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Exodus
#1
Zweites Buch des ↗Pentateuchs.

Die Bezeichnung des Buches (↗XXL: grich. Εξοδος; ↗Vulgata: lat. Exodus = Auszug) weist auf sein Kernstück hin: Erzählt wird ↗Moses' Herkunft, seine Jugend und Berufung, die Verheißung des Gelobten Landes, die Auszugs-, Wüstenwanderungs- und die Landnahme-Legende. Die hebräische Bezeichnung des Buches (Schamot = Namen) gibt  das erste Wort des Textes wieder.

Die zu einem großen Volk gewordenen Nachkommen der zwölf Söhne ↗Jakobs leiden unter der Fronherrschaft ↗Ägyptens. Der ↗Pharao, der ↗Josef nicht mehr kannte (Ex 1,8)1, empfindet die ↗Hebräer als Bedrohung. Er verfügt, dass Söhne, die von Hebräerinnen geboren werden, in den Nil zu werfen seien (Ex 1,15ff.)2. Moses entgeht dem Knabenmord. Er wird von seinen Eltern ausgesetzt und wächst als Ziehsohn der Tochter des Pharaos auf. Als Moses herangewachsen war und einen Aufseher im Zorn erschlägt, muss er nach ↗Midian flüchten. Dort offenbart sich ihm ↗Jahwe in einem brennenden Dornbusch (Ex 3-4). Er verspricht den Hebräern Befreiung und das Gelobte Land. Moses kehrt zurück nach Ägypten. Der Pharao verwehrt den Abzug, worauf Jahwe diesen erzwingt (Ex 7-11, Plagenerzählung). Schließlich gibt der Pharao seine Einwilligung, die Hebräer ziehen zu lassen. Jahwe ordnet das ↗Passa-Fest an.

Tag und Nacht sind die Hebräer unterwegs. Jahwe zieht ihnen voran, tagsüber als Wolke, nachts als Feuersäule, um ihnen den Weg zu leuchten. Als der Pharao seine Nachgiebigkeit bereut und die Flüchtenden mit einer Streitmacht verfolgt, kommt es bei der Durchwanderung des ↗Schilfmeeres (Ex 12-15) zu ihrer wunderbaren Errettung. Die Streitmacht des Pharaos wird vernichtet.

Moses macht sich mit seinem Volk zur Wüstenwanderung auf, die vierzig Jahre dauern sollte. Nach drei Monaten kommen sie in die Wüste Sinai.

Moses wird von Jahwe mehrmals auf den Gottesberg zitiert. Jahwe verkündet den ↗Dekalog, gibt den Israeliten ein Grundgesetz3 und schließt mit ihnen den Sinaibund.

Moses begibt sich wiederum auf den Berg. Diesmal bleibt er 40 Tage und 40 Nächte weg. Jahwe übergibt die Gesetzestafeln, beauftragt Moses mit der Errichtung von ↗Bundeslade, ↗Schaubrottisch, ↗Leuchter und anderen Heiligtümern. Er verkündet das ↗Sabbatgebot. Seine Übertretung ist ein todeswürdiges Vergehen (Ex 31,14).

Während Moses auf dem Berg weilt, fällt das Volk von Jahwe ab. ↗Aaron hat einen ↗Götzen in Form eines ↗goldenen Kalbes geschaffen. Jahwe will sein untreues Volk vernichten. Moses verhandelt mit ihm und erreicht unter Auflagen Vergebung. Als Moses zurückkommt, sieht er, wie die Israeliten das goldene Kalb umtanzen. Zornig zerschlägt er die Gesetzestafeln und vernichtet das Götzenbild. Es folgt ein Strafgericht. Dreitausend der Abtrünnigen werden "durch Söhne ↗Levis"4 getötet.

Schließlich begibt sich Moses ein letztes Mal auf den heiligen Berg. Gesetzestafeln und Bund werden erneuert, die Gebote bekräftigt, insbesondere das Sabbatgebot.

Das ↗Zeltheiligtum wird angeordnet und errichtet.  Der Herr bezieht seine Wohnung (Ex 40,34). In dieser will Jahwe bei seinem Volk ständig präsent sein. Solange die Israeliten auf Wanderung sind, zieht Jahwe in Gestalt einer Wolke vor ihnen her (Ex 40,35ff.).



