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Koran
#1
(Text in Arbeit)

Der Koran ist die festgeschriebene Sammlung von Offenbarungen, die ab dem Jahr 609 an den Propheten Mohammed (568/9- 632) ergangen sind. Über den ↗Botenengel ↗Gabriel empfing er die "göttliche Rede". Nach gängiger Meinung heißt "Koran" Vortrag (Vorzutragendes), Lesung.

Nach islamischer Überlieferung erhält ↗Mohammed mit der ersten Offenbarung (Sure 96:1-5)1 den Auftrag, vor die Menschen zu treten, um die göttliche Weisheit, das göttliche Gesetz vorzutragen:

Rezitiere, im Namen des Herrn, der den Menschen aus einem Blutklumpen geschaffen hat. Rezitiere, denn dein Herr ist der hochgelehrte, der den Menschen mit dem Schreibrohr gelehrt hat, was er nicht wusste.

Nach islamischer Vorstellung wurde den Menschen über Mohammed vermittelt, was schon vor der Erschaffung der Welt in einer Urschrift (… eine ruhmreiche Lesung auf einer wohlverwahrten Tafel) festgeschrieben stand (85:21-22).

Dem Beispiel Mohammeds folgend hat jeder ↗Muslim die Pflicht, das Gotteswort immer wieder vorzutragen und es den Menschen ins Gedächtnis rufen, bis sie es verinnerlicht haben.

Der Koran ist – abgesehen von wenigen stilistischen und grammatischen Eigentümlichkeiten, die auf die Mundart, die im Wohngebiet Mohammeds gesprochen wurde, verweisen -  in ↗Hocharabisch, der auf der Arabischen Halbinsel gebräuchlichen lingua franca, verfasst.

In der heute gebräuchlichen Form ist der Koran in 114 Suren unterteilt. Jede Sure trägt eine oder mehrere Überschriften, die sich auf den Inhalt derselben beziehen. Die Suren wiederum sind in Verse (arab. "ajat", was soviel wie "Wunderzeichen" heißt) unterteilt. Die koranische Reimprosa wird stark rhythmisiert vorgetragen.

Wie der Koran heute vorliegt, ist er das Produkt einer umfangreichen redaktionellen Bearbeitung, die schon bald nach dem Tod Mohammeds unter seinem Nachfolger, ↗Abu Bakr (reg. 632-634), seinen Anfang nahm.

Da unmittelbar nach dem Tod Mohammeds viele Stämme vom ↗Islam abfielen, kam es zu blutigen Auseinandersetzungen, in denen eine beträchtliche Anzahl von Korankennern ihr Leben verloren. Nach islamischer Überlieferung war Abu Bakr besorgt, das göttliche Wissen könnte den Menschen verlorengehen. Er ordnete daher an, der Koran solle in seiner Gesamtheit niedergeschrieben werden. So wird es jedenfalls von az-Zuhri (gest. 741), dem Berichterstatter zur ersten Koranredaktion, erzählt.

Für diese Aufgabe wurde Zaid b. Tabit, ein Vertrauter und Schreiber Mohammeds, gewonnen. Zaid soll alles, was an Texten vorzufinden war, zusammengetragen haben. Einzelne Koranverse sollen auf Palmblättern, Holzrinde, Brettern, gegerbten Häuten, weichen Steinen, Tierknochen, Stoffresten, etc. niedergeschrieben gewesen sein. Der überwiegende Teil der koranischen Botschaft aber, wird berichtet, stammt "aus den Herzen der Männer", war also zu Zeiten Abu Bakrs in der Erinnerung der Gefährten Mohammeds verwahrt.

Offenbar war zu Mohammeds Lebzeiten nur ein kleiner Teil der Offenbarung von seinen Gefährten als Gedächtnisstütze schriftlich festgehalten worden. Einen offiziellen, von Mohammed autorisierten Text gab es nicht.

Was für die europäische Auffassung als erheblicher Unsicherheitsfaktor gilt, nämlich die überwiegend mündliche Überlieferung des Textes, galt den Muslimen in der Frühzeit des Islam als eine der schriftlichen Überlieferung nicht nur ebenbürtige, sondern dieser überlegene und daher vorzuziehende Form der Verwahrung und Weitergabe von Wissen.

Ob die Arbeit Zaids zu einem Abschluss kam und was sie bewirkte, verschweigen die Quellen. Da sich unter Abu Bakrs Nachfolgern ↗Umar (reg. 634-644) und ↗Utman (reg. 644-656) offenbar verschiedene Textausgaben etablierten, berief ↗Kalif Utman ein Gremium ein, das eine verbindliche Version des Textes schaffen sollte. Diesem Gremium gehörte auch Zaid b. Tabit, der als der beste Korankenner seiner Zeit galt, an.

