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Gab es drei urchristliche Phasen ?
#1
Für Christen ist Jesus allgegenwärtig "Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28,20) - doch von manchen wird die Meinung vertreten, daß sich Ende des 1. Jahrhunderts manche Urchristen die Anwesenheit Jesu anders vorgestellt hatten

Siehe hier:
Parusie - Lexikon :: bibelwissenschaft.de

"9. Zum Problem des Ausbleibens der Parusie Christi"

bibelwissenschaft.de
Das wissenschaftliche Bibelportal der Deutschen Bibelgesellschaft

Somit ist das nicht irgendeine Einzelmeinung - und daher finde ich dieses Thema interessant und wert zu diskutieren

In der erwähnten Abhandlung wird gesagt, daß es bereits am Übergang von der zweiten zur dritten (s. 1Clem 23,3f; 2Thess 2,1-10, s. 7), erst recht aber in der dritten urchristlichen Phase (s. 2Clem 11,2-4; 2Petr 3,3-13) "innerchristlichen Zweifel an der göttlichen Präsenz" gegeben habe
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#2
Nun, das steht im Prinzip schon im anderen Thread. Die Parusieerwartung der fruehen Christen war die einer zukuenftigen Rueckkehr Christi auf die Erde, wobei er in einem siegreichen Kampf Israel befreit und die uneingeschraenkte Herrschaft Gottes durchsetzt. Den in den Evangelien ueberlieferten Worten Jesu ist zu entnehmen, dass dieses Ereignis noch zu Lebzeiten der Zuhoerer stattfinden wuerde. Den Briefen des Paulus und anderen NT-Texten ist zu entnehmen, dass auch die Generationen danach immer noch auf dieses Ereignis - vergeblich - warteten. Alle diese Texte wurden offensichtlich nach der Wiederauferstehung Christi, wie sie in den Evangelien beschrieben wird, geschrieben, was auch einschliesst, dass diese urspruenglich nicht gemeint war.

Da ewig nichts passierte, wurde das dann spaeter mehrfach uminterpretiert. Es ist eines der merkwuerdigen Phaenomene der menschlichen Psyche, dass, wenn etwas, an das sie sehr fest glauben, sich als falsch herausstellt, bei vielen Menschen dies in einer Verschiebung der Glaubensvorstellungen muendet, ohne den Glauben an sich zu zerstoeren, sondern im Gegenteil sogar eine Verstaerkung des Glaubens erfolgt. Das sieht man ja auch in neuer Zeit immer wieder. Das mag eine Variante der "sunk cost fallacy" sein, also die Reaktion auf den Verlust einer grossen Investition (hier wohl Jahre intensiven Glaubens), indem man mehr "Geld" hinterherwirft, weil das weniger schmerzhaft ist, als sich der Situation zu stellen.
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#3
Hallo Ulan
Ein sehr interessanter Beitrag von Dir - vielen Dank!

Allerdings sehr viele Gedanken in einem Beitrag - ich muß auftrennen

(25-02-2019, 12:59)Ulan schrieb: wobei er in einem siegreichen Kampf Israel befreit

Dieser Aspekt war nur für Judenchristen interessant. Für Heidenchristen etwa in Athen war das irrelevant

(25-02-2019, 12:59)Ulan schrieb: und die uneingeschraenkte Herrschaft Gottes durchsetzt.

Ob diese Gottesherrschaft auf der Welt wirklich das Ziel der Christen war, sei dahingestellt. Sagte doch Jesus zu Pontius Pilatus "Mein Reich ist nicht von dieser Welt"
Daraufhin erkannte Pontius Pilatus, daß Jesus ungefährlich für Rom war und sagte "Ich finde keine Schuld an diesem Mann"

Spätestens seit diesem Verhör glauben Christen nicht an die Verjagung der Römer

Der Wunschtraum der Gottesherrschaft auf Erden kam erst durch allerlei Sekten in den USA des 19. Jahrhunderts auf - nachdem in der Zeit des Metternich Systems alle staatsgefährdenden Mikrosekten aus Europa vertrieben waren und in die USA geflüchtet waren - wo sie alsbald eine quantité non négligeable und sehr selbstbewußt wurden

(25-02-2019, 12:59)Ulan schrieb: Alle diese Texte wurden offensichtlich nach der Wiederauferstehung Christi, wie sie in den Evangelien beschrieben wird, geschrieben  

