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Hestia
#1
Jungfräuliche Schwester des ↗Zeus. Göttin des Herdfeuers bzw. der personifizierte häusliche Herd1.

Hestia ist zugleich ältestes wie auch jüngstes Kind der ↗Rhea und des ↗Kronos; ältestes, weil sie ursprünglich die Erstgeborene war, jüngstes, weil sie von Kronos, der seine Kinder verschlungen hatte, als Letzte ausgespien wurde. Mit ↗Athena und ↗Artemis bildete sie die Trias der jungfräulichen Göttinnen, über die ↗Aphrodite keine Macht hat.

Der häusliche Herd, (ἑστία = Herd, zentrale Feuerstelle) hat im ↗Griechischen denselben Namen, wie die Göttin, unter deren Schutz er steht.

Der Herd ist der heilige Ort des Hauses, auf ihm stehen die Hausgötter, er ist Hausaltar und Mittelpunkt jeder häuslichen  Gemeinschaft. Als Beschützerin dieser Örtlichkeit war Hestia für das Wohl der Familien von großer Bedeutung. Die Braut nahm den Herd in Besitz, wenn sie erstmals das Haus des Ehegatten betrat2. Wer in die häusliche Gemeinschaft aufgenommen wurde, dem wurde ein Platz am Herd zugewiesen. Das galt auch für ↗Haussklaven. Wer seinen Platz am Herd hatte, stand unter dem Schutz der Hestia und der Hausgötter. Ein Neugeborenes wurde um den Herd getragen3. Damit war es in die Hausgemeinschaft aufgenommen. Jede Mahlzeit begann und endete mit einem ↗Opfer an den Herd. Wurde ein Gastmahl ausgerichtet, wurde der Hestia zu Beginn und an Ende des Mahls ein Weinopfer dargebracht (Hom. h. 29, 4-6). Wie der Gast, standen auch Hilfesuchende unter dem Schutz der Göttin. Flüchteten sich solche zum Herd bzw. setzte sie sich in die Asche, war der Hausherr verpflichtet, ihnen Hilfe zu leisten (Thukyd. I 136, 3).

Hestia war eine friedliebende Göttin. In Streitigkeiten mischte sie sich nicht ein. Wurden Kämpfe ausgetragen, hielt sie sich von diesen fern.

Wie in jedem Wohnhaus war auch in den Regierungsgebäuden einer Polis (= Prytaneion) ein der Hestia Prytaneίa geweihter "Herd" (Gemeindeherd = κοινή ἑστία) als Opferfeuer und Altar eingerichtet.  Dort brannte ein ewiges Feuer. ↗Priesterinnen hatten dafür zu sorgen, dass es nie verlosch. Dort opferten die staatlichen Funktionsträger. Dorthin wurden verdiente Bürger und Staatsgäste von der Gemeinschaft eingeladen und bewirtet. Von ↗Pausanias (I 18,3) erfahren wir, dass im Prytaneion von Athen auch ein ↗Kultbild der Hestia stand. Wurde den Göttern geopfert, war das erste Opfer immer für Hestia bestimmt. Gleichermaßen für das öffentliche Leben wichtig  war Hestia Bulaia (die Rat gebende Hestia, deren "Herd" und Heiligtum im Bouleuterion4 stand). Als Prytaneίa und Bulaia war Hestia Staatsgöttin.

Das ewige Feuer im Orakelheiligtum von ↗Delphi, das neben dem ↗Omphalos eingerichtet war, und dem ↗Dreifuß, der der ↗Phytia als Sitz diente, galt als der gemeinsame Herd aller Griechen. Von diesem heiligen Feuer aus mussten Staatsfeuer erneuert werden, wenn sie - aus welchem Grund auch immer - erloschen oder entweiht worden waren.

Die römische Entsprechung für Hestia war ↗Vesta gewesen.


1) Feuer ist Grundlage zivilisatorischen Lebens, ist ursprünglichster Schutz vor Raubtieren - und darum auch vor bösen Geistern -, spendet Wärme und Helligkeit, und doch bleibt es schmerzhaft-gefährlich, ja Urbild der Vernichtung: Was groß, fest und greifbar war, löst sich erglühend in Rauch und Asche auf. Daher die vielschichtige Faszination des Feuers, ohne das bei den Griechen kaum ein Kultakt vollzogen wird. Opfer ohne Feuer sind seltene, bewusste Ausnahmen, und umgekehrt gibt es kaum ein Feuer ohne Opfer; der "Herd", Hestia, ist Göttin zugleich. Eine altertümliche Form des Tempels ist das "Herdhaus"; dazu gehören die alten Anlagen in Dreros und Prinias auf Kreta, aber auch der Delphische Apollontempel, der immer seine hestia im Innern enthielt (Burkert 100).

2) Die Mütter der Neuvermählten entzündeten an ihren Herdfeuern Fackeln und führten die junge Frau vom Elternhaus zum Haus des Ehegatten (Preuner 68f.).

3) Die Familienfeste, die zu solchen Anlässen ausgerichtet wurden, hießen Anphidromien (αμφίδρομος = zu umlaufen, etwas umlaufen; herumlaufend, umschließend). Die Frauen, die bei der Geburt geholfen hatten, waren bei den Festen anwesend. Sie reinigen sich in Gemeinschaft mit der Mutter des Neugeborenen. Dann wurde das Kind um den Herd getragen. Anschließend erfolgte die Namensgebung.

4) Bouleuterion = Versammlungsraum der Bule (Rat der Gemeinschaft, des Staates)


Literatur:
August Preuner. Hestia-Vesta. 1864 Tübingen. Verl. H. Laupsche Buchhandlung.
Walter Burkert. Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche. 22011 Stuttgart, Verl. W. Kohlhammer.



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MfG B.
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