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Pantheismus = atheistische Gottesvorstellung???
#16
(27-07-2011, 06:55)Tyko schrieb: Hat er sich denn gewandelt? natürlich gibt es beispiele von menschen, die sich als pantheisten bezeichneten, aber an einen theistischen gott glaubten(zb goethe) und damit eigentlich panentheisten waren.

Goethe ordne ich - ebenso wie Spinoza - dem immanent-transzendenten Pantheismus, nach dem sich Gott in den Dingen verwirklicht (dt. Idealismus, Schleiermacher, Eucken), zu.

Wo wäre Goethe mehr Theist als Spinoza?

Mit Gottesvorstellungen von Religionsgemeinschaften ist das Denken der "Pantheisten", mag sein mit Ausnahme der Vorstellungen von Karl Ch. F. Krause (Panentheismus), nicht kompatibel. Dazu herrscht, nehme ich an, Übereinstimmung?
MfG B.
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#17
(27-07-2011, 09:23)Bion schrieb:
(27-07-2011, 06:55)Tyko schrieb: Hat er sich denn gewandelt? natürlich gibt es beispiele von menschen, die sich als pantheisten bezeichneten, aber an einen theistischen gott glaubten(zb goethe) und damit eigentlich panentheisten waren.

Goethe ordne ich - ebenso wie Spinoza - dem immanent-transzendenten Pantheismus, nach dem sich Gott in den Dingen verwirklicht (dt. Idealismus, Schleiermacher, Eucken), zu.

Wo wäre Goethe mehr Theist als Spinoza?

Mit Gottesvorstellungen von Religionsgemeinschaften ist das Denken der "Pantheisten", mag sein mit Ausnahme der Vorstellungen von Karl Ch. F. Krause (Panentheismus), nicht kompatibel. Dazu herrscht, nehme ich an, Übereinstimmung?

als immanent-transzendent ist der panentheismus definiert, der pantheismús beinhaltet nicht den glauben an einen transzendenten gott. wo in spinozas schriften findet sich soetwas? spinoza setzt gott gleich der natürlichen welt und glaubt nicht an einen theistischen gott.
panentheismus wie bei goethe erkennt den theistischen gott in der natur und würdigt seine schöpfung, das ist sehr weit vom pantheismus entfernt.
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#18
(27-07-2011, 12:04)Tyko schrieb: spinoza setzt gott gleich der natürlichen welt und glaubt nicht an einen theistischen gott.

Dazu sind wir uns einig.

Darüber hinaus habe ich das bisher folgendermaßen gesehen:

1. der theomonistische Pantheismus behauptet, dass allein Gott besteht und hebt somit die Eigenexistenz der Welt auf (Akosmismus).

2. der physiomonistische Pantheismus behauptet, dass alleine die Welt, die Natur besteht und hebt damit die Existenz (des personlichen) Gottes auf.

3. der transzendente (mystische) Pantheismus (Panentheismus), dem das Denken Meister Eckharts, Jakob Böhmes, Angelus Silesius', Karl Ch. F. Krauses zuzuordnen ist.

4. der immanent-transzendente Pantheismus, nach dem sich Gott in den Dingen verwirklicht (Spinoza, dt. Idealismus, Goethe, Schleiermacher, Eucken).

Literatur:
G. B. Jäsche, Der Pantheismus in seinen verschiedenen Hauptformen (1826-1832)
W. Dilthey, Der entwicklungsgeschichtl. Pantheismus (in den Ges. Schriften II, 1921)



M. Gessmann, Philosophisches Wörterbuch, S. 536, 537:

Panentheismus (v. griech. pan en theoi, >alles in Gott<), auf K. C. F. T Krause zurückgehende Bezeichnung für die Behauptung der Immanenz der Welt in Gott. Krause verstand den Panentheismus als Alternative zum von ihm kritisierten Pantheismus, in dem nach seiner Überzeugung Gott und Welt in problematischer Weise identifiziert werden.

Literatur: K. C. F. Krause, Vorlesungen über das System der Philos., 1828; Ders., Vorlesungen über die Grundwahrheiten der Wissenschaft, 1829.

