Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Konversion
#16
Zitat:Sich dazu noch etwas aus einem fremden Kulturkreis auszusuchen, hat so etwas davon, dem Reiz des Exotischen zu erliegen, was Du ja auch ansprichst.



Wenn man sich die Religionen so ansieht, gibt es eigentlich keine, die nicht exotischen Ursprungs ist. Es gibt nur Religionen, die bekannter sind als andere, was sie aber nicht unexotisch macht. Der islamische Monotheismus wird glaube ich von einem Normalbürger bei weitem nicht als so exotisch empfunden wie der christliche Trinität, die eigentlich niemand versteht. Bekanntheitsgrade nehmen also nicht die Exotik. Für mich wäre beispielsweise nicht zu glauben extrem exotisch


Zitat:Dieser Satz soll uebrigens nicht "exotische" Kulturen irgendwie negativ erscheinen lassen, sondern ich beziehe mich dabei auf den Verlust des kulturell Verbindenden und sozial Einbettenden, das die einheimischen Grosskirchen bieten, zumindest theoretisch. Wobei kleinere Religionsgemeinschaften eventuell intensivere Kontakte bieten, noch dazu wegen der Wagenburg-Mentalitaet, die dort oft aufkommt.

Die Situation der Großkirchen sieht doch eher so aus, dass die Leute durch die Kindstaufe Mitglied werden und dann Teil einer Gemeinde sind. Dann gibt es, wenn überhaupt, den Sonntagsgottesdienst, dort wird aus Gewohnheit hingegangen und danach wieder nach Hause. Ein wirkliches Gemeindeleben findet kaum mehr statt, deswegen bleibt man dann eben auch in dem Verein, weil es quasi auch keine Reibungspunkte gibt. 
Ich denke mir, dass jemand der auch das christliche "Wir glauben" ernst nimmt, irgendwann sich eine andere Religion schon deshalb suchen wird, weil im Christentum eine immer stärkere Vereinzelung stattfindet.
Was Sören beschrieben hat, empfinde ich gar nicht als Konversion.
Bild der Konversion ist für mich die ursprüngliche Taufe im Christentum: hier wird durch einen sichtbaren Akt die Umkehr bekundet. Soweit ich weiß, hatte die Waschung im Judentum einen ähnlichen Symbolgehalt Was Sören beschreibt, empfinde ich nicht als wirkliche Konversion: die stand am Anfang, aber sein Weg von der Taufe bis hin zum Bahaitum scheint mir eher eine Entfaltung des Glaubens zu sein bzw. ein Wachsen im Glauben. Konversion hingegen hieße bildlich, Jesus den Rücken zuzudrehen. Das hat in dem Fall nicht zugetroffen.
Zitieren
#17
(10-09-2017, 09:46)sanctus schrieb: Wenn man sich die Religionen so ansieht, gibt es eigentlich keine, die nicht exotischen Ursprungs ist. Es gibt nur Religionen, die bekannter sind als andere, was sie aber nicht unexotisch macht.

Der Aspekt, dass auch das Christentum aus einem fernen Kulturkreis stammt, war mir beim Schreiben durchaus bewusst. Nur, in diesem Punkt muss ich Dir widersprechen. Nach ueber 1000 Jahren Christentum in dieser Gegend hat das Christentum ueberhaupt nichts Exotisches mehr an sich. Unsere gesamte Kultur ist dadurch komplett eingefaerbt. Exotisch sind heutzutage die urspruenglich hier entstandenen Religionen, von denen keiner mehr so wirklich weiss, wie sie eigentlich waren.

Dass die meisten Glaeubigen nicht richtig die Trinitaet beschreiben koennen, aendert daran nichts. Das Konzept "Trinitaet" mag kompliziert sein, aber nicht exotisch. Und irgendeine Ansicht dazu hat halt jeder, egal ob die nun falsch ist oder nicht. Das tangiert diesen Punkt ueberhaupt nicht.

(10-09-2017, 09:46)sanctus schrieb: Die Situation der Großkirchen sieht doch eher so aus, dass die Leute durch die Kindstaufe Mitglied werden und dann Teil einer Gemeinde sind. Dann gibt es, wenn überhaupt, den Sonntagsgottesdienst, dort wird aus Gewohnheit hingegangen und danach wieder nach Hause. Ein wirkliches Gemeindeleben findet kaum mehr statt, deswegen bleibt man dann eben auch in dem Verein, weil es quasi auch keine Reibungspunkte gibt. 
Ich denke mir, dass jemand der auch das christliche "Wir glauben" ernst nimmt, irgendwann sich eine andere Religion schon deshalb suchen wird, weil im Christentum eine immer stärkere Vereinzelung stattfindet.
Was Sören beschrieben hat, empfinde ich gar nicht als Konversion.

Das sind zwei Aspekte, die Du hier vermischst. Dass die mangelnde Einbettung in christliche Gemeinschaften, insbesondere in der Grossstadt, ein Problem darstellt, das jemanden dazu bringen kann, sich einen andere Religionsgemeinschaft zu suchen, ist klar. Deshalb habe ich auch explizit oben "Grosskirchen" gesagt, da natuerlich auch ein verstaerkter Zulauf in die, oft etwas strikteren, evangelischen Freikirchen und aehnliche christliche Sekten zu verzeichnen ist. Gerade in Lateinamerika oder auf den Philippinen ist geradezu eine Massenbewegung weg von der Katholischen Kirche hin zu Kirchen wie den Adventisten zu sehen, weil den Menschen in der Grosskirche die Gemeinschaft fehlt. Auch dort spielen oft irgendwelche "Propheten" eine Rolle.

Das, was Soeren dort beschreibt, geht aber in eine andere Richtung. Sich einen entfernten Ableger des schiitischen Islam als Konversionsziel auszusuchen, sehe ich natuerlich als Konversion zu einem grundsaetzlich vom Christentum verschiedenen Glauben. Soerens Kritikpunkte waren ja auch ausdruecklich an prinzipiell grundlegenden christlichen Glaubensgrundsaetzen festgemacht, also genau das, was eine Konversion ausmacht.

(10-09-2017, 09:46)sanctus schrieb: Bild der Konversion ist für mich die ursprüngliche Taufe im Christentum: hier wird durch einen sichtbaren Akt die Umkehr bekundet. Soweit ich weiß, hatte die Waschung im Judentum einen ähnlichen Symbolgehalt Was Sören beschreibt, empfinde ich nicht als wirkliche Konversion: die stand am Anfang, aber sein Weg von der Taufe bis hin zum Bahaitum scheint mir eher eine Entfaltung des Glaubens zu sein bzw. ein Wachsen im Glauben. Konversion hingegen hieße bildlich, Jesus den Rücken zuzudrehen. Das hat in dem Fall nicht zugetroffen.

Jesus ist nicht das Christentum. Jesus spielt auch im Islam die Rolle des Richters der Endzeit. Sagen wir mal, Soeren hat das etwas "freundlich" ausgedrueckt. Du vergisst hier, dass seine Konversion beinhaltet, im Bahāʾullāh den wiedergekehrten Christus zu sehen. Hier wird zwar die Figur Christus bemueht, aber mit ganz anderen Inhalten gefuellt als im Christentum. Wenn man Deiner Logik folgt, waere auch ein Uebertritt zum Islam keine Konversion.

Ansonsten ist das historisch mit der Konversion zum Christentum so eine Sache. Ich habe mir mal Berichte angeschaut, wie die Missionierung in den spanischen Kolonialgebieten so ablief. Die Leute wurden zu einem Essen eingeladen, bei dem der Missionar im Hintergrund ein Gottesdienstritual abhielt, von dem sie kein Wort verstanden. Sie wurden dann aufgefordert, "Amen" zu sagen, und dann waren sie Christen. Ins Christentum hineingewachsen sind dann die folgenden Generationen.

