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sola scriptura
#16
Hallo Ulan

Im Mittelalter war das Heilige Römische Reich, und auch Spanien, Frankreich, England - das ganze christliche Europa - hierarchisch organisiert.

Ein erblicher Adel regierte weltlich, beschickte aber auch den Klerus und beherrschte ihn.
Somit eine Symbiose von Adel und Klerus, fast schon eine Identität.

Ideologische Grundlage der mittelalterlichen Gesellschaft war die Bibel, allerdings nur Teile der Bibel.
Da die Bibel auf Latein geschrieben war, konnten die Völker Europas sie nicht lesen. Der Klerus übersetzte nur die Teile der Bibel, die der Gesellschaft als Vorbild dienen sollten, und las sie in den Kirchen vor - andere Teile der Bibel, die als unvertretbar angesehen wurden, wurden nicht vorgelesen. Eine selektive Auswahl

Eine Zensur

Luther wollte nun die Macht der Kirche aushebeln, und ging so vor, daß er das Schlagwort sola scriptura schuf.
Damit rief er die Völker dazu auf, selbst die Bibel zu lesen / zu interpretieren / zu werten
Luther sprengte damit die hierarchisch organisierte christliche Gesellschaft auf !
"Als Adam grub und Eva spann - wo war denn da der Edelmann"
Nicht mehr der adelige Klerus sollte entscheiden, wie die Religion und damit die Ideologie und damit die Politik auszusehen habe, sondern der einfache Mann aus dem Volk - und die einfache Frau aus dem Volk

Damit war ein Gedanke als kleine Pflanze in die Volksseele gepflanzt worden, die dann nach Jahrhunderten zum mächtigen Baum wurde: Allgemeine Demokratie und in Konsequenz auch das Frauenwahlrecht

Es waren die protestantischen Gesellschaften, die Wegbereiter der Demokratie und des Frauenwahlrechts waren (England, Niederlande, Skandinavien, USA) - und niemals die katholischen Gesellschaften (Spanien)
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#17
(17-10-2018, 11:35)Ekkard schrieb: "Sola scriptura!" ist folglich ein Un-Sinn. Denn die Schrift enthält ein unaufgelöstes Gegeneinander von Ideal und Wirklichkeit. Nur, wir (hellenistisch geprägten Leute) neigen z. B. durch das Urteil "fehlerhaft" dazu, das Ideal göttlichen Seins als Messlatte menschlichen Seins anzuwenden.


Ja - es ist offensichtlich aussichtslos, das Ideal göttlichen Seins als Messlatte menschlichen Seins anzuwenden.

Doch es gibt auch biblische Normen, die sehr wohl befolgt werden müssen (die 10 Gebote)


----


Wir werden hier in unserer Diskussion das Problem nicht lösen können.

Hier haben schon Generationen von Theologen und Reformatoren gewirkt, ohne dazu allgemeingültige Aussagen machen zu können

Hier wird nie Ruhe sein. In Wahrheit begann diese Fragestellung schon zur Zeit Jesu ("ich bin nicht gekommen um das Gesetz aufzuheben"), ging dann weiter im Apostelkonzil, und zog sich 2000 Jahre lang bis heute

Die Frage, welche Normen für Christen gelten, ist immer Anlaß zu Diskussionen und Spaltungen
A) Gilt noch die Pflicht zur Beschneidung ?
B) Gilt noch das Bilderverbot ?
C) Gilt noch das Schweinefleischverbot ?
D) Gilt noch das Verbot, Blut zu essen ?

zu A) Dies wurde durch das Apostelkonzil entschieden.
zu B) Hier sieht es unklar aus. Katholiken lieben Heiligenbilder, Calvinisten lehnen sie ab.
zu C) Alle Christen essen heute Schweinefleisch (aber auch hier gibt es wahrscheinlich Ausnahmen)
zu D) Stichwort Zeugen Jehovas

Ich denke, daß es nie Ruhe geben wird, die Schrift führt offenbar zu unterschiedlichen Ergebnissen.
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#18
(17-10-2018, 11:54)Sinai schrieb: Hallo Ulan

Im Mittelalter war das Heilige Römische Reich, und auch Spanien, Frankreich, England - das ganze christliche Europa - hierarchisch organisiert.