Pantheismus (v. griech. pan, >alles<, u. theos, >Gott<), Kennzeichnung für philos. Lehren, die die Identität Gottes mit der Welt behaupten und damit die vom Theismus vertretene selbständige Existenz des Göttlichen bestreiten. Der Ausdruck wurde im frühen 18. Jh. im Anschluss an J. Tolands Bekenntnis, ein »Pantheist« zu sein, von dem niederl. Theologen J. de la Faye in seiner Schrift defencio religionis (1709) geprägt. Philos. prominent wurde der Pantheismus durch die Wirkungsgeschichte von B. d. Spinozas Ethik, die insbes. F. H. Jacobi dem Pantheismus zurechnete. Durch die von ihm ausgelöste Debatte, den sog. »Spinozismusstreit«,), an der sich u. a. J. W. v. Goethe, J. G. Hamann, J. G. Herder und E. Kant beteiligten, wurde der P. zu einem zentralen Problem, mit dem sich v. a. die Vertreter des deutschen Idealismus auseinanderzusetzen hatten.

Literatur: K. Christ, Jacobi und Mendelssohn. Eine Analyse des Spinozastreits, 1988; B. Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, 2000.
MfG B.
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#19
(27-07-2011, 12:46)Bion schrieb:
(27-07-2011, 12:04)Tyko schrieb: spinoza setzt gott gleich der natürlichen welt und glaubt nicht an einen theistischen gott.

Dazu sind wir uns einig.

Darüber hinaus habe ich das bisher folgendermaßen gesehen:

1. der theomonistische Pantheismus behauptet, dass allein Gott besteht und hebt somit die Eigenexistenz der Welt auf (Akosmismus).

2. der physiomonistische Pantheismus behauptet, dass alleine die Welt, die Natur besteht und hebt damit die Existenz (des personlichen) Gottes auf.

3. der transzendente (mystische) Pantheismus (Panentheismus), dem das Denken Meister Eckharts, Jakob Böhmes, Angelus Silesius', Karl Ch. F. Krauses zuzuordnen ist.

4. der immanent-transzendente Pantheismus, nach dem sich Gott in den Dingen verwirklicht (Spinoza, dt. Idealismus, Goethe, Schleiermacher, Eucken).

Literatur:
G. B. Jäsche, Der Pantheismus in seinen verschiedenen Hauptformen (1826-1832)
W. Dilthey, Der entwicklungsgeschichtl. Pantheismus (in den Ges. Schriften II, 1921)



M. Gessmann, Philosophisches Wörterbuch, S. 536, 537:

Panentheismus (v. griech. pan en theoi, >alles in Gott<), auf K. C. F. T Krause zurückgehende Bezeichnung für die Behauptung der Immanenz der Welt in Gott. Krause verstand den Panentheismus als Alternative zum von ihm kritisierten Pantheismus, in dem nach seiner Überzeugung Gott und Welt in problematischer Weise identifiziert werden.

Literatur: K. C. F. Krause, Vorlesungen über das System der Philos., 1828; Ders., Vorlesungen über die Grundwahrheiten der Wissenschaft, 1829.

Pantheismus (v. griech. pan, >alles<, u. theos, >Gott<), Kennzeichnung für philos. Lehren, die die Identität Gottes mit der Welt behaupten und damit die vom Theismus vertretene selbständige Existenz des Göttlichen bestreiten. Der Ausdruck wurde im frühen 18. Jh. im Anschluss an J. Tolands Bekenntnis, ein »Pantheist« zu sein, von dem niederl. Theologen J. de la Faye in seiner Schrift defencio religionis (1709) geprägt. Philos. prominent wurde der Pantheismus durch die Wirkungsgeschichte von B. d. Spinozas Ethik, die insbes. F. H. Jacobi dem Pantheismus zurechnete. Durch die von ihm ausgelöste Debatte, den sog. »Spinozismusstreit«,), an der sich u. a. J. W. v. Goethe, J. G. Hamann, J. G. Herder und E. Kant beteiligten, wurde der P. zu einem zentralen Problem, mit dem sich v. a. die Vertreter des deutschen Idealismus auseinanderzusetzen hatten.