Also, nur weil Soeren das Verbindende zwischen Christentum und der Bahai-Religion explizit in den Vordergrund gestellt hat, macht das seinen Schritt jetzt nicht ploetzlich nicht zu einer Konversion.
Zitieren
#18
(10-09-2017, 10:56)Ulan schrieb: Wenn man Deiner Logik folgt, waere auch ein Uebertritt zum Islam keine Konversion.

Da gibt es schon noch einen Unterschied.
Die Baha'i akzeptieren komplett das christliche Selbstverständnis und das Neue Testament. Der Islam hingegen lehnt das NT komplett ab und erschafft einen Jesus-Mythos, der mit dem Christentum gar nichts mehr gemein hat.
Zitieren
#19
Ulan schrieb:Trotzdem bleibt es mir, wenn ich mir die "Datenlage" so anschaue, unverstaendlich, wie man aus rationaler Erwaegung einen Glaubensschritt wie diesen tut.

Über Glaubensinhalte zu philosophieren ist in meinem Verständnis kein rationaler Vorgang, egal, mit wie viel (innerer) Logik man da herangeht. Rational wäre z.B. die Abwägung, welche Gemeinschaft mir - rein utilitaristisch gedacht – die meisten „Vorteile“ brächte, ob ich also mein Selbstwertgefühl durch eine starke Betonung der persönlichen Erfahrung steigern könnte oder über die engen persönlichen Beziehungen innerhalb der Gruppe leichter an Jobs käme. Bei mir waren es aber theologische Gründe.

Ulan schrieb:Sich dazu noch etwas aus einem fremden Kulturkreis auszusuchen, hat so etwas davon, dem Reiz des Exotischen zu erliegen, was Du ja auch ansprichst.

Ich kann an der Bahá'í-Religion wenig Exotisches finden. Die Glaubenspraxis ist bewusst so aufgebaut, dass sie kulturell unterschiedlich mit Leben gefüllt werden kann. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, kommt auch die arabisch-persische Ursprungssprache im Glaubensalltag nicht vor. Wo sie das doch tut, sind es kleine Versatzstücke wie „Allahu-Abhá“, die mir aber auch nicht exotischer vorkommen als das hebräische „Amen“ oder „Halleluja“. Die Sprache der Schriften ist zwar sehr bildhaft und orientalisch im Stil, das sind die Evangelien aber genauso. Ein wesentlicher Teil der verwendeten Sprache lässt sich außerdem über die islamische Mystik zurückverfolgen bis ins syrische Christentum. Sollte ich also das syrische Christentum als „exotisch“ betrachten? Der „Reiz des Fremden“ ist also definitiv für mich keine Kategorie, nach der ich eine Religion aussuche. Da hätte es schon ISKCON oder Baghwan sein müssen.

Ulan schrieb:Dieser Satz soll uebrigens nicht "exotische" Kulturen irgendwie negativ erscheinen lassen, sondern ich beziehe mich dabei auf den Verlust des kulturell Verbindenden und sozial Einbettenden, das die einheimischen Grosskirchen bieten, zumindest theoretisch.

Ich fühle mich nach wie vor kulturell mit dem Christentum verbunden. Ich gehe Weihnachten mit meinen Eltern in den Gottesdienst und feiere mit der Familie meiner Schwägerin Ostern. Die Hintergrundgeschichten zu allen wichtigen christlichen Feiertagen tauchen auch in den Bahá'í-Schriften auf und sind daher, auch wenn wir sie nicht mehr explizit feiern, Teil der Bahá'í-Lehre bzw. werden darin aufgegriffen. An Heiligabend feiern meine Frau und ich eine Bahá'í-Andacht aus Anlass der Geburt Jesu , die sich vollständig aus Bahá'í-Texten zusammenbauen lässt, die sich entweder konkret mit der Geburt oder allgemeiner mit der Bedeutung Jesu befassen. Auf der anderen Seite feiere ich mit meinem jüdischen Freunden Pessach.

Sozial eingebettet bin ich durch das Bahá'í-Sein auch nicht weniger. Freundschaften, die ich innerhalb der christlichen Gemeinden hatte, hat das nicht berührt. Das Verhältnis zu „meinem“ Pastor ebensowenig. Ein nicht unerheblicher Teil meines Freundeskreises fühlt sich im Christnetum ohnehin nicht beheimatet und kann meist mit Glauben im Allgemeinen wenig anfangen. Da war's sowieso schon mal völlig egal, an was ich jetzt konkret glaube.

Ich bin aber sehr aktiv im Interreligiösen Dialog und dort entstehen viele Bekannt- und Freundschaften gerade über die inhaltlichen Unterschiede hinaus.

Ulan schrieb:Wobei kleinere Religionsgemeinschaften eventuell intensivere Kontakte bieten, noch dazu wegen der Wagenburg-Mentalitaet, die dort oft aufkommt.

Die Bahá'í kennen kein starres Wir-Die-Schema, wie das z.B. Jehovas Zeugen oder andere Gruppen haben. Im Gegenteil sind die Bahá'í dazu aufgerufen, auf Menschen anderen Glaubens zuzugehen und mit ihnen Freundschaft zu schließen. Dass die Kontakte trotzdem intensiver sind, liegt einfach daran, dass es nicht allzu viele Bahá'í gibt und daher die Wahrscheinlichkeit, einen Großteil der Gemeinde zu kennen, relativ hoch ist. Das ist aber z.B. in einer kleinen jüdischen Gemeinde mit 15 Mitgliedern auch nicht anders.

Ulan schrieb:Den Schritt zum eigentlichen Glauben (also, wirklich die Lehren diesr Religionsgemeinschaften als wahre Offenbarungen zu begreifen) bleibt mir aber weiterhin nicht verstaendlich. Wurde da ein vorhandener Glaube "umgeformt"?

Im Wesentlichen war mein Weg der hin zu einer Gemeinschaft, in der ich meine eigenen theologischen Gedanken eher wiedergefunden habe als in jeder mir bekannten christlichen Kirche. Und letztendlich war die Anerkennung Bahá'u'lláhs nur die logische Folge meiner Überzeugung, dass Gott die Welt in den letzten 2000 Jahren nicht allein gelassen haben konnte.

sanctus schrieb:Ich denke mir, dass jemand der auch das christliche "Wir glauben" ernst nimmt, irgendwann sich eine andere Religion schon deshalb suchen wird, weil im Christentum eine immer stärkere Vereinzelung stattfindet.

Ich wollte auch nicht einfach irgendeiner Gruppe angehören, deren (offizielle) Lehre ich nicht teilen kann, nur weil das Soziale so nett ist. Und ich fänd's schade, wenn Glaube sich in gemütlichem Miteinander erschöpft, aber keine Reflexion über den Glauben stattfindet. Ich habe leider oft erleben müssen, dass Christsein sich in „Wir haben uns alle ganz doll lieb“ erschöpft hat. Ein gemeinsames Wachsen im Glauben war da nicht im Blick. In anderen Fällen haben kirchlich Verantwortliche versucht, mit künstlicher Coolness Jugendliche in den Gottesdienst zu kriegen. Das war dann einfach nur noch peinlich. Der Superintendent hat z.B. in einem Gottesdienst vor dem Altar ein Trampolin aufgebaut und jeder durfte im Gottesdienst drauf rumhüpfen. Von einer würdevollen Veranstaltung war da nix mehr übrig. Das soll jetzt keine Pauschalkritik am Christentum sein. Ich weiß, dass es auch andere Gemeinden und Mentalitäten gibt. Das waren nur damals sehr prägende Eindrücke.

sanctus schrieb:Konversion hingegen hieße bildlich, Jesus den Rücken zuzudrehen. Das hat in dem Fall nicht zugetroffen.

Ich hätte auch niemals Bahá'í werden können, wenn ich dafür Jesus hätte aufgeben müssen.


Ulan schrieb:Gerade in Lateinamerika oder auf den Philippinen ist geradezu eine Massenbewegung weg von der Katholischen Kirche hin zu Kirchen wie den Adventisten zu sehen, weil den Menschen in der Grosskirche die Gemeinschaft fehlt. Auch dort spielen oft irgendwelche "Propheten" eine Rolle.

