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Einhorn
#1
Pferdeähnliches ↗Fabelwesen mit spitzem Stirnhorn. In den Lutherbibeln bis 1912 wird es erwähnt (zB Hiob 39,9; Ps 29,6. 92,11)1. Danach wird es auch in lutherischen Bibelausgaben zum "Wildstier".

Im ↗Physiologus ist festgehalten, dass sich das Einhorn (dort hat es allerdings die Größe eines Ziegenbocks) nur von einer Jungfrau fangen lässt2. Es legt den Kopf in den Schoß des Mädchens und wird zahm. In der christlichen ↗Ikonographie steht das Einhorn für die Menschwerdung Christi und für Keuschheit. Mit diesen Eigenschaften tritt es in Verkündigungsdarstellungen des 15. u. 16. Jhs auf. Im ↗Mittelalter steht es auch für Frauenmacht und höfische Minnevorstellungen.

Wegen der Heilkraft, die man insbesondere dem Horn des Einhorns nachsagte, war dieses ein begehrtes Handelsprodukt. Ab dem Mittelalter bis in die ↗Frühe Neuzeit  war daher ein reger Handel mit Narwalzähnen im Gange. Narwalzähne wurden nach Gewicht gehandelt und brachten zu manchen Zeiten bis zum zwanzigfachen des Goldpreises ein. Da das Horn auch gegen alle Gifte wirken sollte, war es insbesondere von Fürstenhäusern, vom hohen Adel und vom hohen Klerus begehrt, zumal man sich in diesen Kreisen entsprechend bedroht fühlte. Der Handel ebbte erst ab, als allerlei Knochen und Tierhorn pulverisiert als "Einhornarznei" in Umlauf gebracht wurden und die versprochene Wirkung ausblieb.

↗Hildegard von Bingen  beschreibt die Heilkraft von Körperteilen des Einhorns (Physika 7.5):

Mit einer Salbe aus zerkleinerter Einhornleber könne Aussatz geheilt werden, ein Gürtel aus der Haut eines Einhorns schütze vor Fieber und gegen allerlei sonstige schlimme Übel. Schuhe aus Einhornleder sollten gesunde Füße und Nieren garantieren. Der Huf eines Einhorns lasse vergiftete Speisen und Getränken aufkochen und rauchen, sofern man ihn daneben legt.

Bis ins 18. Jh wurde die Meinung vertreten, dass jene Tiere, die man nur als Fossilien kannte, während der sechs Tage der göttlichen Schöpfung entstanden, aber durch die ↗Sintflut zugrunde gegangen seien. Da das Einhorn aber biblisch erst nach der Sintflut in Erscheinung tritt, hat man bis in die Neuzeit vermutet, es müsse irgendwo im Verborgenen existieren.

Da das Einhorn hervorragende Eigenschaften wie Tapferkeit, Unbesiegbarkeit, Frömmigkeit, Keuschheit, etc. symbolisiert, war es schon immer ein hochgeschätztes Wappentier. Das wohl prominenteste Wappen, in das das Einhorn aufgenommen worden ist, dürfte jenes sein, das anlässlich der Vereinigung der Königreiche England und Schottland im 17. Jh entstanden war.


1) Im hebräischen Text steht  "re'em". Offenbar dürfte niemand genau gewusst haben, welches Tier damit gemeint ist. Um ca. 400 vC beschrieb der griechische Arzt und Historiograph ↗Ktesias ein pferdeähnliches Tier mit heilkräftigem Horn auf der Stirn und nannte es μονόκερος (Monokeros). Offenbar haben die Verfasser der ↗Septuaginta das Werk des Ktesias gekannt und entschieden sich, das hebräische re'em auf Griechisch mit μονόκερως bzw. μονοκέρωτος wiederzugeben. ↗Hieronymus gibt re'em mit rinoceros (Hiob 39,9; Ps 28,6 = Luther 29,6) aber auch mit unicornus (Ps 91,11 = Luther 92,11) wieder.

2) Dazu weiß Hildegard von Bingen (Physika 7.5) zu berichten, dass Mädchen, die Einhörner fangen und zähmen wollen, von guter Herkunft sein müssen und keinesfalls "bäuerlich" sein dürfen.


Literatur:
Chris Lavers. Das Einhorn. Natur, Mythos, Geschichte. 2010 Darmstadt. Verl. Lambert Schneider.


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MfG B.
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