Literatur: K. Christ, Jacobi und Mendelssohn. Eine Analyse des Spinozastreits, 1988; B. Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, 2000.

den in punkt 4 deiner aufzählung beschriebenen pantheismus kenne ich nur als panentheismus und ich sehe nicht, warum spizoza ihm angerechnet werden sollte. dafür fehlt in spizozas gottesbild die transzendenz gottes zur natürlichen welt.

sonst stimme ich dir in allen punkten zu. spinoza war also atheist und auch sein pantheismus, auf den sich die meisten beziehen, die diesen begriff nutzen ist atheistisch.
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#20
(27-07-2011, 20:23)Tyko schrieb: den in punkt 4 deiner aufzählung beschriebenen pantheismus kenne ich nur als panentheismus und ich sehe nicht, warum spizoza ihm angerechnet werden sollte. dafür fehlt in spizozas gottesbild die transzendenz gottes zur natürlichen welt.

sonst stimme ich dir in allen punkten zu. spinoza war also atheist und auch sein pantheismus, auf den sich die meisten beziehen, die diesen begriff nutzen ist atheistisch.

Im Wesentlichen stimmen wir überein.

Der Begriff "immanent-transzendente Pantheismus" wurde von Jäsche (ich glaube erstmals) verwendet, um Spinozas unpersönlichen Gott, vom persönlichen Gott Krauses abzugrenzen.

Nach Krause war die Welt nur ein Teil des persönlichen Gottes seiner Vorstellung. Spinozas (unpersönlicher) Gott ist die Summe allen Seins.

Ein paar Worte noch zu Goethe:

Im 18. Jh. war der Vorwurf, Atheist zu sein, mit der Gefahr der gesellschaftlichen Ächtung verbunden. Daher traf der Vorwurf, den Jacobi Spinoza machte, Goethe, der sich mit Spinozas Ethik seit 1774 beschäftigte und sich als sein "leidenschaftlicher Schüler" und "entschiedener Verehrer" bezeichnete, persönlich (erwähnt in: Goethes sämtl. Werke, Zürich 1949, Artemis-Verl., Bd. 17, S. 945f.).

Am 9. Juni 1785 schrieb Goethe an Jacobi einen Brief aus Karlsbad, in dem er, Jacobi entgegnend, Spinoza nicht atheum, sondern theissimum nennt und dazu erläuternd bemerkte: Auch ich… suche das Göttliche in herbis et labidibus (erw. Goethe, Sämtl Werke, Bd. 18, S. 463).
MfG B.
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#21
(27-07-2011, 22:16)Bion schrieb: Nach Krause war die Welt nur ein Teil des persönlichen Gottes seiner Vorstellung. Spinozas (unpersönlicher) Gott ist die Summe allen Seins.

Das geht aus der Ethik nicht hervor und ist vielleicht interpretationssache.
das restliche werk spinozas habe ich leider noch nicht lesen können, mir erschien es aber, als ob spinoza keine übernatürlichen erscheinungen in seinen gottesbegriff fasse, sondern lediglich die ideen von solchen.

die eingangsfrage ist hiermit dann wohl auch geklärt.
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#22
(27-07-2011, 22:24)Tyko schrieb: die eingangsfrage ist hiermit dann wohl auch geklärt.


Was ist geklärt? Wo wurde etwas geklärt? Wie wurde es geklärt?

Ich bin leider nicht so schnell. Von mir kommt noch was. Ich musste erst Sachen durchlesen.

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#23
(27-07-2011, 22:24)Tyko schrieb:
(27-07-2011, 22:16)Bion schrieb: Nach Krause war die Welt nur ein Teil des persönlichen Gottes seiner Vorstellung. Spinozas (unpersönlicher) Gott ist die Summe allen Seins.
Das geht aus der Ethik nicht hervor und ist vielleicht interpretationssache.

Ich stelle einmal vor, was der von uns gleichermaßen verehrte Spinoza zur Erkenntnis des absoluten unendlichen Seins gedacht hat, wofür Ethik, 1. Teil, Lehrsatz 14, denke ich, repräsentativ ist:

Axiom 1:
Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem anderen.
Axiom 3:
Aus einer gegebenen bestimmten Ursache folgt notwendig eine Wirkung; und umgekehrt, wenn keine bestimmte Ursache gegeben ist, kann unmöglich eine Wirkung erfolgen.
Axiom 4:
Die Erkenntnis der Wirkung hängt von der Erkenntnis der Ursache ab und schließt diese ein.
Axiom 5:
Dinge, die nichts miteinander gemein haben, können auch nicht wechselseitig auseinander erkannt werden, oder der Begriff des einen schließt den Begriff des anderen nicht ein.
Axiom 6:
Eine wahre Idee muss mit ihrem Gegenstand übereinstimmen.
Axiom 7:
Was nicht existent Begriffen werden kann, dessen Wesen schließt die Existenz nicht ein.