Hier muss man noch einmal ganz grundsätzlich unterscheiden zwischen dem Prophetieverständnis bestimmter Freikirchen und der Theologie der Bahá'í. In letzterer gibt es eine Trennung zwischen den sogenannten „Manifestationen Gottes“, durch die Gott in der Welt erfahrbar wird und wirken kann, und gewöhnlichen Propheten, die zwar auch den Willen Gottes übermitteln, aber keine umfassende Vollmacht verliehen bekommen haben. Die Manifestationen Gottes sind souverän, stiften eine neue Religion, offenbaren „Heilige Schriften“ und erlassen Gesetze. Gewöhnliche Propheten berufen sich auf eine bereits vorhandene und ausformulierte Religion und versuchen, dieser Geltung zu verschaffen. In diesem Sinne ist Bahá'u'lláh ebenso wenig „irgendein Prophet“ wie Mohammed oder Jesus.

Ulan schrieb:Sich einen entfernten Ableger des schiitischen Islam als Konversionsziel auszusuchen, sehe ich natuerlich als Konversion zu einem grundsaetzlich vom Christentum verschiedenen Glauben.

Die Bahá'í-Religion ist keine schiitische Sekte. Sie mag zwar ihre Wurzeln in der iranischen Schia haben, aber sie hat sich davon emanzipiert, wie sich das Christentum auch vom Judentum emanzipiert hat. Natürlich findet man noch verwandte Elemente – ist ja im Christentum auch nicht anders – aber so grundverschieden, wie du meinst, sind Bahá'í-Religion und Christentum nicht. Tatsächlich verwenden die Bahá'í-Schriften ab einem gewissen Zeitpunkt deutlich mehr christliche Begriffe und Symbole, als islamische. Wesentliche Teile der Lehrbildung vollziehen sich anhand christlicher Fragestellungen. Die christlichen Feiertage tauchen – im Gegensatz zu den islamischen – sämtlichst in den Bahá'í-Schriften auf. Jesus nimmt in den Schriften als Gottesoffenbarer einen prominenten Platz ein. Das Argument, die Bahá'í-Religion wäre ein Teil der Schia, ist heute weder religionswissenschaftlich noch theologisch noch haltbar.


Ulan schrieb:Soerens Kritikpunkte waren ja auch ausdruecklich an prinzipiell grundlegenden christlichen Glaubensgrundsaetzen festgemacht, also genau das, was eine Konversion ausmacht.

Also, nur weil Soeren das Verbindende zwischen Christentum und der Bahai-Religion explizit in den Vordergrund gestellt hat, macht das seinen Schritt jetzt nicht ploetzlich nicht zu einer Konversion.

Ich würde dir zustimmen, dass es sich rein definitorisch eindeutig um eine Konversion handelt. Ich bin ja schließlich trotzdem von einer Religionsgemeinschaft in eine andere gewechselt. Andererseits hatte ich die Probleme mit diversen christlichen Kernlehren auch schon in meiner Zeit als Christ.

Ulan schrieb:Jesus ist nicht das Christentum. Jesus spielt auch im Islam die Rolle des Richters der Endzeit. Sagen wir mal, Soeren hat das etwas "freundlich" ausgedrueckt. Du vergisst hier, dass seine Konversion beinhaltet, im Bahāʾullāh den wiedergekehrten Christus zu sehen. Hier wird zwar die Figur Christus bemueht, aber mit ganz anderen Inhalten gefuellt als im Christentum. Wenn man Deiner Logik folgt, waere auch ein Uebertritt zum Islam keine Konversion.

Da gibt es aber schon noch einen markanten Unterschied. Denn Jesus als Person ist nicht identisch mit Bahá'u'lláh. Der Name „Christus“ hingegen wird als Attribut verstanden, das Jesus wie Bahá'u'lláh gleichermaßen tragen, eben in ihrer Rolle als „Manifestationen Gottes“. Mit völlig neuen Inhalten wird dieses Konzept auch nicht gefüllt, da die Wiederkunft Christi eigentlich ja ein Kernthema der christlichen Theologie ist. Der Unterschied fängt erst da an, wo Theologen dieses Kernthema unterschiedlich deuten. Ebenfalls nicht mit neuen Inhalten gefüllt wird die Person Jesus von Nazareth. Das Neue Testament und dessen Berichte über das Wirken Jesu werden vollgültig anerkannt. Erst die Interpretation des Neuen Testaments begründet Unterschiede zwischen Christentum und Bahá'í-Religion. Insofern kann man natürlich, wenn man wollte, begrifflich trennen zwischen „der Offenbarung Jesu“ und „dem Christentum“, aber ich für meinen Teil halte irgendeine Theologie auch nicht für konstitutiv für „das Christentum“. Dazu gibt es davon zu viele.

Im Islam liegt der Fall insofern anders, als dass er auf einer völlig anderen Quellenbasis argumentiert. Das Neue Testament wird mehrheitlich als Fälschung verworfen und nur die Berichte im Koran als authentisch angesehen. Folglich ist das Jesusbild der Evangelien für den Islam völlig ohne Bedeutung. Ein Bahá'í könnte das Neue Testament nicht ausblenden, zum islamischen Verständnis Jesu gehört das aber konstitutiv dazu.
"Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da." - Sophokles: Antigone, Vers 523
Zitieren
#20
(10-09-2017, 12:32)sanctus schrieb: Da gibt es schon noch einen Unterschied.
Die Baha'i akzeptieren komplett das christliche Selbstverständnis und das Neue Testament.

Dass da ein gradueller Unterschied besteht, ist klar, und das bestreite ich auch gar nicht. Nur, das mit dem "christlichen Selbstverstaendnis" wuerde ich so nicht bejahen wollen.

(10-09-2017, 12:32)sanctus schrieb: Der Islam hingegen lehnt das NT komplett ab und erschafft einen Jesus-Mythos, der mit dem Christentum gar nichts mehr gemein hat.

Die Vorliebe fuer apokryphe Quellen deutet sicherlich eher auf eine Naehe zu fruehchristlichen Vorstellungen als zu heutigen, aber ja, das NT selbst wird abgelehnt.

All das aendert aber nichts daran, dass wir es hier mit einer anderen Religion zu tun haben, die ein taegliches Pflichtgebet zum Schrein ihres Propheten in Akkon vorschreibt. Und das wiederum hat so rein gar nichts mehr mit der etwas "verkopften" Vorstellung der Konversion zu tun, die uns Soeren hier ausgebreitet hat.
Zitieren
#21
Ulan schrieb:Dass da ein gradueller Unterschied besteht, ist klar, und das bestreite ich auch gar nicht. Nur, das mit dem "christlichen Selbstverstaendnis" wuerde ich so nicht bejahen wollen.

Ich würde das so auch nicht behaupten wollen. Denn das "christliche Selbstverständnis" ist noch einmal etwas ganz anderes als von einer gemeinsamen Quellenbasis - eben dem Neuen Testament - auszugehen. Die Interpretation dieser Quellen macht das Selbstverständnis aller heutigen Christen aus. Und die kann die Bahá'í-Theologie in vielen Punkten in der Tat nicht teilen.

Ulan schrieb:Die Vorliebe fuer apokryphe Quellen deutet sicherlich eher auf eine Naehe zu fruehchristlichen Vorstellungen als zu heutigen, aber ja, das NT selbst wird abgelehnt.

Naja, die Apokryphen waren damals für die wesentlichen Strömungen des Christentums ebensowenig konstitutiv wie heute. Ich würde behaupten, dass die Apokryphen heute sogar deutlich weiter streuen als damals, und das nicht nur in esoterisch angehauchten Kreisen.

Man kann aber inzwischen religionswissenschaftlich relativ gut nachvollziehen, mit welchen christlichen Gruppen Mohammed vermutlich in Kontakt gestanden haben und von welchen er sein Bibelwissen bezogen haben wird.

