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Abtreibung - Geiger
#1
Zurzeit beschäftige ich mich etwas mit dem Thema Abtreibung und würde gerne darüber diskutieren. Als erstes würde ich gerne das philosophische Gedankenexperiment erwähnen, dass von einem berühmten Geiger handelt. 


Man stelle sich eine Person vor, die in einem Krankenhaus erwacht und mit einer anderen Person, dem Geiger, über einen Schlauch verbunden ist. Nach dem erwachen erklärt eine Ärztin der Person, dass der Geiger Weltberühmt ist und ein Star ist, aber er schwebt in Lebensgefahr, denn er leidet an einer tödlichen Nierenkrankheit. Die Zeit drängt, denn er wartet auf Blut, dass er zum überleben braucht. Die Person wurde von Fans des Geigers entführt und in das Krankenhaus gebracht, weil sie die einzige mit der selben Blutgruppe ist. Seine letze Chance, die des Geigers, ist die Bluttransfusion, nur die Person kann ihn retten, nur sie. Nun will die Person sich von den Schläuchen befreien, aber die Ärztin macht klar, dass falls die Schläuche getrennt werden, der Geiger keine Chance mehr zum überleben hat. Die Therapie dauert 9 Monate. 

Welches Recht wiegt hier nun schwerer? Das Recht auf Selbstbestimmung oder das Lebensrecht des Geigers?

Dieses Gedankenexperiment soll auf ungewollte Schwangerschaften und z.B auf versagen von Verhütungsmitteln etc verweisen.

Nun würde ich das auch gerne nicht nur auf ungewollte Schwangerschaften reduzieren, sondern auch auf die Abtreibung im Allgemeinen. In welchem Stadium der Schwangerschaft kann man von einem Mord sprechen? Oder ist es überhaupt Mord und wenn nicht wieso? 

Weitere Fragen wären ob es sich bei einer Schwangerschaft um potentielles Leben handelt oder ab welchem Stadium man überhaupt von einer Person, Lebensrecht oder anderem Sprechen kann. 

Weiteres würde ich gerne dann während der Diskussion hinzufügen und würde auch gerne hören ob eine Abtreibung moralisch zu Rechtfertigen ist und wie man in die eine oder in die andere Richtung argumentieren könnte.
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#2
Solche Gedankenexperimente sind ja nie hundertprozentig passend, und man sieht im Prinzip schon an dem Beispiel, aus welchem Land das Argument kommt (USA) und zu welcher Antwort es uns bringen soll (Zustimmung zur Abtreibung). Im besagten Beispiel wird wohl kaum jemand zustimmen, dass die Frau gezwungen waere, hier an den Violinisten gekettet zu sein, mit dem sie ja ansonsten nichts zu tun hat. Dass sie hinterher wohl Probleme mit den fanatischen Anhaengern des Violinisten bekommen wuerde, ist wohl auch eine gewollte Parallele, die aber das moralische Argument etwas verwaessert.

Dass das Beispiel in den USA grosse Wellen geschlagen hat, sieht man daran, dass die dortige Rechtsprechung der Argumentation des Gedankenexperiments weitgehend gefolgt ist. Abtreibungen sind dort im allgemeinen erlaubt, so lange der Foetus nicht selbstaendig lebensfaehig ist, was bis sehr spaet in die Schwangerschaft der Fall ist. Das fuehrt dann auch zu den sehr unschoenen Szenarien, wo Abtreibungsaerzte den schon sehr weit entwickelten Foetus im Mutterleib zerstueckeln muessen, weshalb das wohl auch nur wenige Aerzte machen wollen. Dies ist uebrigens ein weiteres Recht, das in die Thematik hereinspielt, naemlich das Recht des Arztes, sich einer solchen Massnahme zu verweigern.

Ansonsten halte ich die hiesige Dreimonatsregel fuer einen guten Kompromiss. In der Abwaegung der Rechtsgueter schraenkt sie einerseits ein unbedingtes Recht auf menschliches Leben in nachvollziehbarer Weise ein, aber halt auch das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren ueber ihren eigenen Koerper. Der Foetus ist nicht "potentielles" Leben, er ist eindeutig Leben, auch eindeutig menschlich. Was er nicht ist, ist allein lebensfaehiges Leben; die Zahl der ungewollten Fehlgeburten, die zum Tode des Foetus fuehren, ist ja auch enorm. Die Sache mit der "Person" bekommt schon eine schwierigere Antwort; im Prinzip werden wir das erst mit circa drei Jahren, also in einem Alter, wenn wir anfangen, die Begriffe "vorher - nachher" zu verstehen, also uns erstmals daran erinnern koennen, was vor dem jeweiligen Moment war. Natuerlich kaeme niemand auf die Idee, das "Abtreibungs"alter auf drei Jahre nach der Geburt zu setzen.