Um das Jahr 40 und danach waren die Christen wohl sehr ratlos wenn nicht orientierungslos. Jede Versammlung eines Dorfes hatte andere Ideen. Denn blöderweise ging das Leben weiter wie eh und je
Es hatte sich genau Null geändert
Die Pharisäer predigten ihre unerträglich verknöcherte Tradition die jedes Jahr starrer wurde, die nicht an Engel und Auferstehung glaubenden Sadduzäer hielten im Tempel bei der Schlachtung der Tiere ihre Show ab, während Streifen von gepanzerten römischen Legionären das Straßenbild beherrschten
Genau so wie es wohl zur Zeit des Herodes war

Nun begannen christliche Schreihälse zu schreien - auf Märkten und überall dort, wo Menschenansammlungen waren, begannen sie wirre Sachen von sich zu geben. Dinge, von denen Jesus nie etwas gesagt hat
Marktschreier und Verschwörer (beispielsweise Schüler des Mannes mit dem häufigen Namen Johannes, der die sogenannte "Geheime Offenbarung" geschrieben hatte) hatten das Wort.
Das Christentum degenerierte vielerorts zu einer ominösen Verschwörersekte mit Massenmord Phantasien (1/3 der Menschheit soll ja laut der "Geheimen Offenbarung" umgebracht werden)

Die Gemäßigten waren um Schadensbegrenzung bemüht und distanzierten sich von den Schreihälsen
Leider nahmen sie später aus unerfindlichen Gründen diese sogenannte "Geheime Offenbarung" in ihren Bibelkanon auf

Während die Schreihälse ein Gemetzel auf Erden herbeisehnten - sprachen die Gemäßigten von einem Reich oben im Himmel

Zwei völlig konträre Arten der Religion. Da soll man gar nicht auf die dumme Idee der Ökumene kommen
Denn das ist absolut unvereinbar und gegenteilig

(25-02-2019, 12:59)Ulan schrieb: Da ewig nichts passierte . . .
Es ist eines der merkwuerdigen Phaenomene der menschlichen Psyche, dass, wenn etwas, an das sie sehr fest glauben, sich als falsch herausstellt, bei vielen Menschen dies in einer Verschiebung der Glaubensvorstellungen muendet, ohne den Glauben an sich zu zerstoeren, sondern im Gegenteil sogar eine Verstaerkung des Glaubens erfolgt. Das sieht man ja auch in neuer Zeit immer wieder. Das mag eine Variante der "sunk cost . . . " sein, also die Reaktion auf den Verlust einer grossen Investition (hier wohl Jahre intensiven Glaubens), indem man mehr "Geld" hinterherwirft . . .

Ich hoffe, daß ich Dich richtig verstehe.
sunk cost bedeutet im Deutschen Absolute Fixkosten
Im Sinne von unwiderbringlichen Kosten; wie etwa horrende Entwicklungskosten für ein Atomkraftwerk - die man auch dann nicht mehr "zurückbekommt" wenn man das AKW nicht in Betrieb nimmt. Selbst wenn die variablen Kosten bei der Produktion des Atomstroms teurer sind als bei der Fortsetzung der Produktion von Strom aus Kohleverbrennung, bleibt man beim Atomstrom, weil Entwicklung und Bau des Atomkraftwerks bereits ein Vermögen verschlungen hatten - und nicht mehr zurückzubekommen sind

Anderes Beispiel - das noch mehr ins Philosophische geht:
A hat bereits 4 Jahre seiner wertvollen Jugendjahre für ein bestimmtes Universitätsstudium verbraucht. Hat aber erst den 1. Abschnitt beendet. Nun sieht er, daß er für diesen Wahnsinn wohl nochmals 4 Jahre brauchen wird. Hätte er das vor Studienbeginn gewußt, hätte er sich nie auf diesen Blödsinn eingelassen. Aber jetzt ist es zu spät, um umzukehren. Diese 4 vergeudeten Jahre sind sunk cost. Da aber nach 4 Jahren der Point of no Return längst überschritten wurde, muß er grollend weitermachen