Ulan schrieb:All das aendert aber nichts daran, dass wir es hier mit einer anderen Religion zu tun haben, die ein taegliches Pflichtgebet zum Schrein ihres Propheten in Akkon vorschreibt. Und das wiederum hat so rein gar nichts mehr mit der etwas "verkopften" Vorstellung der Konversion zu tun, die uns Soeren hier ausgebreitet hat.

Ich habe ja auch nicht behauptet, dass mein Zugang der einzige wäre oder dass der wesentliche Teile der Bahá'í-Lehre ausblenden würde. Ich verstehe das Argument nicht so recht. Zweifelst du meinen Bericht an oder ist der Hinweis auf das Pflichtgebet lediglich ein Argument für die Verschiedenheit vom Christentum? Zumindest für das 1. und 2. Jahrhundert ist ein dreimal tägliches Pflichtgebet auch im Christentum noch belegt. Das Vaterunser ersetzt in der Frühzeit schlicht das jüdische Pflichtgebet und komprimierte dessen Inhalt. Bezeugt ist dies z.B. in der ältesten erhaltenen Gemeindeordnung, der Didache. Vermutlich ist sie nicht viel jünger als die synoptischen Evangelien. Ich will aber nicht versuchen, dich zu überreden, die Unterschiede zwischen heutigem Christentum und Bahá'í-Religion zu übersehen. Natürlich gibt es die.
"Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da." - Sophokles: Antigone, Vers 523
Zitieren
#22
(11-09-2017, 18:39)Sören schrieb: Naja, die Apokryphen waren damals für die wesentlichen Strömungen des Christentums ebensowenig konstitutiv wie heute. Ich würde behaupten, dass die Apokryphen heute sogar deutlich weiter streuen als damals, und das nicht nur in esoterisch angehauchten Kreisen.

Vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Wenn man an das Protoevangelium des Jakobus denkt, aus dem Justin noch Ideen zieht und dessen Geburtsmythos Jesu heute unter der Geburtskirche in Bethelehem als christliche Sicht in Stein gemauert ist, waren die Uebergaenge da noch lange fliessend.


(11-09-2017, 18:39)Sören schrieb: Ich habe ja auch nicht behauptet, dass mein Zugang der einzige wäre oder dass der wesentliche Teile der Bahá'í-Lehre ausblenden würde. Ich verstehe das Argument nicht so recht. Zweifelst du meinen Bericht an oder ist der Hinweis auf das Pflichtgebet lediglich ein Argument für die Verschiedenheit vom Christentum?

Letzteres. Ich hatte Deinen Bericht so verstanden, dass Du uns zeigen wolltest, was Dir den Zugang zu der neuen Religion erleichtert hat, und da ist es nur natuerlich, wenn Du auf etwas Verbindendes zeigst. Ich wollte nur Sanctus gegenueber erwaehnen, dass da halt auch Trennendes ist, was man auch betrachten muss, weil das in seiner Betrachtung meiner Meinung nach zu kurz kam.

(11-09-2017, 18:39)Sören schrieb: Zumindest für das 1. und 2. Jahrhundert ist ein dreimal tägliches Pflichtgebet auch im Christentum noch belegt. Das Vaterunser ersetzt in der Frühzeit schlicht das jüdische Pflichtgebet und komprimierte dessen Inhalt. Bezeugt ist dies z.B. in der ältesten erhaltenen Gemeindeordnung, der Didache. Vermutlich ist sie nicht viel jünger als die synoptischen Evangelien. Ich will aber nicht versuchen, dich zu überreden, die Unterschiede zwischen heutigem Christentum und Bahá'í-Religion zu übersehen. Natürlich gibt es die.

Die Didache ist ja auch ein Beispiel dafuer, was ich mit fruehchristlichen Vorstellungen meinte (durchaus unterschiedlich von den Quellen des Islam). Eine Eucharistie ohne Blut- und Fleisch-Symbolik. Eine Erinnerung an eine Gemeinschaft durch Jesus Christus ohne Kreuz und Tod und ohne Auferstehung. Ja sicher gab es auch im Christentum immer eine Pflicht zu beten; das Tischgebet ist ja auch heute noch weit verbreitet.

Mir ging es hier eher um das Spezifische. Ein Pflichtgebet in Richtung auf einen Grabschrein ist Christen im Alltag eher fremd.


Edit: Ups, ich sehe gerade, dass ich einen Beitrag von Dir von gestern uebersehen habe, da wir fast gleichzeitig gepostet haben. Ich wollte den nicht ignorieren. Ich komme darauf eventuell spaeter zurueck.
Zitieren
#23
(11-09-2017, 18:39)Sören schrieb: Zumindest für das 1. und 2. Jahrhundert ist ein dreimal tägliches Pflichtgebet auch im Christentum noch belegt. 

Das hat das Christentum im wesentlichen auch so beibehalten.
im Klöstern wird das Stundengebet 7 mal täglich verrichtet, man sieht es als das Gebet der ganzen Kirche. Je nach klösterlicher Praxis gibt es auch Regelungen, die die Gemeinschaften zu weniger Gebetszeiten verpflichten. Für die Laien, die dazu angehalten sind, in dieses Gebet mit einzutreten, gibt es das kleine Stundenbuch mit m.W. nur 3 Gebetszeiten. 

@Ulan

Dass den Christen eine gemeinsame Gebetsrichtung fremd wäre, ist so nicht richtig. Alle Kirchen sind geostet. Es wurde immer in Kirchen zur aufgehenden Sonne, Richtung Osten, gebetet. Insofern ist zumindest dem Christentum im gemeinsamen Gebet vor Ort die Richtung gegeben, ohne dass diese explizit betont wird. Der Sonntagsgottesdienst ist der Gemeinde als gemeinsames Gebet vorgeschrieben.

Insgesamt tut sich das Christentum jenseits der Sonntagspflicht aber mit Pflichtgebeten recht schwer. Die Gebete werden eher als ein Fundus an Möglichkeiten gesehen, aus denen sich der einzelne Gläubige bedienen kann wie er will.

Der Unterschied ist auch, dass Jesus keine Gebetsrichtung vorgeschrieben hat. Selbst wenn er das getan hätte, wäre es für das Christentum eher sekundär. Im wesentlichen wurde von "So sollt Ihr beten" lediglich der Inhalt übernommen, eine Niederwerfung, die aus "und warf sich auf sein Angesicht" resultieren müsste, ist dem Christentum fremd. Da ist die muslimische Kritik am Christentum sicher nicht ganz verkehrt.
Zitieren
#24
(12-09-2017, 06:37)sanctus schrieb: Dass den Christen eine gemeinsame Gebetsrichtung fremd wäre, ist so nicht richtig.

Dann ist ja gut, dass ich das so nicht geschrieben habe, sondern in meiner Aussage spezifischer war. Wenn man Aussagen zu allgemein macht, werden sie oft nicht richtig, oder man kommt zu Banalitaeten; schliesslich beten Christen in der Kirche ja Richtung Altar, was man dann auch - relativ sinnfrei - als gaengige "Gebetsrichtung" bezeichnen koennte.

(12-09-2017, 06:37)sanctus schrieb: Alle Kirchen sind geostet.

Das ist ein schoenes Beispiel, wie eine Aussage falsch wird, wenn man sie zu allgemein fasst. Das mit der Ostung der Kirchen kam als Mode irgendwann im Mittelalter auf (im westlichen Teil Europas wurde zuvor eher "gewestet") und, je nach baulichen Gegebenheiten, wurde diese Mode auch im Mittelalter oft ignoriert. In den letzten Jahrhunderten wurde das generell nur noch gemacht, wenn man die freie Wahl hatte. Beim Morgengottesdienst durch das Licht der hinter dem Altar aufgehenden Sonne einen dramatischen Auftritt hinzulegen, war halt "buehnentechnisch" ein beliebter Kniff. Dieser Kniff wurde auch bei Kirchen, die nicht auf der Ost-West-Achse stehen, wie dem Bamberger Dom, ausgenutzt, dort z.B. fuer ein Reliquien-Rundfenster, das im Osten, also nicht auf Kirchenachse, angelegt wurde.