Von den biblischen Zeugnissen abgesehen, gibt es keinerlei Hinweise für einen Aufenthalt des gesamten Volks Israel in Ägypten. Verschiedentlich sind kleinere semitische Gruppen bzw. Clans in ägyptischen Quellen erwähnt. Das trifft vor allem für Habiru-Gemeinschaften zu, die zu Beginn der Regierungszeit ↗Ramses' III. zur Fronarbeit rekrutiert und an den für diese Zeit bezeugten Unruhen beteilig gewesen waren. Die ↗Haribu werden in ägyptischen Texten der Spätbronzezeit zunehmend häufig erwähnt und dürften auch die Namensgeber für die Hebräer gewesen sein, ohne dass man sie mit den späteren Bewohnern ↗Judas und ↗Israels ethnisch gleichsetzen darf (Assmann 66).

Wann der Auszug stattbefunden haben soll, lässt sich aus biblischen Texten einigermaßen genau erschließen: Er habe 480 Jahre vor dem ↗Tempelbau ↗Salomons stattgefunden (1Kön 6,1), wird berichtet. Davor seien die Israeliten 430 Jahre in Ägypten gewesen (Ex 12,40). Wenn man den Bau des Tempels in ↗Jerusalem um das Jahr 970 vC annimmt, müsste Josef um das Jahr 1880 vC nach Ägypten gekommen sein und der Auszug etwa 1450 vC stattgefunden haben.

Heute wissen wir, dass mit dem Bau der Städte Pitom und Ramses in der Regierungszeit von ↗Seti I. (1291-1278) begonnen wurde. Da die Israeliten nach biblischem Bericht als Fronarbeiter am Bau beteiligt gewesen waren, konnte der Auszug vorher nicht stattgefunden haben. Von den Fachgelehrten, die hinter der Auszugslegende ein historisches Ereignis vermuten, wird ↗Ramses II. (1279-1213) als jener Pharao identifiziert, der zur infrage stehenden Zeit über Ägypten herrschte. Der Exodus, wird von diesen Fachgelehrten überwiegend angenommen, habe um 1250 vC stattgefunden. Damit wäre auch zeitlich Platz für eine 40-jährige Wanderung.  Für 1207 vC (in ↗Merenptahs fünftem Regierungsjahr) ist jedenfalls die Existenz eines Volkes Israel durch eine Granittafel, die sogen. ↗Israel-Stele, bezeugt5.

Es sind aber nicht nur die biblischen Zeitangaben, die irritieren. Auch andere Sachverhaltsschilderungen bergen Merkwürdigkeiten. 

600000 Männer sollen ausgezogen sein. Kinder (und Frauen) nicht mitgezählt (Ex 12,37). Und viel "Mischvolk" soll mit Ihnen mitgezogen sein. Dazu viele Schafe und Rinder (Ex 12,38). Wenn also angenommen 1,5 bis 2 Millionen Menschen samt ihren Herden das Schilfmeer durchquert hätten, wäre eine mehrreihige, rund 200 Kilometer lange Kolonne unterwegs gewesen. Die  Durchwanderung des Schilfmeeres hätte wohl einige Zeit in Anspruch genommen6

Zudem gibt es für eine 40-jährige Wüstenwanderung keinerlei archäologische Belege7.

Es drängt sich also auf, anzunehmen, dass der Exodus, so wie er in der Bibel erzählt wird, nicht stattgefunden hat. 

Die kritische Forschung geht heute überwiegend davon aus, dass die Landnahme der Israeliten über Jahrhunderte und weitgehend friedlich stattgefunden habe. Offen bleibt, ob die Isaeliten sich aus kanaanitischen Stämmen heraus gebildet haben oder ob sie, von wo auch immer, zugezogen sind.

Bemerkenswert ist die Annahme (von Finkelstein/Silberman 84f.), wonach die Sage vom Auszug Israel aus Ägypten aus politischen Gründen im 7. Jh vC entstanden sei8.