Am Beispiel der Religion:
Ein Judenchrist in Jerusalem des Jahres 60
Als junger Mann hatte er begeistert den Worten Jesu zugehört und sich das Paradies auf Erden ausgemalt. Ohne Römer, ohne pharisäische Überreglementierung aller Tätigkeiten des Alltags, ohne eigentlich atheistische Sadduzäer die einen Tempel führten ohne an Engel und Auferstehung zu glauben - als junger Mann hatte er seine Zeit vertrödelt indem er herumreisenden Predigern dieses asketischen Rabbi Jesus folgte, statt einen Beruf zu erlernen; dann starb sein Vater und er verkaufte das Haus und verschenkte das dafür erhaltene Geld an nichtsnutzige Faulpelze - doch nun war er ein Greis von 55 Jahren, zahnlos und es wird ihm immer schwindelig wenn er ein Glas süßen Traubensaft trinkt und der Rücken tut ihm weh
Jesus war von den Pharisäern und den Sadduzäern der Garaus gemacht worden, sie beschlossen seinen Tod, die Drecksarbeit machten wie so oft die Goi (Römer) und es kam nicht das Paradies auf Erden. Im Gegenteil, seit Jesus nicht mehr predigte, zerfiel seine Anhängerschaft alsbald in eine große Zahl von Sekten - in jeder Ortschaft gab es eine Mikrosekte die von der Mikrosekte des Nachbarortes nicht wissen will . . . ein absolut hilfloses Christentum - eine absolut hilflose Messiasbewegung.
Die große Investition dieses Judenchristen - nennen wir ihn Moishe - waren seine Jugendjahre. Diese sind unwiederbringlich vergangen . . . Soll er jetzt reumütig seine Jugendjahre wegwerfen, der Messiasidee des Jesus abschwören und als alter Mann nun als kleiner Wurm in der Synagoge weitertun - mit dem Status eines 15 Jährigen ?
Da sitzt der Sohn seines ehemaligen Nachbarn neben ihm (bevor er das Vaterhaus sinnlos verschenkt hatte) - er ist jetzt 17 und ist der Stolz der 10-köpfigen Synagoge seines Dorfes - und dem müßte er sich nun kriecherisch unterordnen und sich von ihm belehren lassen - als Narr - als reumütig zurückgekehrter verlorener Sohn sozusagen.
Nie und Nimmer !
Da bleibt Moishe lieber bei der Messiasgemeinde seines Ortes - ja, rechtlich verbleibt er in der Synagoge weil ein Austritt ja gar nicht vorgesehen ist - aber er bleibt ein Christ
Klar hatte der formalistische Hokuspokus der Pharisäer mit ihrer magischen Trennung der Küche in eine fleischliche und eine milchige Seite den Jahwe nicht zum eingreifen in Jerusalem bewegt - und der Tempelbetrieb war ohne Glauben an Engel und Auferstehung ein leeres äußerliches Ritual - und Jesus hatte sich als falscher Messias erwiesen - aber immerhin hat Moishe in der Christenversammlung den Status eines Ältesten. In der Christenversammlung wird Moishe geachtet

Moishe findet trotz seines Alters und seiner Gebrechlichkeit ein Weib - eine alte kinderlose Witwe die ein kleines Häuschen hat - sie hat nun einen Ehemann und er hat ein Eheweib und ein Dach über dem Kopf. Sie ist eine 50 Jährige begeisterte Christin - eine Judenchristin wie Moishe
Soll er sie desillusionieren? Soll er ihr seine Zweifel offenbaren? Sie würde ihn ohnehin nicht verstehen. Sie würde sich Sorgen um sein Seelenheil machen und Rat bei anderen Ältesten suchen um ihn zu retten. Die Sache würde ruchbar werden - Moishe würde alsbald zur Rede gestellt, verwarnt, degradiert, ausgeschlossen werden. So redete er lieber mit seinem Weib nicht über seine Zweifel.  
Nach ein paar Jahren wurde er schwer krank, siechend, und verstarb alsbald

War es das was Du gemeint hast ?
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#4
(26-02-2019, 01:01)Sinai schrieb:
(25-02-2019, 12:59)Ulan schrieb: wobei er in einem siegreichen Kampf Israel befreit

Dieser Aspekt war nur für Judenchristen interessant. Für Heidenchristen etwa in Athen war das irrelevant

Dass es das nicht war, zeigen die Versuche der Kirchenvaeter und auch in der "Offenbarung", alle Christen zum "neuen Israel" zu erklaeren. Wir sehen hier also eine Umdeutung des eigentlich Gesagten, die schon in den NT-Texten ihren Beginn nimmt.

