöhnen - katholisch.de Sinai 32 6285 05-09-2023, 16:41
Letzter Beitrag: Geobacter
  Nicht religiös bestimmter Glaube Reklov 304 87219 11-04-2023, 22:26
Letzter Beitrag: Ulan
  Glaube gegen (Natur)Wissenschaft Reklov 554 214991 16-01-2022, 12:42
Letzter Beitrag: Ulan

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 4 Gast/Gäste