Aber, wie Du selbst einraeumst, geht es dabei nicht um irgendwelche Glaubensvorschriften.

(12-09-2017, 06:37)sanctus schrieb: Der Unterschied ist auch, dass Jesus keine Gebetsrichtung vorgeschrieben hat. Selbst wenn er das getan hätte, wäre es für das Christentum eher sekundär. Im wesentlichen wurde von "So sollt Ihr beten" lediglich der Inhalt übernommen, eine Niederwerfung, die aus "und warf sich auf sein Angesicht" resultieren müsste, ist dem Christentum fremd. Da ist die muslimische Kritik am Christentum sicher nicht ganz verkehrt.

Die "muslimische Kritik" woran genau meinst Du? Im Christentum gibt's auch die Warnung, das Gebet nicht zur Show zu machen, weil das der eigenen Eitelkeit schmeichelt. Im Prinzip ist, abgesehen von einigen Gebeten im Gottesdienst, das Gebet etwas Privates, was mit der Vorstellung des persoenlichen Gottes im Christentum zu tun hat.
Zitieren
#25
Ulan schrieb:Das ist ein schoenes Beispiel, wie eine Aussage falsch wird, wenn man sie zu allgemein fasst. Das mit der Ostung der Kirchen kam als Mode irgendwann im Mittelalter auf (im westlichen Teil Europas wurde zuvor eher "gewestet") und, je nach baulichen Gegebenheiten, wurde diese Mode auch im Mittelalter oft ignoriert. In den letzten Jahrhunderten wurde das generell nur noch gemacht, wenn man die freie Wahl hatte. Beim Morgengottesdienst durch das Licht der hinter dem Altar aufgehenden Sonne einen dramatischen Auftritt hinzulegen, war halt "buehnentechnisch" ein beliebter Kniff.

Die Ostung der Kirchen ist durchaus eine theologische Festlegung, die bereits im 4. Jahrhundert getroffen und allgemein umgesetzt wurde. Es gibt aus der römischen Zeit nur zwei Kirchen überhaupt, die gewestet sind, und das sind die Lateranbasilika und St. Peter in Rom, weil dort die Ostung noch nicht beschlossen war. Alle späteren - auch schon konstantinischen - Bauten der römischen Reichskirche und später der germanischen und byzantinischen Nachfolgestaaten sind ausnahmslos geostet. Die Kirche ist, wenn man ehrlich ist, vom Kirchenbau Konstantins einfach völlig überrumpelt worden und hatte weder Zeit noch Gelegenheit, sich mit solchen Fragen im Vorfeld auseinanderzusetzen. Vorher orientierte man sich in der Regel nach Jerusalem, wie das die Juden bis heute tun, weil sie am Osttor den Messias erwarten. Im christlichen Glauben wurde daraus die Wiederkunft Christi "von Osten her". Man wendet sich also ganz bewusst Christus zu und nicht einfach irgendeiner aufgehenden Sonne. Man assoziiert die Sonne zwar als Symbol mit der Wiederkunft Christi, die eigentliche Richtung des Gebets ist aber Christus in persona.

Die Bahá'í beten im Übrigen auch weder ein Grab noch die Knochen darin an. Die Gebetsrichtung ist lediglich ein Hilfsmittel, um die Konzentration auf Gott und seinen jüngsten Boten zu fördern, ebenso wie den Waschungen beim Bahá'í-Pflichtgebet keine Reinheitsvorschriften mehr zugrunde liegen - die hat Bahá'u'lláh ausnahmslos abgeschafft - sondern lediglich die Erkenntnis, dass eine auch äußerliche Vorbereitung auf das "Gespräch mit Gott" den besonderen Charakter des Ganzen deutlich macht und die Konzentration darauf fördert.

Ulan schrieb:Die "muslimische Kritik" woran genau meinst Du?

Das verstehe ich jetzt auch nicht. Niederwerfungen (Prostrationen) gab und gibt es im Christentum ebenso. Insbesondere im tridentinischen Ritus der katholischen Messe sind Prostrationen ein maßgebliches Element. Das also als eine islamische Eigenart aufzufassen, ginge am Kern der Sache vorbei. Im Übrigen kennt auch nur eines der drei Pflichtgebete der Bahá'í überhaupt Prostrationen. Beim Kurzen Pflichtgebet sind überhaupt keine Bewegungsabläufe vorgeschrieben, beim Mittleren im Wesentlichen nur das Heben und Senken der Arme. Jeder Gläubige hat die Freiheit, sich eines der drei Pflichtgebete für den persönlichen Gebrauch auszusuchen (oder auch mal zwischen ihnen zu wecheln, wenn ihm danach ist). Es ist also niemand dazu gezwungen, sich "niederzuwerfen".
"Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da." - Sophokles: Antigone, Vers 523
Zitieren
#26
(10-09-2017, 13:08)Sören schrieb: Ich kann an der Bahá'í-Religion wenig Exotisches finden. Die Glaubenspraxis ist bewusst so aufgebaut, dass sie kulturell unterschiedlich mit Leben gefüllt werden kann. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, kommt auch die arabisch-persische Ursprungssprache im Glaubensalltag nicht vor. Wo sie das doch tut, sind es kleine Versatzstücke wie „Allahu-Abhá“, die mir aber auch nicht exotischer vorkommen als das hebräische „Amen“ oder „Halleluja“. Die Sprache der Schriften ist zwar sehr bildhaft und orientalisch im Stil, das sind die Evangelien aber genauso. Ein wesentlicher Teil der verwendeten Sprache lässt sich außerdem über die islamische Mystik zurückverfolgen bis ins syrische Christentum. Sollte ich also das syrische Christentum als „exotisch“ betrachten? Der „Reiz des Fremden“ ist also definitiv für mich keine Kategorie, nach der ich eine Religion aussuche. Da hätte es schon ISKCON oder Baghwan sein müssen.

Hier finde ich, dass die Argumentation etwas uebertreibt. Ob "Amen" Hebraeischen Ursprungs ist oder nicht, tut doch nichts zur Sache, wenn man das bereits als Kleinkind bei den ersten Betversuchen einuebt, genau wie den Rest der Alltagssprache. Die Sprache der Bibel ist auch etwas, das unsere Art zu sprechen, zu schreiben und wohl auch zu denken derart gepraegt hat, dass da unser Sinn fuer "das Andere" gar nicht mehr aktiviert wird. Allerdings fehlt mir da, zugegebenermassen, die Erfahrung mit Bahai-Texten, um ueber deren Grad der Abweichung von "unseren" Sprachgewohnheiten genauer urteilen zu koennen.

(10-09-2017, 13:08)Sören schrieb: Ich fühle mich nach wie vor kulturell mit dem Christentum verbunden. Ich gehe Weihnachten mit meinen Eltern in den Gottesdienst und feiere mit der Familie meiner Schwägerin Ostern. Die Hintergrundgeschichten zu allen wichtigen christlichen Feiertagen tauchen auch in den Bahá'í-Schriften auf und sind daher, auch wenn wir sie nicht mehr explizit feiern, Teil der Bahá'í-Lehre bzw. werden darin aufgegriffen. An Heiligabend feiern meine Frau und ich eine Bahá'í-Andacht aus Anlass der Geburt Jesu , die sich vollständig aus Bahá'í-Texten zusammenbauen lässt, die sich entweder konkret mit der Geburt oder allgemeiner mit der Bedeutung Jesu befassen. Auf der anderen Seite feiere ich mit meinem jüdischen Freunden Pessach.

Nun, wenn man eh in einem sozialen Umfeld eingebettet ist, das sehr vielfaeltig ist, faellt das "noch eine Religion" wahrscheinlich gar nicht mehr auf.

(10-09-2017, 13:08)Sören schrieb: Ich bin aber sehr aktiv im Interreligiösen Dialog und dort entstehen viele Bekannt- und Freundschaften gerade über die inhaltlichen Unterschiede hinaus.

Das kann ich nachvollziehen. Das ist natuerlich ein sehr spezifischer Platz im Leben, der nur wenigen Leuten moeglich ist.