(26-02-2019, 01:01)Sinai schrieb: Ob diese Gottesherrschaft auf der Welt wirklich das Ziel der Christen war, sei dahingestellt. Sagte doch Jesus zu Pontius Pilatus "Mein Reich ist nicht von dieser Welt"
Daraufhin erkannte Pontius Pilatus, daß Jesus ungefährlich für Rom war und sagte "Ich finde keine Schuld an diesem Mann"

Spätestens seit diesem Verhör glauben Christen nicht an die Verjagung der Römer

Das ist Deine uebliche Verwechslung von Botschaft und Botschafter. Die Evangelien wurden viele Jahrzehnte nach dem Tod Jesu geschrieben und behandeln natuerlich die Probleme ihrer Zeit (Jahrzehnte nach Paulus), nicht der Zeit, in der sie spielen. Ein Gegner, der angeblich aus dem Himmel kommt, muss einen roemischen Statthalter natuerlich sowieso nicht weiter interessieren.

Ausserdem vergisst Du in Deinem Kampf gegen die "Offenbarung", dass alle Evangelien die Apokalypse beschreiben, angefangen mit Mk 13 und am deutlichsten in Mt 24 (Luther 1912):

"29 Bald aber nach der Trübsal derselben Zeit werden Sonne und Mond den Schein verlieren, und Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden sich bewegen. 30 Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohnes am Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.  31 Und er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen, und sie werden sammeln seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels zu dem anderen."

Lies das ganze Kapitel.

(26-02-2019, 01:01)Sinai schrieb: Während die Schreihälse ein Gemetzel auf Erden herbeisehnten - sprachen die Gemäßigten von einem Reich oben im Himmel

Den Eingriff in die Geschehnisse auf der Erde beschreiben die Evangelien aber halt auch, nur dass z.B. bei Matthaeus die Leute nicht mit dem Schwert getoetet, sondern in einer Welt ohne Sonne, Mond und Sterne zurueckgelassen werden.

(26-02-2019, 01:01)Sinai schrieb:
(25-02-2019, 12:59)Ulan schrieb: Da ewig nichts passierte . . .
Es ist eines der merkwuerdigen Phaenomene der menschlichen Psyche, dass, wenn etwas, an das sie sehr fest glauben, sich als falsch herausstellt, bei vielen Menschen dies in einer Verschiebung der Glaubensvorstellungen muendet, ohne den Glauben an sich zu zerstoeren, sondern im Gegenteil sogar eine Verstaerkung des Glaubens erfolgt. Das sieht man ja auch in neuer Zeit immer wieder. Das mag eine Variante der "sunk cost . . . " sein, also die Reaktion auf den Verlust einer grossen Investition (hier wohl Jahre intensiven Glaubens), indem man mehr "Geld" hinterherwirft . . .

Ich hoffe, daß ich Dich richtig verstehe.
sunk cost bedeutet im Deutschen Absolute Fixkosten
Im Sinne von unwiderbringlichen Kosten

Wieso entfernst Du die "fallacy" aus dem Ausdruck? Aber ja, "sunk cost" ist etwas, das man nicht mehr zurueckbekommt, egal wie. Fuer den Gesamtausdruck (also mit "fallacy") wuerde man im Deutschen sagen, dass man dem schlechten Geld gutes hinterherwirft, obwohl es eigentlich am Sinnvollsten waere, den Verlust abzuschreiben.