Lehrsatz 14

Außer Gott kann es weder eine Substanz geben, noch kann eine begriffen werden.

Beweis:

Da Gott das absolut unendliche Seiende ist, an dem kein Attribut, welches das Wesen der Substanz ausdrückt, verneint werden kann (nach Definition 6**), und da er notwendig existiert (nach Lehrsatz 11***), so müsste, wenn es eine Substanz außer Gott gäbe, diese durch irgendein Attribut Gottes ausgedrückt werden, und so wären zwei Substanzen von gleichem Attribut vorhanden, was (nach Lehrsatz 5*) widersinnig wäre. Somit kann es keine Substanz außer Gott geben, und folglich kann eine solche auch nicht begriffen werden. Denn könnte eine solche begriffen werden, so müsste sie notwendig als existierend begriffen werden, was aber (nach dem ersten Teil dieses Beweises) widersinnig ist. Folglich kann außer Gott keine Substanz vorhanden sein noch begriffen werden.

Zusatz 1

Hieraus folgt aufs deutlichste erstens, dass Gott einzig ist, d. h. (nach Definition 6**) dass es in der Natur nur eine Substanz gibt und dass dieselbe absolut unendlich ist, wie in der Anmerkung zu Lehrsatz 10 bereits angedeutet wurde.

Zusatz 2

Es folgt hieraus zweitens, dass das ausgedehnte Ding und das denkende Ding entweder Attribute Gottes sind oder (nach Axiom 1) Affektionen der Attribute Gottes.

*Lehrsatz 5

In der Natur der Dinge kann es nicht zwei oder mehrere Substanzen von gleicher Beschaffenheit oder von gleichem Attribut geben.


Beweis:

Gäbe es mehrere verschiedene Substanzen, so müssten sie sich entweder durch die Verschiedenheit der Attribute oder durch die Verschiedenheit der Affektionen voneinander unterscheiden (nach dem vorigen Lehrsatz). Wenn bloß durch die Verschiedenheit der Attribute, so wird damit zugestanden, dass es nur eine Substanz von gleichen Attributen gibt. Wenn aber durch die Verschiedenheit der Affektionen: da die Substanz von Natur früher ist als ihre Affektionen (nach Lehrsatz l),wird sie, von ihren Affektionen abgesehen und für sich betrachtet, d. h. (nach Definition 3 und Axiom 6) richtig betrachtet, als von einer anderen unterschieden nicht begriffen werden können, d. h. (nach dem vorigen Lehrsatz), es kann nicht mehrere Substanzen geben, sondern nur eine.

**Lehrsatz 6

Eine Substanz kann von einer anderen Substanz nicht hervorgebracht werden.

Beweis:

In der Natur der Dinge kann es nicht zwei Substanzen von gleichem Attribut geben (nach dem vorigen Lehrsatz), d. h. (nach Lehrsatz 2) die etwas miteinander gemein haben. Darum kann (nach Lehrsatz 3) die eine nicht die Ursache einer anderen sein oder von einer anderen hervorgebracht werden.

Zusatz:

Hieraus folgt, dass eine Substanz nicht von etwas anderem hervorgebracht werden kann. Denn in der Natur der Dinge gibt es nichts als Substanzen und deren Affektionen, wie sich aus Axiom l und den Definitionen 3 und 5 ergibt. Von einer Substanz aber kann sie nicht hervorgebracht werden (nach dem vorigen Lehrsatz). Folglich kann eine Substanz überhaupt nicht von etwas anderem hervorge-bracht werden.

***Lehrsatz 11:

Gott oder die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen jedes ein ewiges und unendliches Wesen ausdrückt, existiert notwendig.

Beweis:


Bestreitet man das, so nehme man an, wenn man kann, es schließt also (nach Axiom 7) sein Wesen seine Existenz nicht ein. Nun ist aber das nach Lehrsatz 7 (= "Zur Natur der Substanz gehört das Existieren") widersinnig. Also existiert Gott notwendig.

