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Spaltung einer Kirche
#1
Question 
Also… Ich möchte ein heikles Thema ansprechen. Möchte gerne Meinungen der Forumsmitglieder erfahren. Alle denken, dass wir in einer zivilisierten Zeit und hoch entwickelten Gesellschaft leben, dass alle Kriege, besonders Glaubenskriege, Gott sei Dank, vorbei sind. Ich meine den Islam nicht, er ist ein ganz besonderer Fall. Eine merkwürdige Situation in der Ukraine hat meine Aufmerksamkeit erregt. Zwei größten orthodoxen Kirchen dortzulande liegen miteinander im Clinch. Die erste kanonische orthodoxe Kirche gehört zum Moskauer Patriarchat, die zweite hat sich von dem losgesagt, wurde aber nie weltweit anerkannt. Diese Kirche wird von dem Kiewer Patriarchen geleitet und soll ihre Gegnerin unter Druck wegen des Konfliktes in der Ostukraine stellen. Es soll manchmal auch dazu kommen, dass das Gut der Moskauer Kirchen mit Gewalt weggenommen wird und ihre Priester in ihren Rechten beeinträchtigt werden. So meine Frage: kann man religiöse Zeremonien, die in einer nicht von der Weltorthodoxie anerkannten Kirche durchgeführt werden, sozusagen für geltend halten? Besonders wenn eine kanonische Kirche im Land parallel tätig ist. Dazu habe ich keine vernünftige Gründe gefunden, warum sich diese ukrainische Kirche von der russisch-orthodoxen Mutterkirche überhaupt abgespaltet. Der ganze Konflikt zwischen den Kirchen legt nahe, dass es nur ein Wunsch einer Gruppe Gläubigen war, eine religiöse Unabhängigkeit zu kriegen. Ist es nicht Hochmut, eine Todessünde, die Abspaltung initiiert zu haben nur wegen des Unwillens, sich dem Moskauer Patriarchat unterzuordnen? Und das Letzte: wer kontrolliert die Tätigkeit einer Kirche, wenn sie religionswidrig handelt?
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#2
Solche Spaltungen hat es in der Orthodoxen Kirche dauernd gegeben. Der Trend war in der Orthodoxie immer in Richtung nationaler Kirchen, die von den jeweiligen Regierungen der Laender entsprechend beeinflusst werden konnten. Das Moskauer Patriarchat scheint ja auch mit der russischen Regierung eng verquickt zu sein. Im allgemeinen werden solche Abspaltungen von der Mehrheit der orthodoxen Kirchen irgendwann anerkannt.

Das allgemein bekannteste Beispiel duerfte die orthodoxe Kirche von Griechenland sein, die sich nach der griechischen Unabhaengigkeit 1833 vom Patriarchat in Konstantinopel lossagte. Griechenland war damals kleiner, und die spaeter im 20. Jhdt. dazugekommenen Gebiete (die "Neuen Laender" (hauptsaechlich das griechische Mazedonien), Kreta, der Dodekanes) unterstehen heute noch offiziell dem Patriarchat von Konstantinopel; wobei aber die Kirche von Griechenland zumindest auch fuer Nordgriechenland durchgesetzt hat, dass sie diese Dioezesen (ausser Athos) verwaltet; der Patriarch in Konstantinopel muss dort lediglich im Gebet als Primas anerkannt werden, und ich glaube, er muss auch der Bischofsernennung in den "Neuen Laendern" zustimmen. Kreta, der Dodekanes und Athos unterstehen immer noch Konstantinopel direkt. Die meisten griechischen Dioezesen sind aber komplett autokephal. Die grundsaetzliche Anerkennung der Unabhaengigkeit hat in dem Falle der Kirche von Griechenland uebrigens 17 Jahre gedauert.

Anders gesagt: Soche Geschehnisse sind in der Orthodoxie Alltag. Alle nationalen Orthodoxen Kirchen stammen aus solchen Spaltungen.