Statt fantasievoller Ausmalungen bleiben wir doch einfach direkt beim Beispiel. Leute, die an ein baldiges Ende der Welt glauben, stellen oft ihr ganzes Leben komplett um. So wird es ja auch im NT dauernd gefordert! Wir hatten doch auch schon darueber gesprochen, dass das oft darin gipfelte, sich von allem irdischen Hab und Gut und auch ihrer Familie zu trennen in der Erwartung der baldigen Erloesung, egal, ob das nun die Ankunft eines himmlischen Heeres ist (wie in der Offenbarung) oder die Entsendung der Engel auf die Erde, die in einem Weltuntergangsszenario nur die Auserwaehlten einsammeln und den Rest der Menschheit im Elend zuruecklassen (wie bei Matthaeus). Wenn diese versprochene Belohnung (noch zu Lebzeiten der Zuhoerer Jesu!) nicht eintritt, fangen viele Leute an, sich zu fragen, ob sie nicht Jahrzehnte ihres Lebens weggeworfen haben (die "sunk cost"), einem leeren Versprechen nachzujagen. Waehrend Einige sich dann abwenden, reagieren viele Leute so, dass sie sich selbst gegenueber nicht zugeben koennen, einen Fehler gemacht zu haben, der sie Unmengen (in Form von Geld oder anderen Lebensoptionen) gekostet hat. Da kommen dann ploetzlich Entschuldigungen auf wie, z.B., sie haetten alles falsch verstanden, und wegen ihres falschen Verstaendnisses muessten sie jetzt doppelt so fest glauben, um die Belohnung doch noch zu bekommen (also im Sinne der "sunk cost" noch gutes Geld hinterherwerfen). Es wird schon klappen, ehrlich Icon_wink .
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#5
(26-02-2019, 13:24)Ulan schrieb:
(26-02-2019, 01:01)Sinai schrieb:
(25-02-2019, 12:59)Ulan schrieb: wobei er in einem siegreichen Kampf Israel befreit

Dieser Aspekt war nur für Judenchristen interessant. Für Heidenchristen etwa in Athen war das irrelevant

Dass es das nicht war, zeigen die Versuche der Kirchenvaeter und auch in der "Offenbarung", alle Christen zum "neuen Israel" zu erklaeren.


Ob das so stimmt?
In der "Offenbarung" wird zwischen den 12 Stämmen Israels und den Heidenchristen unterschieden

"Und ich erfuhr die Zahl derer, die mit dem Siegel gekennzeichnet waren. Es waren hundertvierundvierzigtausend aus allen Stämmen der Söhne Israels, die das Siegel trugen:" (Offenbarung 7,4)

Dann werden die 12 Stämme fein säuberlich aufgezählt
(Siehe die Liste in Offenbarung 7,5 - 7,8)
Stamm Juda
Stamm Ruben
Stamm Gad
Stamm Ascher
Stamm Naftali
Stamm Manasse
Stamm Simeon
Stamm Levi
Stamm Issachar
Stamm Sebulon
Stamm Josef
Stamm Benjamin

Danach gibt es dann "eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen" - die Heidenchristen

Somit dürfte der nationale Aspekt des Messias (du schreibst: "wobei er in einem siegreichen Kampf Israel befreit") nur für die Angehörigen der 12 Stämme Israels  (für die Judenchristen) interessant gewesen sein. Für Heidenchristen aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen (Griechen, Römern, nubische Sklaven in Rom) war das irrelevant

Nubische Sklaven in Rom und die meisten Griechen wußten doch nicht einmal genau, wie groß Israel in alter Zeit war. Sie hatten noch nie ein hebräisches Wort gehört und nie die Pracht des Tempels gesehen. Für all diese vielen Heidenchristen war der nationale Aspekt des Messias (ein prächtiger Feldherr der die Besatzer aus Jerusalem wirft) keine Kategorie

Aber Du hast insofern Recht, daß 200 Jahre später die Kirchenväter dann alle Christen zum "neuen Israel" - zum neuen Volk Gottes erklärten. "Volk Gottes" war nunmehr ein theologischer Begriff und hatte mit der hebräischen Sprache nichts mehr zu tun.
Sie meinten das so, daß die Juden nicht mehr das Volk Gottes seien, sondern eben die Leute des Neuen Bundes - die Christen

Doch auch sie waren Heidenchristen und hatten nicht das geringste Interesse an einem nationalen jüdischen Messias

----

Es war eben schon so: während in der Zeit vor Beginn der organisierten Heidenmission bei den Christen der nationale Aspekt des Messias sehr wichtig war, verblaßte dieser in der Heidenmission und war nach dem Zerwürfnis Synagoge - Ecclesia des Jahre 135 nicht mehr vorhanden
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#6
(26-02-2019, 13:24)Ulan schrieb: . . . dass alle Evangelien die Apokalypse beschreiben, angefangen mit Mk 13 und am deutlichsten in Mt 24 . . .

Mt 24,34 "Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft."