1) Der Aufenthalt Josefs (samt Familie) wird von manchen Fachgelehrten mit der ↗Hyksosherrschaft in Verbindung gebracht. Ein gutes Argument für diese Annahme ist, dass unter einem ägyptischen Pharao wohl kaum ein semitischer ↗Sklave zur rechten Hand des Königs hätte aufsteigen können. Mit der biblischen Chronologie lässt sich das allerdings nicht in Einklang bringen, zumal die Hyksosherrschaft über Ägypten für die Zeit von 1720 bis 1570 vC angenommen wird.

2) Hier gleitet die Erzählung ins märchenhafte ab. Wie zwei(!) hebräische Hebammen den Tötungsauftrag an so vielen betroffenen Menschen hätten ausführen sollen, wird offen gelassen.

3) Ein Teil dieses Grundgesetzes ist auch das Ausrottungsgebot gegen die ↗Kanaaniter (Ex 23,23)

4) Merkwürdig ist, dass der Hauptschuldige am Abfall von Jahwe, Moses‘ Bruder Aaron, unbehelligt bleibt.

5) In Fachkreisen ist umstritten, ob die genannten Israeliten einen Volksstamm in Mittelpalästina oder einen Nomadenverband in der Negev bezeichnen.

6) "Die Israeliten brachen von Ramses auf in Richtung Sukkoth, ungefähr 600 000 Mann zu Fuß, die Männer allein gezählt, ohne Frauen und Kinder" (Ex 12,37) ... " Die Prophetin ↗Mirjam, Aarons Schwester, nahm die Pauke zur Hand, und alle Frauen zogen hinter ihr her mit Pauken und Reigentanzen. Und Mirjam sang ihnen zu: Singt Jahwe! Denn er ist hoch erhaben! Rosse und Reiter hat er ins Meer gestürzt!" (Ex 15,20f.)
Man sieht: nicht das steht im Bewusstsein der Welt, was sich dereinst wirklich ereignete, sondern das, was in Israels Sagen und Singen daraus geworden ist. Wir stehen beeindruckt vor dem Triumph der Wirkungsgeschichte über die Geschichte (Donner Bd 1, 93).

7) "Selbst wenn die Zahl der geflüchteten Israeliten (im Text mit 600000 angegeben) eine wilde Übertreibung darstellt oder so verstanden werden kann, dass sie kleinere Einheiten von Menschen umfasst, schildert der Text, wie eine große Anzahl von Menschen unter den schwierigsten Bedingungen überlebt. Von ihrer eine ganze Generation währenden Wanderung auf dem Sinai müssten zumindest einige archäologische Spuren zu finden sein. Aber außer den ägyptischen Festungen an der Nordküste hat man keinen einzigen Lagerplatz noch sonst irgendein Zeichen dafür gefunden, dass sich jemand zur Zeit Ramses’ II. und seiner direkten Vorfahren oder Nachfolger auf dem Sinai aufgehalten hat. Das liegt nicht daran, dass man sie nicht gesucht hat. Wiederholte archäologische Sondierungen in allen Regionen der Halbinsel, einschließlich des Gebiets um den Berg Sinai beim ↗Katharinenkloster haben nur negative Beweise erbracht: keine einzige Töpferscherbe, kein Gebäude, kein einziges Haus, ja, nicht einmal die Spur eines alten Lagers" (Finkelstein 75).

8) "Aber heute sehen wir, wie die bemerkenswerte Komposition im Angesicht des wachsenden Konflikts mit Ägypten im 7. Jahrhundert v. Chr. zustande gekommen ist. Die Sage von Israels Auszug aus Ägypten ist weder historische Wahrheit noch literarische Erfindung. Sie ist der machtvolle Ausdruck von Erinnerung und Hoffnung, entstanden in einer Welt, die sich mitten im Wandel befand. Die Konfrontation zwischen Mose und dem Pharao spiegelt die Konfrontation von großer Tragweite zwischen dem jungen König ↗Josia und dem frisch gekrönten Pharao ↗Necho" (Finkelstein/Siberman 84f.).


Literatur:
Jan Assmann. Exodus. 2015 München. Verl. C. H. Beck.
Israel Finkelstein, Neil Asher Silberman. Keine Posaunen vor Jericho. 42007 München. Deutscher Taschenbuch Verlag.
Josef Scharbert. Exodus. 22000 Würzburg. Echter Verlag.
Herbert Donner. Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen. 2. Bde. 1984 Göttingen. Verl. Vandenhoeck & Ruprecht.



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MfG B.
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