Die Texte der anderen Lehrsätze, auf die verwiesen wird, liefere ich auf Wunsche gerne nach.
MfG B.
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#24
(27-07-2011, 22:16)Bion schrieb: Nach Krause war die Welt nur ein Teil des persönlichen Gottes seiner Vorstellung. Spinozas (unpersönlicher) Gott ist die Summe allen Seins.

ich weiss zurückblickend wirklich nciht warum, aber ich habe das markierte "seiner" auf spinoza bezogen und damit allem einen völlig anderen sinn verliehen. anstatt einer gegenüberstellung habe ich es also als beschreibung vom spinozas pantheismus verstanden. das hat man dann vom unachtsamen lesen...
danke trotzdem für den schönen ausschnitt aus der ethik :)

was mir aber noch unklar ist, ist die von dir, oder zumindest von deinen quellen beschriebene transzendenz des spinozistischen gottes.
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#25
(27-07-2011, 09:00)Bion schrieb: Dass Spinoza, wenn er über Gott nachgedacht hat, keinen persönlichen Gott, wie er von Religionsgemeinschaften (vielleicht mit Ausnahme einiger buddhistischer Gemeinschaften) angenommen wird, vor Augen hatte, geht aus seinen Texten meiner Meinung nach eindeutig hervor.


Auch nach meiner Meinung geht das eindeutig aus seiner "Ethik" hervor. Er hatte in diesem Werk selbstverständlich keinen persönlichen Gott hergeleitet. Er hat seine ganze Argumentation auf eine andere Gottesvorstellung aufgebaut. Wie dieser Gott für ihn beschaffen ist, hat er in aller Gründlichkeit dargelegt.

Also ist er kein Atheist, denn ein Atheist baut seine Philosphie nicht auf dem Begriff "Gott" auf.


(27-07-2011, 09:00)Bion schrieb: Spinozas Gottesvorstellung war eine pantheistische.


Der Begriff Pantheismus ist erst lange nach Spinoza entstanden.
Für mich zählt erst einmal sein Werk, das ich genau lese. Und ein Werk als atheistisch zu bezeichnen, dass so durch und durch auf der Basis eines definierten Gottesbegriffes ruht, ist für mich nicht einsehbar.


(27-07-2011, 09:00)Bion schrieb: Spinozas Der Vorwurf, Spinozist zu sein, war zu Lessings, Jacobis und Mendelssohns Zeiten mit dem Vorwurf identisch, Atheist zu sein.


Ein Vorwurf, gegen den sich Spinoza vehement gewehrt hat.

Auch der Begriff "Atheist" hatte damals nicht den heutigen Sinn. Der Vorwurf, Atheist zu sein, war gleichbedeutend mit Häretiker, Ketzer.

Auch Meister Eckhart wurde - aus ganz ähnlichen Gründen wie Spinoza - als Häretiker angesehen, da auch er unter Gott etwas verstand, was allem zugrunde lag. Das war nicht biblisch in den Augen der damaligen Kirche, und auch Spinozwas Gottesbegriff entsprach nicht dem der damaligen Christen.

Ich komme später noch darauf zurück. Spinoza sagte, dass er wie die alten Hebräer dachte. Er war wie die heutigen historisch-kritischen Bibelforscher kritisch dem - wie man heute sagen würde - evangelikalen Bibelglauben gegenüber. Heutige Theologen, die ähnlich kritisch sind, sind aber keine Atheisten, auch wenn die Evangelikalen sie für verworfen halten.

Wer keinen personalen Gott hat, sondern einen anderen, ist darum kein Atheist. Das passt nich zu dem Verständnis von Atheismus zusammen. Ein Atheist lehnt die Existenz Gottes ab. Das tut Spinoza nicht, sondern im Gegenteil: Gott ist für ihn allgegenwärtig, in allem enthalten.

Und darin überschneidet er sich mit Ekkehard.



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#26
Auch wenn ich grundlegend anderer Meinung bin als Ihr, sehe ich das als eine gute Herausforderung für mich, mich gründlicher mit Spinoza - und auch seiner Rezeption - auseinanderzusetzen als ich es bisher getan habe.

Jedenfalls gedenke ich meine Position zu begründen.
Ich kann allerdings nur hoffen, dass hier kein Anspruch auf absolute Wahrheit erhoben wird, denn dann kann ich auch in Fundi-Foren gehen.

Ich erwarte, dass man mehrere Möglichkeiten der Deutung akzeptiert.

Für heute stütze ich mich auf die rororomonographie über Spinoza, deren 1970er Auflage ich im Bücherregal habe. Autor ist Theum de Vries.