(10-09-2017, 13:08)Sören schrieb:
Ulan schrieb:Wobei kleinere Religionsgemeinschaften eventuell intensivere Kontakte bieten, noch dazu wegen der Wagenburg-Mentalitaet, die dort oft aufkommt.

Die Bahá'í kennen kein starres Wir-Die-Schema, wie das z.B. Jehovas Zeugen oder andere Gruppen haben. Im Gegenteil sind die Bahá'í dazu aufgerufen, auf Menschen anderen Glaubens zuzugehen und mit ihnen Freundschaft zu schließen. Dass die Kontakte trotzdem intensiver sind, liegt einfach daran, dass es nicht allzu viele Bahá'í gibt und daher die Wahrscheinlichkeit, einen Großteil der Gemeinde zu kennen, relativ hoch ist. Das ist aber z.B. in einer kleinen jüdischen Gemeinde mit 15 Mitgliedern auch nicht anders.

Ja, das habe ich ja in meiner Aussage impliziert.

(10-09-2017, 13:08)Sören schrieb:
Ulan schrieb:Den Schritt zum eigentlichen Glauben (also, wirklich die Lehren diesr Religionsgemeinschaften als wahre Offenbarungen zu begreifen) bleibt mir aber weiterhin nicht verstaendlich. Wurde da ein vorhandener Glaube "umgeformt"?

Im Wesentlichen war mein Weg der hin zu einer Gemeinschaft, in der ich meine eigenen theologischen Gedanken eher wiedergefunden habe als in jeder mir bekannten christlichen Kirche. Und letztendlich war die Anerkennung Bahá'u'lláhs nur die logische Folge meiner Überzeugung, dass Gott die Welt in den letzten 2000 Jahren nicht allein gelassen haben konnte.

Hmm, ich weiss nicht. Der Schritt von einer theologischen Beurteilung von Glaubensaussagen zur Anerkennung einer geschichtlichen Person als Gottes Gesandten ist trotzdem einer, wo mir das Element fehlt, das das fuer mich nachvollziehbar macht. Meist vollzieht sich so ein Schritt doch eher durch Einfluss einer lebenden, charismatischen Person.

(10-09-2017, 13:08)Sören schrieb: Ich wollte auch nicht einfach irgendeiner Gruppe angehören, deren (offizielle) Lehre ich nicht teilen kann, nur weil das Soziale so nett ist. Und ich fänd's schade, wenn Glaube sich in gemütlichem Miteinander erschöpft, aber keine Reflexion über den Glauben stattfindet. Ich habe leider oft erleben müssen, dass Christsein sich in „Wir haben uns alle ganz doll lieb“ erschöpft hat. Ein gemeinsames Wachsen im Glauben war da nicht im Blick. In anderen Fällen haben kirchlich Verantwortliche versucht, mit künstlicher Coolness Jugendliche in den Gottesdienst zu kriegen. Das war dann einfach nur noch peinlich. Der Superintendent hat z.B. in einem Gottesdienst vor dem Altar ein Trampolin aufgebaut und jeder durfte im Gottesdienst drauf rumhüpfen. Von einer würdevollen Veranstaltung war da nix mehr übrig. Das soll jetzt keine Pauschalkritik am Christentum sein. Ich weiß, dass es auch andere Gemeinden und Mentalitäten gibt. Das waren nur damals sehr prägende Eindrücke.

Ich war schon immer der Ansicht, dass sich das Christentum da in eine "lose-lose"-Position manoevriert, wenn es die Modernisierung auf diese Art versucht. "Liberale" Gemeinden sind oft genug das Vorzimmer zur Apostasie.

(10-09-2017, 13:08)Sören schrieb:
Ulan schrieb:Gerade in Lateinamerika oder auf den Philippinen ist geradezu eine Massenbewegung weg von der Katholischen Kirche hin zu Kirchen wie den Adventisten zu sehen, weil den Menschen in der Grosskirche die Gemeinschaft fehlt. Auch dort spielen oft irgendwelche "Propheten" eine Rolle.

Hier muss man noch einmal ganz grundsätzlich unterscheiden zwischen dem Prophetieverständnis bestimmter Freikirchen und der Theologie der Bahá'í. In letzterer gibt es eine Trennung zwischen den sogenannten „Manifestationen Gottes“, durch die Gott in der Welt erfahrbar wird und wirken kann, und gewöhnlichen Propheten, die zwar auch den Willen Gottes übermitteln, aber keine umfassende Vollmacht verliehen bekommen haben. Die Manifestationen Gottes sind souverän, stiften eine neue Religion, offenbaren „Heilige Schriften“ und erlassen Gesetze. Gewöhnliche Propheten berufen sich auf eine bereits vorhandene und ausformulierte Religion und versuchen, dieser Geltung zu verschaffen. In diesem Sinne ist Bahá'u'lláh ebenso wenig „irgendein Prophet“ wie Mohammed oder Jesus.

Das mag fuer Dich glaubenstechnisch einen Unterschied machen, aber fuer mich nicht. Wir reden von Leuten, die neue Sekten und eventuell neue Religionen gruenden. Ihnen gemeinsam ist ihr Sendungsbewusstsein. Was ihre Anhaenger dann aus ihnen machen, weicht oft sowieso von irgendwelchen offiziellen Vorstellungen ab. Offiziell mag Ellen White bei den Adventisten "nur" eine inspirierte Autorin gewesen sein, aber im Prinzip geniesst sie als Sprachrohr Gottes eine Verehrung, die ueber das, wie wir z.B. biblische Propheten sehen, weit hinausgeht. Das uebersteigt die Wertschaetzung Luthers in lutherischen Kirchen bei weitem, denn Luther bleibt immer normaler Mensch.

(10-09-2017, 13:08)Sören schrieb: Die Bahá'í-Religion ist keine schiitische Sekte. Sie mag zwar ihre Wurzeln in der iranischen Schia haben, aber sie hat sich davon emanzipiert, wie sich das Christentum auch vom Judentum emanzipiert hat. Natürlich findet man noch verwandte Elemente – ist ja im Christentum auch nicht anders – aber so grundverschieden, wie du meinst, sind Bahá'í-Religion und Christentum nicht. Tatsächlich verwenden die Bahá'í-Schriften ab einem gewissen Zeitpunkt deutlich mehr christliche Begriffe und Symbole, als islamische. Wesentliche Teile der Lehrbildung vollziehen sich anhand christlicher Fragestellungen. Die christlichen Feiertage tauchen – im Gegensatz zu den islamischen – sämtlichst in den Bahá'í-Schriften auf. Jesus nimmt in den Schriften als Gottesoffenbarer einen prominenten Platz ein. Das Argument, die Bahá'í-Religion wäre ein Teil der Schia, ist heute weder religionswissenschaftlich noch theologisch noch haltbar.

Nun, von aussen sieht man halt das Trennende. Und das ist halt mehr als zwischen christlichen Konfessionen, und die koennen sich schon wunderbar endlos ueber ihre Unterschiede in die Haare bekommen. Das gilt hier natuerlich noch mehr.

(10-09-2017, 13:08)Sören schrieb: Da gibt es aber schon noch einen markanten Unterschied. Denn Jesus als Person ist nicht identisch mit Bahá'u'lláh. Der Name „Christus“ hingegen wird als Attribut verstanden, das Jesus wie Bahá'u'lláh gleichermaßen tragen, eben in ihrer Rolle als „Manifestationen Gottes“. Mit völlig neuen Inhalten wird dieses Konzept auch nicht gefüllt, da die Wiederkunft Christi eigentlich ja ein Kernthema der christlichen Theologie ist.

Die Argumentation hier hat so etwas von "wasch mich, aber mach mich nicht nass". Ist es nun die Wiederkunft Christi oder nicht? Welchen "Person"-Begriff verwendest Du? Den platonischen der Trinitaet, also "unterschiedliche Person, selbe Substanz"?