Ein erblicher Adel regierte weltlich, beschickte aber auch den Klerus und beherrschte ihn.
Somit eine Symbiose von Adel und Klerus, fast schon eine Identität.

Ideologische Grundlage der mittelalterlichen Gesellschaft war die Bibel, allerdings nur Teile der Bibel.
Da die Bibel auf Latein geschrieben war, konnten die Völker Europas sie nicht lesen. Der Klerus übersetzte nur die Teile der Bibel, die der Gesellschaft als Vorbild dienen sollten, und las sie in den Kirchen vor - andere Teile der Bibel, die als unvertretbar angesehen wurden, wurden nicht vorgelesen. Eine selektive Auswahl

Eine Zensur

Diese Aussagen sind, wie ich bereits dargelegt habe, objektiv falsch fuer die direkte vorreformatorische Zeit. Seit Erfindung des Buchdrucks fanden viele ins Deutsche uebersetzte Bibeln ihren Weg in die (natuerlich eher wohlhabenden) Haushalte. Solange die Uebersetzung nahe an der Vulgata blieb, wurde sie von der Katholischen Kirche nicht behelligt. Das Bibelverbot war in einen Lizenzzwang verwandelt worden. Luther konnte bei seiner Uebersetzungsarbeit auf viele bereits existierende deutschsprachige Bibeln zurueckgreifen. Die kamen aus allen Regionen des damaligen Reiches (eine beruehmte kam auch aus Oesterreich). Die Mentelin-Bibel wurde in vielen Auflagen im sueddeutschen Raum gedruckt und verkauft, war aber eine Wort-fuer-Wort-Uebersetzung der Vulgata. Die schon erwaehnte Luebecker Bibel, wahrscheinlich aus dem Franziskaner-Milieu stammend, war dann der naechste Schritt zu besseren Uebersetzungen. Das Bibelverbot wurde also nach und nach ausgehoehlt.

(17-10-2018, 11:54)Sinai schrieb: Luther wollte nun die Macht der Kirche aushebeln, und ging so vor, daß er das Schlagwort sola scriptura schuf.
Damit rief er die Völker dazu auf, selbst die Bibel zu lesen / zu interpretieren / zu werten
Luther sprengte damit die hierarchisch organisierte christliche Gesellschaft auf !
"Als Adam grub und Eva spann - wo war denn da der Edelmann"
Nicht mehr der adelige Klerus sollte entscheiden, wie die Religion und damit die Ideologie und damit die Politik auszusehen habe, sondern der einfache Mann aus dem Volk - und die einfache Frau aus dem Volk

Damit war ein Gedanke als kleine Pflanze in die Volksseele gepflanzt worden, die dann nach Jahrhunderten zum mächtigen Baum wurde: Allgemeine Demokratie und in Konsequenz auch das Frauenwahlrecht

Es waren die protestantischen Gesellschaften, die Wegbereiter der Demokratie und des Frauenwahlrechts waren (England, Niederlande, Skandinavien, USA) - und niemals die katholischen Gesellschaften (Spanien)

Nun, das ist lediglich eine Wiederholung des bereits Gesagten, und ich habe darauf schon geantwortet. Ekkard hat die politische Dimension ja angesprochen, und ich habe darauf hingewiesen, dass die auch vor Luther bereits im Raum stand. Dass Luther hier auf den ersten Stand zielte, ist klar. Der hatte sich aber wohl zu seiner Zeit selbst disqualifiziert. Wenn Leute, die die Bibel vielleicht mal von weitem gesehen haben, zum Bischof von Magdeburg werden, weil das in den Karriereplan passt, und dabei einen Dispens vom Papst bekommen, ist das schon mal nicht vertrauenserweckend. Wenn dieser Bischof dann noch das Bistum Halberstadt zur Verwaltung bekommt, weil er die Kasse so schoen zum Klingeln bringt, hilft das auch nicht. Wenn er dann noch mit Billigung des Papstes zum Erzbischof von Mainz wird - wohlgemerkt gegen geltendes Recht ohne die anderen Aemter abzugeben - so ist das nur noch korrupt. Und ja, in so einem Fall kann jeder zu Hause an seinem Tisch die Bibel besser auslegen als dieser Kirchenfuehrer, der wahrscheinlich noch nie in eine Bibel geguckt hat.