Diese Monographie wird noch heute aufgelegt, und offenbar seit 1970 unverändert.
*http://www.amazon.de/Spinoza-Selbstzeugnissen-Bilddokumenten-Theun-Vries/dp/3499501716/ref=sr_1_11?s=books&ie=UTF8&qid=1311810677&sr=1-11


Ich zitiere aus dieser Monographie erst einmal Folgendes:

Zitat:Man schalt Spinoza zu seiner Zeit einen Atheisten, und später erklärte man ihn zum Atheisten par excellence. Als der Utrechter Professor Lambert van Velthuysen ihn auch in einem Brief an einen gemeinsamen Bekannten des Atheismus bezichtigte, wies Spinoza diese Beschuldigung weit von sich und schrieb an den betreffenden Bekannten: Zuerst sagt er, es sei von geringem Belang, zu wissen, welchem Volk ich angehöre oder welche Lebensweise ich führe. Wenn er es freilich gewusst hätte, dann wäre er nicht so leicht zu der Überzeugung gekommen, ich lehre den Atheismus. Denn Atheisten streben ja gewöhnlich übermäßig nach Ehren und Reichtümern; ich aber habe diese, wie alle wissen, die mich kennen, immer verachtet. Dann sagt er weiter, um sich zu seinem Ziele den Weg zu bahnen, ich sei kein beschränkter Kopf, damit er so leichter glauben machen kann, ich hätte schlau und verschlagen und böswillig für die grundschlechte Sache der Atheisten gesprochen. Das zeigt schon zur Genüge, dass er meine Gründe gar nicht verstanden hat. 43.
Brief. "Spinoza: Briefwechsel." Übertr. u. hg. von Carl Gebhardt. Leipzig 1914, S. 193-194.

Zweifellos hat Spinoza hier bei seiner Beschreibung der Atheisten an die französischen Libertins gedacht, für die eine Verbindung von Unglauben, scharfsinnigem Intellektualismus, hohen Ämtern und ungezügleter Wollust das A und O des Lebens war. Ein Atheist in diesem Sinne ist Spinoza nie gewesen (...)
de Vries, S. 45.

Dieses Zitat habe ich vor allem darum gebracht, um zu zeigen, dass mit dem damaligen Atheismus-Vorwurf zumindest in diesem Fall nicht das gemeint ist, was wir heute unter Atheismus verstehen.

Weiter:

Lambert van Velthuysen hat in einem Brief an Jacob Ostens Spinoza "des hinterhältigen Atheismus" beschuldigt; Osten aber, ein guter Freund von Spinoza, schickte ihm diesen Brief, und Spinoza

Zitat:wies alle Beschuldigungen weit von sich, vor allem Van Velthuysens Annahme, ich nehme Gott die Freiheit und unterwerfe ihm dem Fatum... Das ist vollkommen falsch. Denn ich habe behauptet, alles folgt mit unvermeidbarer Notwendigkeit aus der Natur Gottes, genauso wie alle behaupten, aus der Natur Gottes folge, dass er sich selbst erkennt..
42. und 43. Brief

de Vries, S. 115

Und noch ein Zitat, direkt von Spinoza:

Zitat:Ich behaupte eben, dass alles in Gott lebt und webt, geradeso wie Paulus und vielleicht auch alle antiken Philosphen, wenn auch in anderer Weise, und ich darf wohl auch sagen, wie alle alten Hebräer.
73. Brief

de Vries, S. 147

Über diese hier zitierte Stelle gibt es jetzt zufällig andernortes einen Thread hier im Forum.
Es wird kaum jemand auf die Idee kommen. Paulus Atheismus zu unterstellen, nur weil er hier pantheistische Ideen mitträgt.



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#27
(28-07-2011, 03:58)Karla schrieb: Auch wenn ich grundlegend anderer Meinung bin als Ihr, sehe ich das als eine gute Herausforderung für mich, mich gründlicher mit Spinoza - und auch seiner Rezeption - auseinanderzusetzen als ich es bisher getan habe.
[...]

Niemand erhebt hier einen absoluten wahrheitsanspruch, keine angst.
ich glaube, dass dein problem mit meiner aussage nur auf deiner etwas seltsamen definition von atheismus beruht.
der atheismus bezieht sich nur auf den theistischen gott.
wenn jemand nicht an einen theistischen gott glaubt ist er atheist(nicht-theist)

spinozas eigene äusserung zum thema ist nicht wirklich ein argument, da sich die vorstellung vom atheismsu seit jener zeit stark gewandelt hat, wie du auch schon erklärt hast.

paulus aussage ist nicht pantheistisch, sondern panentheistisch. er glaubt ganz offensichtlich an einen theistischen gott und erkennt diesen in der schönheit der natur wieder.