Meine bescheidene Frage - diese Generation ist längst vergangen und was geschah ?
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#7
(26-02-2019, 13:24)Ulan schrieb:
(26-02-2019, 01:01)Sinai schrieb: Ich hoffe, daß ich Dich richtig verstehe.
sunk cost bedeutet im Deutschen Absolute Fixkosten
Im Sinne von unwiderbringlichen Kosten

Wieso entfernst Du die "fallacy" aus dem Ausdruck? Aber ja, "sunk cost" ist etwas, das man nicht mehr zurueckbekommt, egal wie. Fuer den Gesamtausdruck (also mit "fallacy") wuerde man im Deutschen sagen, dass man dem schlechten Geld gutes hinterherwirft, obwohl es eigentlich am Sinnvollsten waere, den Verlust abzuschreiben.

Statt fantasievoller Ausmalungen bleiben wir doch einfach direkt beim Beispiel. Leute, die an ein baldiges Ende der Welt glauben, stellen oft ihr ganzes Leben komplett um. So wird es ja auch im NT dauernd gefordert! Wir hatten doch auch schon darueber gesprochen, dass das oft darin gipfelte, sich von allem irdischen Hab und Gut und auch ihrer Familie zu trennen

( . . . )

Wenn diese versprochene Belohnung (noch zu Lebzeiten der Zuhoerer Jesu!) nicht eintritt, fangen viele Leute an, sich zu fragen, ob sie nicht Jahrzehnte ihres Lebens weggeworfen haben (die "sunk cost"), einem leeren Versprechen nachzujagen.


Den Terminus "sunk cost" kannte ich, der Terminus "fallacy" war mir nicht ganz klar, er kann ja alles mögliche bedeuten

Aber ich denke, daß ich Dich richtig verstanden habe.
Menschen opferten Jahrzehnte ihres Lebens, statt eine bürgerliche Existenz aufzubauen (erlernen eines Handwerks und Arbeiten um Geld zu verdienen) jagten sie einem Phantom namens Messias nach, hofften auf das baldige Ende der Welt (was aber eigentlich weder mit Nächsten- noch mit Feindesliebe vereinbar ist), sie ließen ihre Eltern im Stich (was damals ohne Sozialstaat sehr schlimm war), verschenkten all ihr Hab und Gut, verkauften nach dem Tod der Eltern das Haus und verschenkten das Geld an Arme - und erkannten dann im Alter, daß das Reich Gottes nicht kam

Ich kann mir gut vorstellen, wie verzagt diese Menschen gewesen sein mußten. Da waren vielleicht drei alte Männer die Jesus noch persönlich gekannt hatten, in einem Dorf. Der eine wurde krank und siechte hilflos dahin, unter freiem Himmel schlafend in Decken gehüllt - schließlich starb er
Die beiden anderen waren sicher entsetzt, das mitansehen zu müssen. Sie waren selbst obdachlos und hungrig

Hätten sie jetzt umkehren sollen? Wozu? Das Leben ging ohnehin zu Ende und die verlorenen Jugendjahre und das verschenkte Haus konnten auch nicht mehr zurückgeholt werden. Nun spielten sie das Spiel zu Ende. So hatten sie wenigstens die Hoffnung, nach dem Tod belohnt zu werden

So verschob sich der Glaube an ein erlebbares Paradies auf Erden ins Jenseits - in den Himmel

Jesus hatte doch gesagt:
"Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin." Joh 14,2

Und hier sind wir genau in der Schwierigkeit, daß es das Paradies auf Erden (Offenbarung 7) und parallel dazu die Wohnungen im Himmel (Johannes 14) gibt !

Das Paradies auf Erden ist nicht für alle - sondern nur für 2/3 der Menschheit
(Ein Drittel wird ja laut "Offenbarung" beim Weltuntergang umgebracht)

Jedenfalls ist es ein irdisches Paradies - denn es wird in Jesaja 11,6 von Wölfen und Lämmern geredet die dann in Eintracht auf der Weide leben werden

Doch parallel dazu gibt es himmlische Wohnungen

Eine Zweiteilung der christlichen Gemeinde - wenn man das Geschriebene ernst nimmt ('sola scriptura')

Wäre dies überhaupt ein wünschenswerter Zustand?
Da wohnen dann Christen im Himmel und andere Christen (vielleicht die Eltern, Geschwister, Kinder)
wohnen auf der Erde, genießen die paradiesische Eintracht der Tiere
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