(10-09-2017, 13:08)Sören schrieb: Der Unterschied fängt erst da an, wo Theologen dieses Kernthema unterschiedlich deuten. Ebenfalls nicht mit neuen Inhalten gefüllt wird die Person Jesus von Nazareth. Das Neue Testament und dessen Berichte über das Wirken Jesu werden vollgültig anerkannt. Erst die Interpretation des Neuen Testaments begründet Unterschiede zwischen Christentum und Bahá'í-Religion. Insofern kann man natürlich, wenn man wollte, begrifflich trennen zwischen „der Offenbarung Jesu“ und „dem Christentum“, aber ich für meinen Teil halte irgendeine Theologie auch nicht für konstitutiv für „das Christentum“. Dazu gibt es davon zu viele.

Nun, dafuer gibt's ja im Prinzip ja das Nicäno-Konstantinopolitanum. Nur z.B. polytheistische Ableger des Christentums, wie z.B. die Mormonen, oder Nicht-Trinitarier, wie einige Stroemungen der Unitarier, weichen davon ab.

(10-09-2017, 13:08)Sören schrieb: Im Islam liegt der Fall insofern anders, als dass er auf einer völlig anderen Quellenbasis argumentiert. Das Neue Testament wird mehrheitlich als Fälschung verworfen und nur die Berichte im Koran als authentisch angesehen. Folglich ist das Jesusbild der Evangelien für den Islam völlig ohne Bedeutung. Ein Bahá'í könnte das Neue Testament nicht ausblenden, zum islamischen Verständnis Jesu gehört das aber konstitutiv dazu.

Das habe ich durchaus anerkannt.
Zitieren
#27
(12-09-2017, 09:50)Sören schrieb: Die Ostung der Kirchen ist durchaus eine theologische Festlegung, die bereits im 4. Jahrhundert getroffen und allgemein umgesetzt wurde. Es gibt aus der römischen Zeit nur zwei Kirchen überhaupt, die gewestet sind, und das sind die Lateranbasilika und St. Peter in Rom, weil dort die Ostung noch nicht beschlossen war. Alle späteren - auch schon konstantinischen - Bauten der römischen Reichskirche und später der germanischen und byzantinischen Nachfolgestaaten sind ausnahmslos geostet.

Hmm, das habe ich anders gefunden. Den Altar im Westen zu haben und den Eingang im Osten gab's noch bis ins 11. Jhdt. In Rom sind dies z.B., zusaetzlich zu den beiden von Dir genannten, S. Maria Maggiore, S. Sebastian ausserhalb der Mauern, S. Crisogono, S. Balbina, S. Martino ai Monti, S. S. Nereo ed Achilleo, S. Maria in Domnica, S. Clemente, S. Nicolo in carcere und S Maria in Trastevere. Auch S Lorenzo ausserhalb der Mauern wurde erst im 13. Jhdt. umgebaut. Zum deutschsprachigen Raum schreibt Heinrich Otte im Handbuch der kirchlichen Kunst - Archäologie des deutschen Mittelalters (Leipzig 1868):

"Sicher ist dass man aus Zweckmässigkeits Gründen von der typisch gewordenen Orientierung abzuweichen keinen Anstand nahm denn Paulinus von Nola baute bei der älteren grösseren des h Felix welche richtig orientirt war eine kleinere Kirche mit dem Eingang auf der Ostseite weil sie nur als zu ersterer gehörig betrachtet werden sollte Auch die kleine Krankenhauskirche auf dem Baurisse von St Gallen welche mit der ebenso grossen richtig orientierten Novizenkirche in gleicher Axe liegt hat offenbar nur der Symmetrie halber die Altarnische in Westen und dieses Schwanken zwischen beiden Weisen scheint noch bis ins XI Jahrh fortgedauert zu haben denn die zuerst im J 983 erbaute später erneuerte und neuerdings abgetragene Kirche des Klosters Petershausen bei Constanz hatte den Haupteingang östlich und den Altar westlich und wie im Dom zu Bamberg gegr 1004 scheint auch ursprünglich im Dome zu Augsburg in St Emeram im Obermünster und in St Jakob zu Regensburg sowie in St Michael zu Hildesheim der Hochaltar seine Stelle im Westen gehabt zu haben."

Ansonsten gibt's halt noch andere Abweichungen wegen oertlicher Gegebenheiten, und nach dem 15. Jhdt. wurde diese Regel endgueltig wieder aufgeweicht. Barockkirchen wurden gerne mit der Fassade nach Sueden gebaut.

Edit: Hier gibt's uebrigens den Grundriss des Bamberger Doms mit genordeter Karte.
Zitieren
#28
(10-09-2017, 10:56)Ulan schrieb: Nach ueber 1000 Jahren Christentum in dieser Gegend hat das Christentum ueberhaupt nichts Exotisches mehr an sich. Unsere gesamte Kultur ist dadurch komplett eingefaerbt. Exotisch sind heutzutage die urspruenglich hier entstandenen Religionen, von denen keiner mehr so wirklich weiss, wie sie eigentlich waren.

Schau doch mal in den Osten Deutschlands, wo durch die DDR der Glaube größtenteils unterdrückt wurde. Das Christentum ist den Menschen dort genauso fremd wie jede andere Religion. 

Zitat:Dass die meisten Glaeubigen nicht richtig die Trinitaet beschreiben koennen, aendert daran nichts. Das Konzept "Trinitaet" mag kompliziert sein, aber nicht exotisch. Und irgendeine Ansicht dazu hat halt jeder, egal ob die nun falsch ist oder nicht. Das tangiert diesen Punkt ueberhaupt nicht.

Klar, wenn ich mir irgendwas ausdenke, ist mir das nicht fremd.
Aber wenn mal den Menschen versuchst, die theologischen Erklärungen (die ja völlig uneinheitlich sind) nahezubringen, werden die meisten das ziemlich exotisch finden. Für viele ist es ja bereits ziemlich exotisch und unverständlich, wieso ein Menschenopfer in einer Religion, die sich dem guten Gott verschrieben hat, eine Glaubensgrundlage darstellt und wie ein Gott, der seinen Sohn opfert, ein guter Gott sein kann.
Natürlich ist es ein Wesen der kirchlichen Dogmatik, dass sie einen inhaltslosen Rahmen bietet, der dann beliebig mit Inhalt gefüllt wird. Im allgemeinen werden die konkreten Glaubensinhalte auch gar nicht thematisiert, sondern Kirche beschränkt sich auf seine caritative-soziale Funktion. Wenn man mit Christen dann ins Gespräch kommt, stehen die wenigsten sowieso hinter ihrer Kirche, sondern sind eher Mitglied, weil sie mal als Kind getauft wurden oder aufgrund sozialer Aspekte nicht aussteigen wollen.

Zitat:Das, was Soeren dort beschreibt, geht aber in eine andere Richtung. Sich einen entfernten Ableger des schiitischen Islam als Konversionsziel auszusuchen

