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Jesus Christus ist der einzig wahre Gott. Alle anderen Götter sind falsch.
#22
Wenn man genau hinschaut, so fuehrte Marcion damals einen aehnlichen Kampf gegen Gottesvorstellungen des AT, wie ihn so mancher moderne Menschen heute gegen Vorstellungen im NT fuehrt. Wer Gottes Ansichten und Vorlieben zu genau definiert, wird immer dann ins Hadern kommen, wenn sich die Ansichten der Zeit geaendert haben. Ein Ausweg daraus ist, sich klar zu machen, dass Gott im Prinzip nicht erkennbar ist.

In dem Sinne bewahrt die Bibel das Zeugnis eines Paradigmenwandels, wie er sich in den wenigen hundert Jahren seit dem Verfassen des Pentateuchs vollzogen hatte. Hier zeigen sich die Auswirkungen mehrerer Faktoren.

Zum einen hat die platonische Ideenleere anscheinend Einzug in die allgemeine Vorstellung der Menschen gefunden. Jede Idee, wie das Gute, das Boese, die Gerechtigkeit, etc. hat ein Eigenleben, und es gibt etwas, das den idealen Zustand dieser Idee verkoerpert, also z.B. "das Gute an sich". Die Beschaeftigung der juedischen Welt mit dieser Ideenlehre zeigt sich z.B. in der Weisheitsliteratur (Sophia), die man auch im AT findet, oder eben dem Logos, der im Johannesevangelium steht. Fuer Goetter bedeutete dies, dass sie, um als Vorbilder zu gelten, diese platonischen Ideen verkoerpern mussten und nicht mehr "menscheln" durften. Dieses Problem hatten Jahwe und die olypmischen Goetter gleichermassen.

Zum anderen hatten sich ethische Vorstellungen generell geaendert. Ironischerweise wuerde ich, trotz des dauernden, mal unterschwelligen, mal offenen Kampfes gegen diesen Staat, unter anderem die Pax Romana dafuer verantwortlich machen. Ein Gott, der es gutheisst, jeden nicht zur eigenen Sippe gehoerenden Menschen zu toeten, wenn man etwas von ihm will, hatte sich irgendwie ueberlebt. Der roemische Vielvoelkerstaat riet von solch einer Haltung ab, um den inneren Frieden aufrechtzuerhalten; es gab so etwas wie generelle Gesetze fuer jedermann. Auch viele Leute, die die Roemer nicht mochten, hatten diese Haltung selbst aber mehr oder weniger verinnerlicht, zumindest als Ideal. Hier sieht man in den Jesusgeschichten einen Umbruch. Er ist zwar nach seinen ihm in den Mund gelegten Worten immer noch nur fuer Israel gekommen, aber diese seine Haltung wird aufgeweicht (siehe die syro-phoenizische Frau, den Samariter, etc.), um eine ueber Volksgruppen hinausgehende Gemeinschaft aufzuzeigen.

Diese Aspekte sind in Marcions Kritik thematisiert, so wie Du es dort auflistest. Wie ich sagte, haben wir heute wieder eine aehnliche Situation. Im Prinzip genuegen uns die ethischen Vorstellungen des NT auch nicht mehr. In meiner Jugend war das "Hauptschlachtfeld" die Frage der Gleichberechtigung der Frau. Wahrscheinlich braeuchte es hier wohl noch mal einen neuen Jesus.

Wie auch immer, wer Gott definiert, hat immer das Problem, das ihm oder seinen Kindern in spaeteren Jahren diese Definition nicht mehr gefaellt. Im Prinzip versuchen viele modernen Kirchen diesen Spagat irgendwie hinzubekommen. Die Katholische Kirche z.B bezeichnet zwar alles wahr, auch das AT, aber sie besteht auch darauf, dass das alles nicht woertlich zu nehmen ist, sondern interpretiert werden muss. Im Prinzip muessen wir uns klar machen, dass keiner von uns wirklich irgendetwas ueber Gott sagen kann. Wir wissen schlicht nichts. Insofern denke ich, es waere nicht verkehrt, auch die Worte von Boten Gottes immer unter dem Vorbehalt zu lesen, dass die Worte selbst uns immer noch von Menschen ueberliefert werden, von Menschen mit natuerlicherweise eingeschraenkter Wahrnehmung, und als solche immer mit der Moeglichkeit des Fehlers behaftet. Ich hatte zwar Punkt 2 (die veraenderte Ethik) angesprochen, hier geht es aber um Punkt 1 (platonische Ideale). Die meisten Debatten auf Foren wie diesen gehen eigentlich um diesen Widerspruch zwischen platonischen Idealen und der Welt. Relativistische Philosophien scheinen die Welt oft besser zu beschreiben, aber sie stossen sich mit unserem Wunsch, Ideale auf einen Sockel zu stellen. Dieser Konflikt ist noch weitgehend ungeloest.
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RE: Jesus Christus ist der einzig wahre Gott. Alle anderen Götter sind falsch. - von Ulan - 09-07-2018, 10:43

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