Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Junia (und Andronikus)
#1
Im ↗Römerbrief (16,7) grüßt ↗Paulus Andronikus und Junia, vermutlich ein Ehepaar1, und streicht ganz besonders heraus, dass die beiden "ausgezeichnet unter den ↗Aposteln" seien. Dieser Vers im Römerbrief ist der deutlichste Beleg für ↗Frauen in Führungsposition in der Alten Kirche2. In der östlichen Kirche ist das Andenken an Junia bis heute lebendig, sie wird dort als ↗Heilige verehrt. Ihr Gedenktag ist der 17. Mai. Andronikus gilt in der Osttradition als einer der 70 Herrenjünger, die ↗Jesus bei der Verkündigung unterstützt haben.

Die ↗Alte Kirche hatte mit der Vorstellung, dass eine Frau ein Apostelamt bekleidet, offenbar kein Problem. ↗Johannes Chrysostomos beispielsweise schreibt in seinen ↗Homilien zum Römerbrief über Junia und Andronikus:

Ein Apostel sein, ist schon etwas Großes: Bedenke nun welch großes Lob es ist, unter den Aposteln ausgezeichnet sein. Ausgezeichnet waren sie durch ihre Werke, durch ihre Tugenden. Wahrlich, groß muss auch die Tugend dieser Frau gewesen sein, dass sie sogar den Namen Apostel verdiente (Joh. Chrysostomos, hom. Röm. 31,2).

Erst im ↗Hochmittelalter wird Junia zu Junias und damit männlich3. Verantwortlich dafür war wohl Aegidius von Rom (1245-1316) gewesen4, der sich nicht mehr vorstellen konnte, dass eine Frau im Zentrum der Verkündigung gestanden und möglicherweise für die Gründung der Gemeinde in ↗Rom Mitverantwortung getragen habe5. Mit der ↗Bibelübersetzung ↗Luthers wurde die männliche Lesart Junias festgeschrieben6.

In den meisten Bibelübersetzungen ist heute bei Röm. 16,7 zumindest eine Anmerkung zu finden, wonach Junias ursprünglich (weiblich) Junia geheißen habe. Die Gute-Nachricht-Bibel verwendet schon die weibliche Schreibform.


1) In den ↗Maiuskeln zwischen Ίουνιᾶν (Akkusativ vom Maskulinum 'Junias'; so die mittelalterlichen ↗Minuskeln) und Ίουνίαν (Akkusativ von 'Junia') zu unterscheiden, ist unmöglich. Für Ίουνία spricht:
(1) Ίουνιᾶν (möglicherweise Kurzform von 'Junianus', Blass-Debrunner-Rehkopf  § 1256) ist in der ↗Antike nirgends belegbar.
(2) Für mittelalterliche Minuskelschreiber war ein Mann in einer missionsaktiven Rolle leichter vorstellbar als eine Frau. Ίουνία wäre aus der Perspektive mittelalterlicher Schreiber die "lectio difficilior" gewesen. - Andronikus und Junia könnten als Ehepaar missionierend durch die Lande gezogen sein, wie es 1 Kor 9,5 für die "anderen Apostel" bezeugt.
(Lampe 137, Fußnote 40)

2) Führungsfunktionen von Frauen
Apostel: Die einzige Frau, die im ↗Neuen Testament explizit mit dem Titel "Apostel" bezeichnet wird, ist Junia (Röm 16,7). Er kennzeichnet sie wohl als eine durch eine Erscheinung des auferstandenen ↗Christus legitimierte Gesandte. Sie gehörte also zu den frühesten wandernden Missionaren und Missionarinnen, noch vor Paulus selbst,... (Stegemann 337)

3) Dass ein Ehepaar, ein Mann und eine Frau, beide "Apostel" sind, ist erst dem Mittelalter als so unglaublich erschienen, dass man statt der Frau Junia einen Mann mit dem Namen Junias meinte lesen zu sollen. (Pesch 108)

4) Textkritisch kann in den Majuskeln naturgemäß nicht zwischen Ίουνιᾶν und Ίουνίαν unterschieden werden. Aber wie ich mich jetzt überzeugen konnte (Paris, Bibl. Nation., Grec 14, pag. 100 verso, Zeile 1), setzt die Minuskel 33 aus dem 9. Jh. den Akut und schreibt feminines ϊουνίαν, so dass wir entgegen Aland’s Apparat die feminine Lesart durchaus belegt haben. Aland’s Apparat, ja sein Text wären entsprechend zu ändern! (Lampe 452, Nachtrag)

5) Die Grußliste in Rom 16,1-16 hebt nicht nur Mitarbeiter des Paulus, sondern auch judenchristliche Apostel hervor (Andronicus und Junias bzw. Junia, Rom 16,7, aber vielleicht auch Maria, Rom 16,6), die bereits vor ihm Christen geworden waren (Rom 16,7), und die entweder mit der ersten Gründung der römischen Gemeinde in den 40er Jahren oder mit ihrem Wiederaufbau nach dem ↗Claudiusedikt verbunden waren. (Vouga 227)

6) Während sämtliche Väter bis ins Mittelalter hinein selbstverständlich in Junia die Frau  Andronikus gesehen haben, hat sich dies seit dem 13. Jh  (Aegidius von Rom) schlagartig geändert; und seit Luthers Übersetzung, der sich an die des ↗Faber Stapulensis gehalten hat, ist in der ↗protestantischen wie in der ↗katholischen Exegese mit wenigen Ausnahmen ein männlicher Name Junias gelesen worden, obwohl es einen solchen in der gesamten  Literatur sonst nicht gibt… (Wilkens 135, Fußnote 647)


Literatur:
Peter Lampe. Die stadtrömischen Christen in der ersten beiden Jahrhunderten. 1989 Tübingen. Verl. J.C.B. Mohr.
Ekkehard W. Stegemann, Wolfgang Stegemann. Urchristliche Sozialgeschichte. 1997 Stuttgart. Verlag W. Kohlhammer.
Rudolf Pesch. Römerbrief. 2002 Würzburg. Echter Verlag.
Francois Vouga. Geschichte des frühen Christentums. Verlag A. Franke, 1994 Tübingen u. Basel.
Ulrich Wilckens. Der Römerbrief. EKK Studienausgabe. 2010 Mannheim. Patmos Verlag.
[/size]



● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
MfG B.
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste