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Babylonisches Exil
#1
Quellen, die über die Lebensverhältnisse exilierter ↗Israeliten berichten, sind widersprüchlich, zum Teil theologisch überarbeitet und zu manchen Ereignissen einfach nicht vorhanden. 

Die aus dem Nordreich nach assyrischen Eroberungen 732 und 722 vC Deportierten haben keine Spuren hinterlassen. Sie werden sich wohl assimiliert haben. Ihre Geschichte fällt somit aus. Deportationen aus dem Südreich (↗Juda) durch die ↗Assyrer sind ab 701 vC auszumachen. Das Reich aber blieb in seiner Staatlichkeit bis zu seiner Vernichtung durch die ↗Neubabylonier (598/7 bzw. 587/6 vC) bestehen. Also lässt die Fachgelehrtenschaft die Exilszeit mit dem Verlust der Staatlichkeit Judas (587/6 vC) beginnen und mit der Eroberung Babyloniens durch die ↗Perser unter ↗Kyros II. (539/8 vC) enden, obwohl nennenswerte Rückwanderungen wohl erst kurz vor 520 vC stattgefunden haben. Exilierte aber waren in ↗Babylonien schon vor 598 vC vorhanden gewesen und sind ihrer Mehrzahl nach 520 vC dort auch verblieben.

Der Großteil der Exilierten war wohl auf durch Kriegshandlungen entvölkertes Land verbracht worden. Sie wurden, soweit man ↗Ezechiel (1,1; 3,15) glauben darf, am Fluss Kebar (Chabur) im Raum ↗Nippur angesiedelt. Dort hatten sie vornehmlich Landwirtschaft zu betreiben oder ein Handwerk auszuüben. Tätigkeiten, die von den Betroffenen, die der israelitischen Oberschicht entstammten, zunächst als bedrückend und erniedrigend empfunden werden mussten.

Dennoch dürfte das Bild, das von der jüdischen Frömmigkeit geschaffen (Ps 137; Schilderungen im Talmud) und von der christlichen genährt wurde (zB Vergleiche, die ↗Hieronymus in Briefen anstellt; Aug. civ. 17,1; etc.), wonach die "babylonische Gefangenschaft" mit einem elenden Sklavenleben der Betroffenen verbunden war, nicht den Tatsachen entsprochen haben.

König Jojachin und sein Hofstaat hatten in Babylon unter ↗Nebukadnezar wohl ein durchaus komfortables Leben geführt1.

Der Status der übrigen Exilierten dürfte anfangs dem der ↗Heloten ↗Spartas vergleichbar gewesen sein, mit dem Unterschied, dass sie Königs- und nicht Gemeinbesitz gewesen waren. Das hatte den Vorteil, dass sich niemand an ihnen vergreifen durfte.

Den Exilierten war weitgehende Selbstverwaltung zugestanden. Zudem hatten sie mit König Jojachin jemanden am Hof, der ihre Sorgen und Wünsche vortragen konnte. Mit der Herrschaft ↗Ewil-Merodachs begann sich der Status der Exilierten weiter zu verbessern. Die Folgegenerationen dürften mit ihrem Schicksal also nicht unzufrieden gewesen sein. Als König Kyros mit einem Rechtsakt (↗Kyros-Edikt) den Wiederaufbau des Tempels und die Rückgabe des Tempelschatzes verfügte (Esr 6,3-5), waren die Juden in Babylonien eine ethnisch geschlossene, wirtschaftlich gut situierte Gemeinschaft gewesen.

Nach dem Jahr 532 - der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt - war es den Juden erlaubt, nach ↗Jerusalem zurückzukehren. Jedenfalls fanden in der Zeit zwischen 532 und 520 (Baubeginn des 2. Tempels) Rückwanderungen statt. Wann genau, lässt sich mit Bestimmtheit nicht sagen. Möglicherweise auch erst am Anfang der Regierungszeit von König ↗Darius I. Dass schon von König Kyros nebst dem Wiederaufbau des Tempels auch die Rückkehr der Juden nach Jerusalem verfügt worden wäre, wie das Esr 1,2-4 glauben macht2, ist jedenfalls nicht anzunehmen. Es wäre sonst kaum zu erklären, dass der Tempel noch 520 in Trümmern lag (Hag 1,4)3. Ein guter Teil der Juden jedenfalls zog es vor, in Babylonien zu bleiben. Offenbar waren die Hoffnungen, die mit einer Rückkehr einhergingen, für viele nicht verlockend genug, um die mittlerweile gewonnenen, recht guten Lebensverhältnisse aufzugeben.



1) Dass Jojachin bis zum Herrschaftsantritt Ewil-Merodachs tatsächlich "im Kerker" saß, wie es in 2Kön 25,27ff. und im Talmud behauptet wird (zB Meg. I, xi Fol. 11b), trifft historisch nicht zu. Das belegt eine Textquelle, die in das Jahr 592 verweist, wonach Jojachin und seine fünf Söhne ihre Alimentation erhalten haben, und zwar das Zwanzigfache einer Normalzuteilung. Zudem ist Jojachin in dieser Auflistung mit seinem Königstitel vermerkt. Beides spricht für eine durchaus geachtete Stellung am Hof.

2) Die einschlägige Forschung hält in ihrer Mehrheit diese inhaltliche Teilwiedergabe des Kyrosedikts für historisch nicht korrekt.

3) Dazu in Widerspruch steht die Behauptung (Esr 5,16), dass noch in der Regierungszeit Kyros' II. mit dem Wiederaufbau des Tempels begonnen worden wäre.



Literatur:
Herbert Donner. Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn. 2 Bde. 1984 Göttingen. Verl. Vandenhoeck & Ruprecht.
Rainer Albertz. Die Exilszeit. 2001 Stuttgart. Verl. Kohlhammer (Bibl. Enzyklopädie Bd 7).
Haim Hillel Ben-Sasson. Geschichte des jüdischen Volkes. 52007 München. Verl. C. H. Beck.



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MfG B.
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