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Chronologie biblischer Schriften
#1
Viele Leute hier haben wahrscheinlich eine zumindest vage Vorstellung davon, wann die verschiedenen Bibeltexte in etwa entstanden sind, aber ich habe neulich eine sehr schoene Grafik gefunden, die das mal kompakt darstellt.

*https://cdn.shopify.com/s/files/1/1835/6621/files/when-was-the-bible-written.pdf

Der Link mag zu "shopify" gehen, aber er verlinkt nur ein pdf mit der von mir genannten Grafik. Diese ist unter der Creative Commons License frei verbreitbar, solange die darauf enthaltenen Urheberangaben nicht geloescht werden. Der Autor hat eine entsprechende Ausbildung (Doktor der Religionswissenschaften), aber nur die Grafik stellt eine eigene Arbeit dar, nicht der Inhalt, der nur das abbildet, was ein Pastor heute bei seiner Ausbildung zum Seelsorger lernt (z.B. in Einleitungen wie der von Gertz zum AT).

Die Grafik beginnt bei 850 v.Chr., was etwa dem Moment entspricht, wann die Bibeltexte erkennbar historisches Material verarbeiten, im Gegensatz zu Legenden (wie David oder Salomon) oder Mythen (wie Moses oder Abraham). Da der Autor Jude ist, folgt er beim AT der juedischen Einteilung in Tora, Propheten und Schriften. Die Buchstaben bei den Vorlaeufertexten der Tora entsprechen denen, die die "Neuere Urkundenhypothese" von Wellhausen einfuehrte (E = Elohist, J = Jahwist, D = Deuteronomist, P = Priesterschrift). Die "Neuere Urkundenhypothese" ist dabei nicht neu, sondern aus dem 19. Jhdt.; sie hat den Namen nur wegen aelterer Vorlaeufer. Diese Hypothese ist auch heute noch bedeutsam, trotz vieler Alternativvorstellungen im Detail. Dahinter zurueck geht keine heutige Hypothese.

Zwar reiten Apologeten gerne darauf herum, dass es so viele Hypothesen gaebe wie Alttestamentler, aber dabei darf man gewisse Gemeinsamkeiten der Modelle nicht uebersehen:

1. So gut wie alle Modelle beinhalten die "Priesterschrift" P. Diese stammt aus einem Zeitraum, als es keine Koenige mehr gab, egal ob man sie nun waehrend des babylonischen Exils oder in der Perserzeit oder beiden Zeiten verortet. Je nach Definition werden nur die erzaehlerischen Komponenten der Tora beruecksichtigt oder auch die Gesetzestexte. Nimmt man letztere hinzu, so gehoeren zu dieser Schrift das ganze Buch Leviticus (3 Mose), ein Grossteil von Exodus (2 Mose) und Numeri (4 Mose), sowie kleinere Teile von Genesis, unter anderem auch der erste Schoepfungsbericht (Gen 1:1). Dies beinhaltet die die gesamte Tora ueberspannende Gesamterzaehlung. Die Priesterschrift betont die Rolle und Autoritaet der Priester (daher der Name) und ist wahrscheinlich geschrieben worden, um die aelteren Texte zu ersetzen. Die Grafik zeigt auch, dass die Buecher Ezekiel und Sacharja von Stil und Ausblick derselben Schreibschule zugeordnet werden. Die Konzepte in diesen Teilen sind etwas "moderner" (das Gebot der Naechstenliebe und des Verzichts auf Rache gehoeren in diesen Komplex).

2. Auch der Deuteronomist (Deuteronomie = das 2. Gesetz, 5 Mose) ist relativ unumstritten; lediglich die Zugehoerigkeit von Josua, Richter, Samuel und Koenige wird kontrovers diskutiert, aber auch da wird trotzdem ein gemeinsamer Ursprung angenommen, egal ob man das fuer ein zusammenhaengendes Werk haelt oder nicht. Entgegen dem Namen gilt der Gesetzesteil des Buches Deuteronomie als das aelteste zusammenhaengende Gesetzeswerk in der Tora. Der Ursprung wird in Juda zur Zeit des Josia gesehen, also entspricht dem Buch, das angeblich "im Tempel gefunden" wurde. Was Koenig Josia da gefunden hat, ist heutigen Historikern auch relativ klar: Der Rahmentext des Buches entspricht einem neoassyrischen Vasallenvertrag, also so einem, wie der ungeliebte assyrische Herr Josias ihm wohl auf den Tisch geknallt hat. Da wurde wohl nur der Name "Assur" gegen "Jahwe" ausgetauscht, und gut war. Josias Versuch, seinen Oberkoenig loszuwerden, scheiterte allerdings. Die resultierende religioese Schrift hatte aber langfristigere Auswirkungen. Mit dem Deuteronomisten werden harsche Gesetze verbunden, wie z.B. die Vernichtungsweihe.

3. Beim Elohisten und Jahwisten scheiden sich dann aber die Geister. Dass man viele doppelt bis mehrfach vorhandene Erzaehlungen z.B. im Buch Genesis unterschiedlichen Quellschriften zuordnen kann, ist dabei unstrittig. Die Frage geht etwa darueber, ob man, wie urspruenglich von Wellhausen vorgeschlagen und auch heute noch vom katholischen Zenger propagiert, hier auf eine schon vorexilisch, aus zwei Ursprungserzaehlungen (E und J) zusammengefasste Gesamterzaehlung schaut, also einen direkten Vorlaeufer der Priesterschrift, oder ob man, wie von den meisten protestantischen Theologen favorisiert, auf viele separate Quelltexte schaut, einen Schatz alter Erzaehlungen, die keinen inneren Zusammenhang hatten.

