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Glauben als Wesensmerkmal
#16
@koon: Das stimmt doch nicht. Ich habe absichtlich zwei Fragen formuliert, die verschiedenen Sichtweisen aufzeigen:

1.Ist es dem Menschen möglich diese "tiefe Sehnsucht" und die damit einhergehenden offenen Fragen zu überwinden und sich komplett von Religion zu lösen?

2.Oder ist Religion tatsächlich ein Wesensmerkmal des Menschen, dass er zwar unterdrücken, jedoch nie überwinden kann (bsp.: fanatischer Atheismus)?
#17
(04-09-2012, 21:53)Gundi schrieb: @schmalhans:

Wenn Glaube lediglich, gleich einer Droge, Stimulation ist, so stellt sich die Frage weshalb der Mensch sich überhaupt Fragen zb. nach seiner Existenz stellt? Das ein trauriger, einsamer Mensch Zuflucht im Glauben findet, kann ich verstehen und mit deiner Antwort in Einklang bringen. Aber das sind ja nicht die einzigen Motive für Menschen zu glauben. Weshalb werden auch, für das irdische Dasein unerhebliche (?) Fragen gestellt, wie die nach einem Sinn?

Nicht gläubige Menschen stellen diese Fragen auch, haben aber andere Antworten als gläubige Menschen. Glauben hat also mit der Fragestellung an sich nichts zu tun.
Es gibt weder gut noch böse in der Natur, es gibt keine moralische Entgegensetzung, sondern es gibt eine ethische Differenz. (Gilles Deleuze)
#18
(04-09-2012, 22:29)schmalhans schrieb:
(04-09-2012, 21:53)Gundi schrieb: @schmalhans:

Wenn Glaube lediglich, gleich einer Droge, Stimulation ist, so stellt sich die Frage weshalb der Mensch sich überhaupt Fragen zb. nach seiner Existenz stellt? Das ein trauriger, einsamer Mensch Zuflucht im Glauben findet, kann ich verstehen und mit deiner Antwort in Einklang bringen. Aber das sind ja nicht die einzigen Motive für Menschen zu glauben. Weshalb werden auch, für das irdische Dasein unerhebliche (?) Fragen gestellt, wie die nach einem Sinn?

Nicht gläubige Menschen stellen diese Fragen auch, haben aber andere Antworten als gläubige Menschen. Glauben hat also mit der Fragestellung an sich nichts zu tun.

Ich wage zu behaupten dass der Atheismus in seiner heutigen Häufigkeit eine noch recht junge Erscheinung ist und in früheren Zeiten solche Fragen vornehmlich unter dem Mantel der Religion diskutiert/beantwortet wurden (man möge mich korregieren, falls ich falsch liege).

Und das Zitat Kaspers mit dem fanatischen Atheimsmus wirft ja auch die Frage auf, ob eine Abwednung von den klassischen Religionen gleichbedeutend ist mit einer Abwendung vom Glauben, oder ob die so entstehende Lücke nicht durch anderes gefüllt wird, was durchaus einen Charakter von Glauben haben kann?
#19
(04-09-2012, 20:16)Gundi schrieb: Ist es dem Menschen möglich diese "tiefe Sehnsucht" und die damit einhergehenden offenen Fragen zu überwinden und sich komplett von Religion zu lösen?

eindeutig ja, so wie sich der heranwachsende von infantilen wunschvorstellungen löst, erwachsen wird und selbst verantwortung für sich und sein leben übernimmt
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#20
Wenn die von Gundi im Eingangspost zitierten Thesen korrekt wieder gegeben sind, und nichts Wesentliches ausgelassen, dann stimme ich Karl R. Wernhart zu, obwohl ich dessen Buch nicht kenne.
Auch andere Studien (zitiert und beschrieben bei Ulrich Schnabel, Die Vermessung des Glaubens) konnten experimentell nachweisen, dass es im menschlichen Kopf religiöse Grundstrukturen gibt, so ähnlich wie die Archetypen nach C. G. Jung. Die „religiösen Grundstrukturen“ sind analog zu den Archetypen vollkommen ambivalent und ihre Ausprägung von äußerlichen Eindrücken insbesondere der Erziehung und dem gesellschaftlichen Kontext abhängig. Bestätigt wird dies durch die vielen verschiedenen Religionen, die teilweise gut erkennbare landschaftliche und klimatische Eigenarten zeigen.

Da stellt sich natürlich die Frage nach der evolutionsbiologischen Herkunft oder dem Überlebensmechanismus. Um evolutionstechnisch Erkenntnisse zu gewinnen, müssen wir einige zehntausend Generationen zurück rechnen (ca. 200 bis 250 Tausend Jahre) und sehen, was Menschen passierte, die sich nicht an das hielten, was „man tut“. Man kann sich leicht vorstellen, dass solche Exemplare im statistischen Mittel benachteiligt waren. Es gab also tendenziell einen Selektionsvorteil für kooperierende Individuen, also Horden, Sippen und dergleichen.