Dieser Arbeit zugrunde gelegt wurde ein Text, der sich im Besitz der Tochter Umars, Hafsa, befand. Nach einer anderen Version wurde ein auf Pergament niedergeschriebener Text aus dem Besitz von ↗Aisha benutzt. Ob bei diesem Text die Anordnung der Suren, die von der Chronologie ihrer Offenbarung erheblich abweicht, schon vorlag, lässt sich heute nicht mehr sagen. Die Quellen dazu sind unzureichend und zum Teil widersprüchlich überliefert. Die Vorgeschichte zur utmanschen Redaktion bleibt somit ungesichert.

Fest steht jedenfalls, dass Utman nach Beendigung der Arbeit vier Kopien des Korantextes anfertigen und mit dem Auftrag verteilen ließ, dass alle von diesem Text abweichenden Exemplare zu vernichten seien. Berichtet wird, dass Utman jeder Kopie ein Begleitschreiben beifügt hatte, in dem er festhielt, man habe drei verschiedene Koranversionen durchgearbeitet, die man in manchen Aussagen nicht in Übereinstimmung habe bringen können. Den Muslimen aber müsse das Schicksal der ↗Christen erspart bleiben (gemeint waren die vier ↗Evangelien, die in machen Aussagen nicht übereinstimmen)2, daher verfüge er eine einheitliche Version des Koran. Die Auffassung, dass der von Utman verfügte Korantext von Anfang an die Zustimmung aller wichtigen Männer gefunden habe, ist historisch nicht richtig. Eine auch noch nach dem Vernichtungsbefehl Utmans verbreitete Koranversion war beispielsweise jene des Abdallah b. Masud. Ibn Masud war ein enger Gefährte Mohammeds gewesen, der sich im Zuge der Eroberungsfeldzüge in ↗Kufa niedergelassen hatte. Insbesondere unter den Anhängern ↗Alis hatte seine Version des Korantextes eine große Anhängerschaft.

Jedenfalls lassen sich von der utmanschen Version abweichende Textfragmente noch ein paar Jahrhunderte nach der Regierungszeit Utmans in Korankommentaren nachweisen. Noch im 10. Jh konnten bedeutende islamische Gelehrte erst nach Anwendung der Prügelstrafe davon überzeugt werden, dass die utmansche Textversion die authentischste und somit die verbindliche sei3.

Auch was die utmansche Version des Koran betraf, gab es Unsicherheiten in der Lesung. Führende Korangelehrte bemerkten wie unzureichend der vorliegende Text war. Für die zur Zeit Utmans verwendete arabische Schrift gab es weder Vokalzeichen noch die später übliche Punktierung, mit der man verschiedene Konsonanten voneinander unterscheiden konnte. Der Text war also nur als Merkhilfe für jene brauchbar, die mit ihm vertraut waren.

Glaubhaften Berichten zufolge war es al-Haĝĝag, der zwischen 694-714 Gouverneur im Iraq gewesen war, der Vokalzeichen und die Punktierung für Konsonanten einführte, mit deren Hilfe der koranische Text eindeutig werden sollte4. Da die neue Schrift nur zögerlich akzeptiert wurde, war es erst um das Jahr 900 möglich geworden, auf die seit der utmanschen Reform aufgetretenen Probleme einzugehen. Etwa zu dieser Zeit erschien das Buch des Korangelehrten Ibn Muĝahid "Die sieben Lesungen". Er verzichtete auf weitere Versuche, für den Koran einen absolut gleichlautenden Vortrag zu schaffen und begründete die Festlegung auf "sieben Lesarten" desselben mit dem Verweis auf einen ↗Hadith, wonach Mohammed gesagt haben soll, ↗Gabriel selbst habe ihm den Texte in sieben Lesarten vorgetragen.

Die bis dahin etablierte Meinung, jede Lesart, die mit der Grammatik übereinstimme und einen vernünftigen Sinn ergäbe, sei zulässig, durfte nicht mehr vertreten werden.


1) Von manchen Islamgelehrten wird hingegen 77:1-7 als die älteste Offenbarung genannt (vgl. Tabari Annales, I, 1155 f.). Westliche Islamwissenschafter legen sich in der Regel dazu nicht fest. Angelika Neuwirth kommt in ihrem Kommentar zur Sure 96 zu dem Schluss (in: Der Koran Bd 1, Frühmekkanische Suren, 2011 Berlin, Insel Verlag, S. 260), dass auch die Sure 87 noch vor der Sure 96 entstanden sein müsse.
2) Nagel 2008, S. 580
3) Nagel 2002, S. 23
4) Watt 1980 Bd 1, S. 182

Literatur:
Tilman Nagel. Der Koran. Einführung – Texte – Erläuterungen. 2002 München, Verl. C. H. Beck
Tilman Nagel. Mohammed. Leben und Legende. 2008 München. Verl. Oldenbourg
Angelika Neuwirth. Der Koran Bd 1, Frühmekkanische Suren. 2011 Berlin, Insel Verlag
William Montgomery Watt, u.a. Der Islam 3 Bde, 1980 Stuttgart. Verlag W. Kohlhammer



● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
MfG B.
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