4. Die eigentliche Komposition der Tora wird heute meist in der Perserzeit II verortet, also etwa zur Zeit Esras. Dabei scheint es sich um eine Kompromissveranstaltung gehandelt zu haben, da sowohl die Priesterschrift als auch die Schriften, die sie ersetzen sollte, in die Tora eigefuegt wurden, wobei das heutige, oft Erzaehlstraenge zerstoerende Durcheinander, das wir in der Tora vor uns haben, entstanden ist. Die Buecher Esra-Nehemia und Chroniken gehoeren in dieselbe Entstehungszeit. Auch dort ist der Kompromisscharakter spuerbar, da die Texte anerkennen, dass die Staemme Ephraim und Manasse immer noch in Samaria wohnen und auch an der Neugruendung Jerusalems beteiligt waren. Der spaetestmoegliche Termin hier ist natuerlich vor dem Bruch mit den Samaritanern. Da ihre Tora sehr aehnlich aussieht, waren sie an der Komposition wohl noch beteiligt, bevor Samaria es leid war, dass hier der Schwanz mit dem Hund wackeln wollte.

Wie schon angedeutet, deutet die Grafik auch zusammengehoerige Textschulen an, oder die verschiedenen Entstehungszeitraeume des Buches Jesaja. Die letzten kanonischen Prophetenbuecher wurden in der Perserzeit geschrieben, der letzte kanonisierte Text, der unter allgemeine "Schriften" faellt, waere Daniel am Ende der hellenistischen Zeit.

Zu den ganzen AT-Apokrypha und den NT-Texten schreibe ich jetzt weiter nichts, da ersteres wohl die meisten Leute weniger interessiert und zweiteres wohl allgemein bekannt sein sollte.

Ich hoffe, jemand findet das informativ.
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#2
danke, ich finde das sehr informativ

zumal man ja instinktiv dazu neigt, die reihenfolge in der bücher in der bibel für eine chronologische zu halten
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#3
Beitrag #1
(13-12-2021, 17:09)Ulan schrieb: Ich hoffe, jemand findet das informativ.

Vielen Dank, das ist sehr informativ!

E = Elohist, J = Jahwist, D = Deuteronomist, P = Priesterschrift
Diese sehr interessante These kenne ich, es spricht viel dafür.
Darüber können wir uns sehr gerne unterhalten.
Auch Jan Assmann schrieb darüber

Zu der Graphik möchte ich sagen, daß sie in der Tat sehr interessant ist, aber die Stimme des Vortragenden gefällt mir nicht.
Zu großgoschert! Hört sich an wie ein Verschnitt von Alfred Rosenberg und einer Sekte
Ich habe gleich abgedreht, weil ich diese Stimme schlichtweg nicht aushalte. Ein Diktator der jeden Widerspruch niederwalzt.
In einer Vorlesung hätten wir Studenten so einen — egal in welchem Fach — zur Schnecke gemacht!
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#4
Friedman baute das noch aus und schrieb von J, E, P, D1, D2, R

Die Trennung D1, D2 gibt sehr viel her!


Schau Dir das an:

Prof. Richard Elliott Friedman. Wer schrieb die Bibel. 1992
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#5
(13-12-2021, 18:59)petronius schrieb: danke, ich finde das sehr informativ

zumal man ja instinktiv dazu neigt, die reihenfolge in der bücher in der bibel für eine chronologische zu halten

Danke. Klar, die erste Vorstellung, die man hat, ist wohl, dass Genesis das aelteste Buch sei. Dabei ist gerade der Anfang sehr jung, aber natuerlich sind dort auch sehr alte Erzaehlungen verarbeitet. Gerade Buecher wie Genesis oder Exodus gleichen einem Flickenteppich von Texten aus verschiedensten Zeiten.
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#6
(13-12-2021, 23:38)Sinai schrieb: Zu der Graphik möchte ich sagen, daß sie in der Tat sehr interessant ist, aber die Stimme des Vortragenden gefällt mir nicht.

Stimme? Der Link ging zu einem pdf. Allerdings sehe ich mit meinen Browsereinstellungen weder Werbung, Popups noch sonst irgendetwas, so dass mir nicht bewusst war, dass da irgendetwas gelinkt waere.

Falls Du irgendwie anders auf seine Videos gestossen bist (z.B. Link aus pdf kopiert): nun ja, er scheint halt sehr ueberzeugt von sich zu sein. Stoert mich jetzt nicht sonderlich, da die meisten Dinge, die er sagt, inhaltlich ganz okay sind - von ein paar Ungenauigkeiten abgesehen.

Was die Details der Thesen zur Entstehungsgeschichte der Tora angeht, so wollte ich da jetzt nicht sehr tief gehen. Mir ging's mehr darum, die Gemeinsamkeiten der im Detail oft unterschiedlichen Thesen herauszustreichen. Ein paar Befunde sind halt so offensichtlich, dass jeder Alttestamentler, der sich mit Einleitungsfragen beschaeftigt, in der Beziehung zu aehnlichen Loesungen kommt.
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#7
Wie gesagt ist das alles sehr interessant und ich werde es mir morgen (eigentlich schon heute) zu Gemüte führen

Vielen Dank!
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#8
Sinai wurde soeben wegen Spammens verwarnt.
Beitrag entfernt!
Gestapo, Stasi, Securitate haben mit dem Thema nichts zu tun.
MfG B.
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