"Also ist er kein Atheist, denn ein Atheist baut seine Philosphie nicht auf dem Begriff "Gott" auf."

auch diese aussage ist wieder nur mit deiner definition des atheismus zu erklären, im grunde sind wir der selben meinung zu spinoza,verwenden aber unterschiedliche definitionen.

wenn wir nun atheismus ( und das ist eigentlich üblich) als fehlen des theismus definieren, macht das jeden pantheisten, agnostiker und deisten zum atheisten.
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#28
Karla schrieb:Er hatte in diesem Werk selbstverständlich keinen persönlichen Gott hergeleitet.

Das (und nicht mehr) hatte ich behauptet. Nur sehe ich auch keinen Grund zu widersprechen, wenn diese Position (eine unpersönliche Gottheit zu beschreiben) als Nichttheistisch verstanden wird.

Zitat:Der Begriff Pantheismus ist erst lange nach Spinoza entstanden.

Was, wie aus meinem Beitrag Nr. 18 hervorgeht, von mir bereits angemerkt und nicht in Zweifel gezogen wurde.

Der Pantheismus hat begriffsgeschichtlich im 18. Jh seinen Anfang genommen.

Und danach hat man mit Zuordnungen begonnen und Parmenides, Plotin, Albertus Magnus, Meister Eckhart, Bruno, Spinoza, Goethe, um ein paar große Namen zu nennen, zu Pantheisten erklärt.

Zitat:Es wird kaum jemand auf die Idee kommen. Paulus Atheismus zu unterstellen, nur weil er hier pantheistische Ideen mitträgt.

Paulus hat "pantheistische Ideen" nicht mitgetragen, sondern rhetorisch eingesetzt, als es ihm opportun erschien.

"Pantheistische Splitter" sind im NT einige auszumachen.
MfG B.
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#29
Tyko schrieb:was mir aber noch unklar ist, ist die von dir, oder zumindest von deinen quellen beschriebene transzendenz des spinozistischen gottes.

Das ist, meine ich, u.a. dem Beweis, den beiden Zusätzen und der Anmerkung zum Lehrsatz I, 17 zu entnehmen.

Auch in den Briefen Spinoza geht dazu einiges hervor.

Ethik, I, 17 (Anmerkung):

[…] Daher ist der Verstand Gottes, insofern als er das Wesen Gottes ausmachend begriffen wird, in Wahrheit die Ursache aller Dinge, sowohl ihres Wesens als auch ihrer Existenz;… […]

Da also der Verstand Gottes die einzige Ursache der Dinge ist, nämliche (wie ich gezeigt habe) sowohl ihres Wesens als auch ihrer Existenz, so muss er selbst notwendig von den Dingen verschieden sein, sowohl hinsichtlich ihres Wesens als auch ihrer Existenz. […]


Im April 1663 schreibt er an Ludwig Meyer:

[…] Die Affektion der Substanz nenne ich Modi; ihre Definition kann, sofern sie nicht Definition der Substanz selber ist, keine Existenz in sich schließen. Darum können wir sie auch, wenn sie gleich existieren, doch als nicht existent denken. […] Daraus geht klar hervor, dass wir die Existenz der Substanz durchaus verschieden von der Existenz der Modi denken. Daher kommt der Unterschied von Ewigkeit und Dauer. Unter dem Begriff der Dauer können wir nämlich nur die Existenz der Modi erklären, die der Substanz aber nur unter dem Begriff der Ewigkeit usw., des Unendlichen Teilhaftseins der Existenz oder (dem Latein zum Trotz) des Seins.
[…]

Im Herbst 1674 schreibt Spinoza an G. H. Schuller:

[…] Gott zB existiert notwendig zwar und dennoch frei, weil er allein aus der Notwenigkeit seiner Natur existiert. So begreift Gott in freier Weise sich selbst und alle Dinge überhaupt, weil es allein aus der Notwendigkeit seiner Natur folgt, dass er alles begreift. […]
MfG B.
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#30
(28-07-2011, 09:42)Bion schrieb:
Tyko schrieb:was mir aber noch unklar ist, ist die von dir, oder zumindest von deinen quellen beschriebene transzendenz des spinozistischen gottes.

Das ist, meine ich, u.a. dem Beweis, [...] […][/i]

wie kann spinozas gott zu sich selbst transzendent sein?
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