Was die Fortschrittlichkeit protestantischer Regionen angeht, so muss man das differenziert sehen. Das galt naemlich auch generell fuer die Wirtschaftsentwicklung, wo die katholischen Regionen wegen ihres niedrigeren Bildungsstandards lange Zeit (bis Mitte des 20. Jhdts.) hinterherhinkten. Die mit der Industrialisierung einhergehende gesellschaftliche Umkrempelung hat wohl mehr mit Demokratie und Frauenwahlrecht zu tun als irgendein Luther-Zitat. Der Effekt ist also eher indirekt.
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#19
(17-10-2018, 13:35)Ulan schrieb: Wenn Leute, die die Bibel vielleicht mal von weitem gesehen haben, zum Bischof von Magdeburg werden, weil das in den Karriereplan passt, und dabei einen Dispens vom Papst bekommen, ist das schon mal nicht vertrauenserweckend. Wenn dieser Bischof dann noch das Bistum Halberstadt zur Verwaltung bekommt, weil er die Kasse so schoen zum Klingeln bringt, hilft das auch nicht.


Wo hast Du diese Streitschrift her? Die Wortwahl zeigt, daß es sich um einen Hetzartikel aus der Zeit des preußischen Kulturkampfes (1866-1878) handelt.

In diesem verdeckten Religionskrieg flackerte der Haß der Protestanten gegen die Katholiken noch einmal so richtig auf, uralte Vorwürfe und auch Verleumdungen wurden wieder aufgewärmt ("Bischof von Magdeburg" zur Zeit 1500) und es war keine Spur von Ökumene zu sehen

Religionshistorisch sind solche Ergüsse natürlich höchst interessant, sie zeigen wie aufgeheizt die Stimmung in der Zwischenkriegszeit zwischen 1866 und 1871 in Preußen war

Zuerst der Krieg von 1866 gegen Österreich und Sachsen
Dann der Krieg 1870 gegen Frankreich

In den deutschen Landen (Bayern etc) regte sich Empörung gegen die Kriege gegen das katholische Österreich und das katholische Frankreich, Preußen mußte alles unternehmen, um die deutschen Katholiken zu desavouieren und mundtot zu machen

Die staatliche Ehe wurde eingeführt, um die Katholiken zu ärgern, und selbst dieser Schuß ging nach hinten los, da zahlreiche protestantische Christen dies nicht wollten, sie hatten kein absolutes Vertrauen in die staatliche Gesetzgebung

Hier sind wir wieder beim Thema sola scriptura
Die Ehe wurde von Katholiken und Protestanten als biblische Institution angesehen, die man nicht den zukünftigen Mehrheiten im Reichstag ausliefern darf
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#20
(19-10-2018, 11:28)Sinai schrieb: Wo hast Du diese Streitschrift her? Die Wortwahl zeigt, daß es sich um einen Hetzartikel aus der Zeit des preußischen Kulturkampfes (1866-1878) handelt.

Meine Guete. Die Rede ist von Albrecht von Brandenburg. Er wurde mit 23 Jahren (im Jahre 1513), ohne die erforderliche Ausbildung zu haben oder die Vorschrift ueber das Mindestalter zu erfuellen, zum Bischof von Magdeburg und Verwalter des Bistums Halberstadt. Ein Jahr spaeter, mit 24 Jahren, wurde er zusaetzlich noch Erzbischof von Mainz, was kirchenrechtlich auch verboten war (ein Bischof durfte keine zwei Bistuemer haben). Er hatte beide Bistuemer von der Kurie gekauft und betaetigte sich stark im Ablasshandel, weil er die Haelfte der Einnahmen daraus fuer die Rueckzahlung des Geldes, das er fuer den Kauf der Aemter ueber einen Kredit von den Fuggern geliehen hatte, benoetigte, und die andere Haelfte, um die Schulden beim Papst zu bezahlen.

Er hatte zwar anfangs im Streit mit den Protestanten durchaus eine vermittelnde Position, aber er war natuerlich selbst ein Beispiel fuer die voellig korrupten Zustaende in der katholischen Kirche damals. Eine Reformation war zwingend erforderlich.
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