Was die Anerkennung der vielen Abspaltungen angeht, waren das mal Konzile, mal hat ein Patriarch seinen Segen gegeben (der Patriarch von Moskau z.B. bei der Orthodoxen Kirche in Amerika 1970), mal Schritte, bei denen einfach nicht eingeschritten wurde, z.B. als die Orthodoxe Kirche Georgiens die Russisch-Orthodoxe Kirche 1917 verliess (die Anerkennung dieses Schrittes durch Konstantinopel brauchte 73 Jahre). Uebrigens sind sich die Russisch-Orthodoxe Kirche und der Patriarch in Konstantinopel grundsaetzlich uneinig, wer so etwas entscheiden darf. Im allgemeinen machen die Kirchen also einfach, was sie wollen, und irgendwann wird das dann akzeptiert.
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#3
(11-09-2017, 14:16)Ulan schrieb: Das Moskauer Patriarchat scheint ja auch mit der russischen Regierung eng verquickt zu sein.
Ich stimme deutlich zu, für mich ist die Russische Kirche rein politisch motiviert. Leider unterscheiden sich die in der Ukraine tätigen Kirchen von der grundsätzlich nicht . Ist es ein Problem der orthodoxen Kirche oder nur der osteuropäischen Kirchen wegen ihrer Denkweise? Ich habe nicht sehr intensive durch Europa gereist, aber nirgends wurde ein politischer Einfluss auf Kirchen spürbar.
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#4
Rein geschichtlich ist diese Verquickung von Machtausuebung der Herrschenden mit den Kirchen mit ein Grund fuer die Erfolgsgeschichte des Christentums. Kaiser Konstantin der Grosse suchte eine Religion, die ihm eine Steuerungsmoeglichkeit der Bevoelkerung erlaubte. Er versuchte das erst einmal mit dem Kult des Sol Invictus (der unsterblichen Sonne) als Staatsreligion, aber das funktionierte nicht, da diesem Kult die hierarchische Organisation fehlte. Mit dem Christentum klappte das dann; dort gab es eindeutige Hierarchien, und die Bischoefe konnten ueber die Priester direkt Einfluss auf das Volk nehmen, so dass der Staat nur die Kirchenspitze fuehren musste, um direkten Einfluss auf das Denken der Untertanen zu bekommen. Im (Ost-)Roemischen Reich blieb das bis zum Untergang Konstantinopels so, dass die Kaiser direkt Einfluss auf die Kirche behielten. Du kannst in den Schriften des Palamas sehen, dass er der Uebernahme durch die Tuerken seltsam gleichgueltig gegenueber stand, wohl auch, weil er den Einfluss des Kaiserhauses auf die Kirche satt hatte.

Im Westen war Rom die Ausnahme, weil da die Machtstrukturen ueber lange Zeit zusammengebrochen waren, was den Paepsten weltliche Macht verlieh. Trotzdem gab es auch im Westen rein machtpolitische Spaltungen, wenn man an die Gruendung der Anglikanischen Kirche durch Heinrich den VIII. von England denkt, bei dem es ueberhaupt nicht um religioese Fragen ging. Er war dann auch gleich Kirchenvorsitzender, was er sehr praktisch fand. Machtfragen spielten durchaus auch in die Gruendung protestantischer Kirchen hinein. Auch in Skandinavien hatten wir Staatkirchen, die mit dem weltlichen Machtapparat eng verbandelt waren. Das Modell brach erst im 20. Jahrhundert endgueltig zusammen. In Berlin versuchte die preussische Regierung noch um 1900 ueber die protestantische Kirche die Bevoelkerung zur Ruhe zu bringen, aber das scheiterte bereits, weil die Kirche ihren Einfluss groesstenteils verloren hatte. Ihre heutige weitgehende Unabhaengigkeit im Westen (auch wenn sie in Deutschland z.B. noch so etwas wie Staatsbeamte sind) verdanken die Kirchen nicht zuletzt auch ihrem verminderten Nutzen als Machtinstrument. Brandreden von der Kanzel werden von den Glaeubigen bestenfalls noch als Vorschlag, nicht als Anweisung, gesehen.

Diese Machtdenken spielt natuerlich immer noch in religioesen Auseinandersetzungen eine Rolle. In China haben ja vor allem Katholiken einen schweren Stand, weil sie als fuenfte Kolonne einer auslaendischen Macht angsehen werden. Nationalistische Untertoene spielen auch eine Rolle, wenn fundamentalistische Protestanten in den USA ueber Katholiken herziehen, die sie manchmal als Befehlsempfaenger eines Auslaenders, des Papstes, bezeichnen. In der Ukraine gibt's ja auch eine Griechisch-Katholische Kirche, die direkt dem Papst untersteht, was den Orthodoxen schon immer ein Dorn im Auge war.
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#5
(11-09-2017, 13:42)Vita schrieb: Diese Kirche wird von dem Kiewer Patriarchen geleitet und soll ihre Gegnerin unter Druck wegen des Konfliktes in der Ostukraine stellen.

das passt zum Bild einer ukrainischen Regierung,
welche bereit ist,
die Abspaltung von Russland auch radikal zu erreichen 


Zitat:Ist es nicht Hochmut, eine Todessünde, die Abspaltung initiiert zu haben nur wegen des Unwillens, sich dem Moskauer Patriarchat unterzuordnen?

ohne theologische Basis
wäre das tatsächlich so
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