Einfache und eindeutige Antworten gibt es in der Abtreibungsdebatte leider nicht. Es wird immer eine Abwaegung zwischen den von Dir genannten Rechtsguetern bleiben, und die Frage danach, was gesellschaftlich und psychologisch akzeptabel ist spielt letztlich auch bei dieser Abwaehgung hinein.
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#3
(03-01-2019, 12:27)Ulan schrieb: Ansonsten halte ich die hiesige Dreimonatsregel fuer einen guten Kompromiss. In der Abwaegung der Rechtsgueter schraenkt sie einerseits ein unbedingtes Recht auf menschliches Leben in nachvollziehbarer Weise ein, aber halt auch das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren ueber ihren eigenen Koerper. 


Ich würde gerne wissen, wieso die Dreimonatsregel einen guten Kompromiss für dich darstellt? Falls der Fötus eindeutig menschliches Leben darstellt, wieso überwiegt das Selbstbestimmungsrecht der Mutter, das Lebensrecht des Fötusses? Und ab wann kann man klar sagen, dass es menschliches Leben darstellt, ab der Befruchtung oder wo ziehst du da die Linie? Wird Mord also unter bestimmten Umständen, also für das Selbstbestimmungsrecht der Mutter, toleriert?
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#4
"Menschliches Leben" war Deine Begriffswahl. Schon das Ei und das Spermium sind menchliches Leben. Im Zeugungsakt wird an keiner Stelle "neues Leben" erzeugt, d.h., fuer "menschliches Leben" gibt es folglich hier nirgendwo einen Anfang in dieser Kette. Ich dachte eigentlich, Deine weitergehenden Ausfuehrungen haetten diesen Punkt implizit eingeraeumt. Auch wenn Du einen Arm amputierst oder einen Blinddarm, die Mandeln oder ein Krebsgeschwuer entfernst, vernichtest Du menschliches Leben (in dem Zusammenhang ist der Fall Henrietta Lacks von Interesse). Das ist also kein geeignetes Kriterium hier.

Du warst in Deinen spaeteren Fragen schon ueber diesen Punkt hinaus, weil Du da den Begriff "Person" eingefuehrt hast. Eine Person ist der Foetus halt nicht, zumindest nach geltender Rechtsauffassung. Was eine Person ist, ist gesellschaftliche Auslegungssache und als solches nicht objektiv zu definieren. Als Kriterium fuer eine eigenstaendige Person, die das "Geiger"-Gedankenexperiment anspricht, ist die grundsaetzliche Ueberlebensfaehigkeit ohne den Mutterorganismus (das ist das bestimmende Kriterium im US-amerikanischen Strafrecht). Im deutschen Recht wird auch noch die Ausformung der menschlichen Gestalt im Foetus einbezogen, und dies vor allem auch mit Hinblick auf das Wohlbefinden des aerztlichen Personals, das den Eingriff durchfuehrt. Auch da kann man natuerlich schon debattieren, ob ein 12 Wochen alter Foetus aussieht wie ein Mensch, und ich weiss nicht, wo man dazu objektive Daten findet. Zumindest ist der Dreimonatszeitpunkt irgendwo in der Naehe dieses Punkts.

Wie auch immer, wir schauen halt auf einen Kompromiss. Das wird ja auch im deutschen Strafrecht deutlich, wo eine Abtreibung zwar nicht strafbar ist, aber trotzdem eine gewisse Aechtung erfaehrt.
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#5
Ich meine das eher hinsichtlich Menschenwürde, oder würde gerne über den moralischen Aspekt diskutieren. Könnte man einem wenige Tage altem Embryo Menschenwürde zusprechen und welche Kriterien und welchen Maßstab könnte man hier wählen? Immerhin würde ein rudimentäres Kriterium für die Menschenwürde lauten, Mensch zu sein. Mich interessiert die rechtliche Diskussion eher nicht, denn ob man nun daraus eine Person macht oder nicht, ist das mehr politisch als mir das recht ist.
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#6
Das ist aber letztlich eine rechtliche Diskussion. Menschenwuerde ist das oberste Prinzip, das dem Recht zugrundeliegt, so dass das natuerlich dabei immer beruecksichtigt wird, gerade bei Themen wie diesem, wozu das Verfassungsgericht (der Hueter der Menschenwuerde sozusagen) eine Meinung abgegeben hat. Das Verfassungsgericht hat die medizinische und die kriminogene Indikation als nicht rechtswidrig erklaert, was auch bedeutet, dass in diesen Faellen die Menschenwuerde nicht verletzt wird. Bei der Fristenloesung selbst gilt das allerdings nicht; in dem Fall dauert die Diskussion wohl noch an. Hier sieht man aber, wie die Menschwenwuerde, je nach Situation, unterschiedlich zugunsten des Foetus oder der Mutter abgewogen wird.

Eine rein biologistische Sicht muss scheitern. Der Rest ist gesellschaftliche Vereinbarung. Die moralische Beurteilung ist letztlich eine persoenliche, oft genug durch das eigene Umfeld gepraegt. Gerade die Kirchen beziehen ja mehr oder weniger eindeutig Stellung zu allen moeglichen Faellen. Auch Moral ist aber letztlich nie absolut und muss verhandelt werden.
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