Nun, Kooperation funktioniert umso besser, je konformer die Ansichten in der Horde sind. Voilà, damit sind zwar alle möglichen Vorstellungen verbunden. Wichtig ist, dass sie allen gemeinsam sind und vielleicht noch durch Tänze (oder andere Riten) verfestigt werden.
Transzendente Vorstellungen könnten in der weiteren kulturellen Entwicklung schon deshalb eine wesentliche Rolle spielen, weil sie quasi die ultimative Konformität darstellen – Dankes- und Opferriten eingeschlossen.

„Tiefe Sehnsucht“: Ich halte mit Ulrich Schnabel die tiefe Sehnsucht nach Antworten auf existenzielle Fragen für eine sekundäre Erscheinung. Nachdem nun mal Spiegelneuronen und der äußerliche Zwang zur Kooperation in frühen Gesellschaften da war, konnte der Mensch weitere Vorstellungen entwickeln, die über das eigene Leben hinaus greifen und mit der schlichten Konformität gemeinsamer Vorstellungen nur noch die Basis gemein hatten.

(04-09-2012, 20:16)Gundi schrieb: Ist es dem Menschen möglich diese "tiefe Sehnsucht" und die damit einhergehenden offenen Fragen zu überwinden und sich komplett von Religion zu lösen?
Oder ist Religion tatsächlich ein Wesensmerkmal des Menschen, dass er zwar unterdrücken, jedoch nie überwinden kann (bsp.: fanatischer Atheismus)?
Ich halte das Ansinnen, Religion zu überwinden, für Raubbau am Wesen des Menschen. Genauso gut könnte man versuchen, die Poesie abzuschaffen oder die Vereinsmeierei. Wir sind (nach den Studien) offenkundig Wesen, die durch gemeinsame Vorstellungen zu einer Gemeinschaft verbunden werden. Die Inhalte gemeinsamer Vorstellungen dürften relativ beliebig sein. Sinnvoll sind solche, die gewisse gesellschaftliche Normen stabil halten.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
#21
(04-09-2012, 21:37)Gundi schrieb: Offene Fragen wie "Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Gibt es einen Sinn? Warum sind wir überhaupt?..."

was soll daran offen sein?

wir kommen aus dem bauch unserer mutter, gehen ins grab, geben unserem dasein sinn und sind, weil sich unser vater mit unserer mutter...

oder evolutionär betrachtet: wir sind aus den prähominiden hervorgegangen, werden uns entwickeln zu was auch immer sich ergibt (oder als spezies aussterben), die existenz als spezies hat keinen übergeordneten sinn und wir existieren, weil sich das so ergeben hat
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
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#22
(04-09-2012, 21:41)Gundi schrieb: Und es könnte auch eine Erklärung sein, weshalb Menschen sich zu "Ersatzreligionen" wie Esoterik oder fanatischem Rationalismus hinwenden

was ist "fanatischer Rationalismus"?
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#23
(04-09-2012, 22:55)petronius schrieb:
(04-09-2012, 21:37)Gundi schrieb: Offene Fragen wie "Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Gibt es einen Sinn? Warum sind wir überhaupt?..."

was soll daran offen sein?

wir kommen aus dem bauch unserer mutter, gehen ins grab, geben unserem dasein sinn und sind, weil sich unser vater mit unserer mutter...

Ich denke, nicht jeder Mensch gibt sich damit zufrieden.
#24
(04-09-2012, 22:38)Gundi schrieb: Ich wage zu behaupten dass der Atheismus in seiner heutigen Häufigkeit eine noch recht junge Erscheinung ist und in früheren Zeiten solche Fragen vornehmlich unter dem Mantel der Religion diskutiert/beantwortet wurden (man möge mich korregieren, falls ich falsch liege).

Richtig, das menschliche Bewusstsein hat sich weiter (und zwar darüber hinaus) entwickelt.
Es gibt weder gut noch böse in der Natur, es gibt keine moralische Entgegensetzung, sondern es gibt eine ethische Differenz. (Gilles Deleuze)
#25
(04-09-2012, 21:53)Gundi schrieb: Wenn Glaube lediglich, gleich einer Droge, Stimulation ist, so stellt sich die Frage weshalb der Mensch sich überhaupt Fragen zb. nach seiner Existenz stellt?

hat schmalhans doch erklärt:

"Ein bestimmtes Bedürfnis wird nicht erfüllt (Trost, Glück, Liebe, ...) und ich brauche einen Ersatz"

(04-09-2012, 21:53)Gundi schrieb: Das ein trauriger, einsamer Mensch Zuflucht im Glauben findet, kann ich verstehen und mit deiner Antwort in Einklang bringen. Aber das sind ja nicht die einzigen Motive für Menschen zu glauben

sondern?

mal von "transzendenzerlebnissen" abgesehen

(04-09-2012, 21:53)Gundi schrieb: Weshalb werden auch, für das irdische Dasein unerhebliche (?) Fragen gestellt, wie die nach einem Sinn?