Diese Beschreibung trifft es glaube ich nicht. Kein Mensch sucht für seine religiöse Orientierung nach irgendeiner Abspaltung in einer möglichst abgelegenen Religion.
Das Bahaitum ist genauso wie jede andere Religion auch in unserer Kultur präsent. Durch Menschen, Literatur, Religionswissenschaft, Angebote. Darüber kommen Menschen in Kontakt - und damit spielt sich erstmal alles in unserem Kulturkreis ab. Man kann zudem inhaltlich leichter mit den Baha'i's in Berührung kommen, weil sie sich kulturell anpassen: die Schriften in Deutsch verfügbar, die Gebete sind in Deutsch usw usf. Es gibt keine kulturellen Spezialitäten, die mit dem Leben hier kollidieren würden, was beispielsweise anders als der Islam ist, der seine kulturell und zeitbedingten Normen immer noch für Gottes Wort hält und sie hier durchsetzen will.
Das Bahaitum ist also am Ende gar nicht so exotisch, bestenfalls etwas unbekannt. Gerade auch weil die Bahai's nicht missionieren.
Zitieren
#29
Was mir noch eingefallen ist: das Bild von Christen auf Christus weicht nur in manchen Punkten von dem der Bahai ab. Z.b. habe ich es oft genug erlebt, dass auch in der Kirche die Wundertaten Jesu rein geistig interpretiert werden - wie das die Bahai z.B auch tun. Klar gibt es auch Unterschiede, aber die gibt es selbst innerhalb der Kirchen. Und bei manchen Christen sind die Deutungen schon fast so Bahailastig, dass sie quasi wirklich übertreten könnten, ohne konvertieren zu müssen, weil ihre Glaubensüberzeungen bereits in ihrer Zeit als Christen eher an das Bahaitum erinnerten. Mir ist z.B. eine katholische Ordensgemeinschaft bekannt, die stark mystisch angehaucht sind und sagen, dass die Dreifaltigkeit auch nur eine Beschreibung unter vielen wäre und alle Religionen an den gleichen Gott glaubten. Die gehören zwar zur Kirchenhierarchie und praktizieren die klassische Ritualistik des Kirchlichen, haben aber philosophisch einen viel größeren Blick. Sie kommunizieren das nur noch in dieser Breite, da sie meinen, der reine Christusbezug mache es für die meisten Gläubiger einfacher, Dinge zu verstehen und einen dauerhaften Bezug zu Gott zu halten.
Zitieren
#30
(13-09-2017, 09:32)sanctus schrieb: Schau doch mal in den Osten Deutschlands, wo durch die DDR der Glaube größtenteils unterdrückt wurde. Das Christentum ist den Menschen dort genauso fremd wie jede andere Religion.

Und doch feiern sie Weihnachten.

Ich glaube, wir reden hier ein wenig aneinander vorbei. Auch die meisten Glaeubigen haben im allgemeinen keine Details ihrer Religion im Hinterkopf, wenn sie sich zu dieser bekennen. Das Spektrum reicht da vom Glauben an die versprochene Auferstehung wegen der Erloesungstat Jesu durch seinen Opfertod bis hin zum "Bergpredigts-Christen", woran dann letztlich auch weitergehende Sozialvorstellungen geknuepft sind. Jesus als Kaempfer gegen Ungerechtigkeit und fuer Barmherzigkeit ist eine Pop-Figur, die weit ueber den Kreis der Glaeubigen hinaus wirkt.

(13-09-2017, 09:32)sanctus schrieb: Klar, wenn ich mir irgendwas ausdenke, ist mir das nicht fremd.
Aber wenn mal den Menschen versuchst, die theologischen Erklärungen (die ja völlig uneinheitlich sind) nahezubringen, werden die meisten das ziemlich exotisch finden. Für viele ist es ja bereits ziemlich exotisch und unverständlich, wieso ein Menschenopfer in einer Religion, die sich dem guten Gott verschrieben hat, eine Glaubensgrundlage darstellt und wie ein Gott, der seinen Sohn opfert, ein guter Gott sein kann.

Das ist es, was ich mit "aneinander vorbei Reden" meinte. "Exotisch" ist es nicht, was Du da beschreibst. Ich wuerde, ganz im Gegenteil, mal schlicht behaupten, dass diese Geschichte vom Opfertod Jesu rein gar nichts Exotisches an sich hat, weil sie so gut wie jeder kennt. Sie ist Allgemeingut. Was Du hier beschreibst ist, dass die ethischen Vorstellungen unserer Zeit und diejenigen in den christlichen Schriften schon seit einiger Zeit auseinanderklaffen, was unter anderem dazu fuehrt, dass viele Menschen dem Glauben den Ruecken kehren. Nur, exotisch ist daran gar nichts; dies ist geteiltes Allgemeinwissen. Wie sehr wir diese Dinge verinnerlicht haben, sieht man doch daran, dass fast niemand das im Prinzip kannibalistische Ritual, das im Zentrum des Gottesdiensts steht, thematisiert; das wird nicht einmal mehr wahrgenommen, oder falls es doch wahrgenommen wird, als symbolisch wegerklaert (fuer Lutheraner theologisch korrekt, fuer Katholiken falsch).

Diese Selbstverstaendlichkeit im Umgang mit, wenn man darueber nachdenkt, ziemlich abstrusen Kern-Details des Glaubens zeigt doch gerade, wie verinnerlicht die ganze Sache in unserem Kulturkreis ist.

(13-09-2017, 09:32)sanctus schrieb: Natürlich ist es ein Wesen der kirchlichen Dogmatik, dass sie einen inhaltslosen Rahmen bietet, der dann beliebig mit Inhalt gefüllt wird. Im allgemeinen werden die konkreten Glaubensinhalte auch gar nicht thematisiert, sondern Kirche beschränkt sich auf seine caritative-soziale Funktion. Wenn man mit Christen dann ins Gespräch kommt, stehen die wenigsten sowieso hinter ihrer Kirche, sondern sind eher Mitglied, weil sie mal als Kind getauft wurden oder aufgrund sozialer Aspekte nicht aussteigen wollen.

Sicher. Wenn es den Menschen gut geht, laesst die Bindung nach. In den USA ist die Bindung an Kirchen unter anderem deshalb staerker, weil sie dort zum Teil fehlende Sozialleistungen ersetzen. Bei uns haben zwar viele Kindergaerten auch kirchliche Traeger, in den USA wird aber erwartet, dass man Gemeindemitglied ist oder wird, wenn man den Kindergarten in Anspruch nehmen will.

(13-09-2017, 09:32)sanctus schrieb: Diese Beschreibung trifft es glaube ich nicht. Kein Mensch sucht für seine religiöse Orientierung nach irgendeiner Abspaltung in einer möglichst abgelegenen Religion.
Das Bahaitum ist genauso wie jede andere Religion auch in unserer Kultur präsent. Durch Menschen, Literatur, Religionswissenschaft, Angebote. Darüber kommen Menschen in Kontakt - und damit spielt sich erstmal alles in unserem Kulturkreis ab.

Wieviele Bahai gibt es in Deutschland? Wikipedia nennt 5600 fuer 2012. Meinetwegen koennen wir das auf 10000 aufrunden. Mein kleines Heimatkaff war groesser. Von "praesent" kann man da nur bedingt sprechen. In Zeiten des Internets werden natuerlich auch winzige Splittergruppen etwas sichtbarer, aber ich denke nicht, dass die meisten Menschen ueberhaupt wahrnehmen, dass diese Glaubensgemeinschaft existiert.

(13-09-2017, 09:32)sanctus schrieb: Man kann zudem inhaltlich leichter mit den Baha'i's in Berührung kommen, weil sie sich kulturell anpassen: die Schriften in Deutsch verfügbar, die Gebete sind in Deutsch usw usf. Es gibt keine kulturellen Spezialitäten, die mit dem Leben hier kollidieren würden, was beispielsweise anders als der Islam ist, der seine kulturell und zeitbedingten Normen immer noch für Gottes Wort hält und sie hier durchsetzen will.
Das Bahaitum ist also am Ende gar nicht so exotisch, bestenfalls etwas unbekannt. Gerade auch weil die Bahai's nicht missionieren.

Die Anerkennung einer zweiten Wiederkunft Christi in Form eines Manns aus Persien ist fuer mich ein exotischer Gedanke. Wer schon Christus ablehnt, obwohl der noch den Vorteil hat, dass aufgrund der fehlenden Quellen seine Existenz nicht unter die Lupe genommen werden kann, der wird gewiss nicht auf den Glauben an so etwas umschwenken. Missionierung funktioniert uebrigens selten ueber die Vermittlung von Glaubensgrundsaetzen. Wer sehen will, wie man so etwas erfolgreich durchzieht, kann sich die Tricks der Mormonen in Lateinamerika anschauen; da werden Glaubensgrundsaetze bewusst ausgespart. (Nicht dass ich hier Bahai mit Mormonen vergleichen will; es geht hier nur um den Konversionsaspekt).

Was Du hier als nicht exotisch beschreibst, gilt wohl fuer die Soziallehre der Bahai. Mit den Schriften einer Religion kann man sich natuerlich gerne befassen.
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste