(29-04-2021, 11:27)Reklov schrieb: Hallo Ulan,
... wer im Geschichtsbuch der Menschheit ausgiebig blättert, der weiß, dass gewisse Machthaber entsprechende Gesetzestexte so zu beugen verstanden, dass widerrechtliches Töten zu einem vom Gesetz "gedeckten" wurden.
Nehme an, dies wird auch in der jüd. Antike nicht viel anders gewesen sein. (?)
Gruß von Reklov
Natuerlich ist das prinzipiell richtig, aber es ist schlicht naiv anzunehmen, dass irgendein Gesetz der damaligen Zeit das Recht auf Selbstverteidigung derart weit aushoehlen wuerde. Die zur Toetung anderer Menschen aufrufenden Texte des AT sind so umfangreich, dass jede These, der Text sei von Gott, in sich zusammenfallen wuerde, wenn man das in Urmilschs Sinne umdeuten wollte. Wenn die Ausnahme von der These zur Regel wird, dann ist halt etwas mit der These nicht in Ordnung.
Ich denke, das von mir zitierte Kapitel 19 von Leviticus ist eines der - nach unseren heutigen Massstaeben - ethisch "wertvollsten" im AT, und hat offensichtlich Anstoss fuer allerlei juedische Reformbewegungen gegeben (die Schule von Hillel hatte ich schon oefter genannt, und die Thesen Jesu sind - abgesehen von seiner Ansicht zur Heirat - mit denen von Hillel ident). Deshalb halte ich Jesus ja auch fuer ein typisches Beispiel solcher juedischen Reformer, die diese Textstellen wie Leviticus 19 im bestehenden Gesetz hervorheben wollten. Da steht ja auch, dass man am Sabbat zur Stillung des Hungers Aehren raufen darf, dass man zum Stillen des Hungers sich auch am Eigentum Anderer vergreifen darf, etc., also unter anderem Ideen, die Jesus dem NT nach vertreten haben soll. Gerade das mit dem Sabbat wird ja in der christlichen Predigt auch gerne je nach Gusto verwurstet, als ob das irgendeine revolutionaere Idee von Jesus gewesen waere. Auf die Weise wird auch verdeutlicht, was eigentlich mit dem Ausspruch Jesu gemeint war, dass kein Buchstabe des Gesetzes vergehen wuerde bis ans Ende der Welt; er wollte halt nur, dass die menschenfreundlichen Passagen nicht vergessen werden, die klar machen, dass das Gesetz fuer den Menschen da ist.
Uebrigens gilt Dein Einwand letztlich auch fuer die Ursprungslegende des Gesetzes selbst. Sinai erzaehlt ja gerne die Geschichte, wie das Gesetz (das Deuteronomium, nicht die ganze Tora - die kam spaeter) hinten im Tempel "gefunden" wurden und dann dem Volk in einer eigens anberaumten Versammlung vorgetragen wurde. Tja, wer das wohl "gefunden" hat...