das mußt du die fragen, die sich dazu genötigt fühlen. vielleicht, weil sie nicht in der lage sind, dem eigenen dasein selber sinn zu geben?
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#26
(04-09-2012, 23:02)petronius schrieb:
(04-09-2012, 21:53)Gundi schrieb: Wenn Glaube lediglich, gleich einer Droge, Stimulation ist, so stellt sich die Frage weshalb der Mensch sich überhaupt Fragen zb. nach seiner Existenz stellt?

hat schmalhans doch erklärt:

"Ein bestimmtes Bedürfnis wird nicht erfüllt (Trost, Glück, Liebe, ...) und ich brauche einen Ersatz"

Der Mensch stellt Fragen nach seiner Existenz, weil er kein Glück hat?
#27
(04-09-2012, 22:53)Ekkard schrieb: Ich halte das Ansinnen, Religion zu überwinden, für Raubbau am Wesen des Menschen. Genauso gut könnte man versuchen, die Poesie abzuschaffen oder die Vereinsmeierei. Wir sind (nach den Studien) offenkundig Wesen, die durch gemeinsame Vorstellungen zu einer Gemeinschaft verbunden werden. Die Inhalte gemeinsamer Vorstellungen dürften relativ beliebig sein. Sinnvoll sind solche, die gewisse gesellschaftliche Normen stabil halten.

Soso, und Religionen wären also die einzigen Vorstellungen, die gesellschaftliche Normen stabil halten? Dann leben wir offenbar in unterschiedlichen Gesellschaften.

Der Mensch hat viele Formen des Umgangs mit der Umwelt überwunden - die Welt des magischen Schamanismus, des Animismus, des mythologischen Denkens: warum also nicht auch die des religiösen Denkens?
Es gibt weder gut noch böse in der Natur, es gibt keine moralische Entgegensetzung, sondern es gibt eine ethische Differenz. (Gilles Deleuze)
#28
(04-09-2012, 23:06)Gundi schrieb:
(04-09-2012, 23:02)petronius schrieb:
(04-09-2012, 21:53)Gundi schrieb: Wenn Glaube lediglich, gleich einer Droge, Stimulation ist, so stellt sich die Frage weshalb der Mensch sich überhaupt Fragen zb. nach seiner Existenz stellt?

hat schmalhans doch erklärt:

"Ein bestimmtes Bedürfnis wird nicht erfüllt (Trost, Glück, Liebe, ...) und ich brauche einen Ersatz"

Der Mensch stellt Fragen nach seiner Existenz, weil er kein Glück hat?

Nein, die Fragen nach der Existenz, dem Sinn etc. sind nicht an die Antwort des Glaubens gebunden. Der Glaube beantwortet die Frage ja auch nicht, sondern gibt einen Antwortersatz.
Es gibt weder gut noch böse in der Natur, es gibt keine moralische Entgegensetzung, sondern es gibt eine ethische Differenz. (Gilles Deleuze)
#29
(04-09-2012, 23:25)schmalhans schrieb: Nein, die Fragen nach der Existenz, dem Sinn etc. sind nicht an die Antwort des Glaubens gebunden. Der Glaube beantwortet die Frage ja auch nicht, sondern gibt einen Antwortersatz.

Nun ja, statt "Antwortersatz" würde ich sagen "eine mögliche Antwort".
Mehr aber auch nicht, da stimme ich zu.
#30
(05-09-2012, 09:27)Gundi schrieb:
(05-09-2012, 07:26)petronius schrieb:
(04-09-2012, 23:00)Gundi schrieb: Ich denke, nicht jeder Mensch gibt sich damit zufrieden.

das ist zweifellos richtig

aber solche unzufriedenheit gehört sicher nicht zum wesensmerkmal des menschen bzw. aller individuen

Dann verstehst du mich nicht. Es geht nicht um die Unzufriedenheit, sondern darum dass Menschen Fragen nach der eigenen Existenz fernab der biologischen Vorgänge stellen.
Und solche Fragen ziehen sich nun einmal durch die Geschichte des Menschen und erlauben daher die Frage ob sie Wesensmerkmal von ihm sind.

(05-09-2012, 07:26)petronius schrieb: trost, glück, liebe sind erfüllende, ja sinngebende emotionen. wer sie erfährt, dem fällt es leichter, seinem dasein sinn zuzuordnen, es nicht als sinnlos zu empfinden. existenzfragen ("warum bin ich überhaupt hier in diesem jammertal") könnten somit eine ersatzhandlung darstellen ("wenn ich in meinem dasein keinen sinn finde, konstruiere ich mir einen externen" - nicht, daß dies so bewußt abliefe...)

Möglich. Ich wage jedoch zu behaupten dass auch Menschen die all das haben (Liebe, Glück, Trost) sich solche Fragen stellen.

Natürlich machen sich die Menschen darum ihre Gedanken und stellen Fragen. Nur haben Philososphie und Wissenschaft der Religion spätestens seit der Antike den Rang abgelaufen - mit herben Rückschlägen zwar, die jedoch mit Gewalt durchgesetzt wurden. Mittlerweile kann die Religion der Philosophie aber schon lange nicht mehr das Wasser reichen - das einzige, was Religion kann ist: populistisch sein und also Massen beeinflussen. Da vergleiche ich sie gerne immer wieder mal mit der "Bild".
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