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Fernhandel in der Bronzezeit
#1
Religions- und Kulturgeschichte > Die Seevölker und der Stamm Dan
Beitrag # 14
(07-04-2019, 23:07)Sinai schrieb:
(07-04-2019, 13:24)Ulan schrieb: Der bronzezeitliche Kollaps war uebrigens tatsaechlich ein sehr einschneidendes Ereignis. Fast alle Hochkulturen der Zeit gingen damals unter, da sie von einem funktionierenden Handelsnetz vom westlichen Mittelmeer bis Afghanistan abhaengig waren, das mit einem Schlag verschwand. Es konnte keine Bronze mehr hergestellt werden! Nur Aegypten ueberlebte, auch wenn ihm in der Folge jeglicher internationaler Einfluss verloren ging.

Klingt interessant. Im Westen war der Handel mit Zinn nicht auf das Mittelmeer beschränkt. Zur Herstellung von Bronze brauchte man Zinn - und dieses wurde von den "Zinninseln" (die britischen Inseln) geholt. Daß es in der Bronzezeit ein funktionierenden Handelsnetz bis Afghanistan gegeben hätte, ist mir neu - aber interessant
Einzelne Handelsreisende waren kein funktionierenden Handelsnetz - erfolgte der Handel mit Afghanistan am Landweg? Wie sah es mit Straßen aus? Wurden die Straßen gegen Räuberstämme gesichert? Von wem? War grenzüberschreitender Handel gestattet oder wurden die Händler gleich beim Eintritt in den eigenen Machtbereich beraubt? Oder erfolgte der Handel am Seeweg? Und dann mit Booten den Indus hinauf und mit Flößen den Indus hinunter? Das klingt wirklich interessant

Wer lebte damals in Afghanistan? Arabisierte Turkvölker wohl sicher nicht. Welche Sprache gab es dort? Welche Religion?

War Afghanistan in ein Handelsnetz, das der Bronzeherstellung diente, eingebunden? Kamen Metalle (Kupfer und Zinn) aus Afghanistan?

Warum brach dieses riesige Handelsnetz zusammen? Warum konnte keine Bronze mehr hergestellt werden?

Das klingt wirklich sehr interessant.

Was ich nicht nachvollziehen kann, ist die Behauptung, daß fast alle Hochkulturen damals untergingen, da aufgrund des Zusammenbruchs des Handelsnetzes keine Bronze mehr hergestellt werden konnte

Bronze ist eine Metallegierung aus 80 % Kupfer und 20 % Zinn
Ziemlich fest und auch ausreichend hart, daher gut für die Herstellung von Schwertklingen geeignet
Auch gut für Helme, Schilder, Schuppenpanzer, Plattenpanzer und Beinschienen.
Bronze rostet nicht, sie ist chemisch sehr beständig - daher wurde sie auch gerne bei der Marine verwendet

Dadurch, daß Bronze nicht verrostet geht der Bronzebestand eines Reiches nicht verloren.

Wenn ein Reich seine Armeen mit Bronzewaffen austattete, dann spielt es keine Rolle, wenn durch einen allfälligen Zusammenbruch des Handelsnetzes keine Rohstoffe zur Erzeugung von neuer Bronze vorhanden waren.

Waren Krieger alt geworden und die Schwerter schartig, dann wurde ausgetauscht. Es wurden neue Krieger ausgebildet und neue Schwerter geschmiedet

Ein laufender Vorgang

Zur Herstellung neuer Schwerter wurden die alten (schartigen) Bronzeschwerter einfach eingeschmolzen und neue Bronzebarren gegossen, aus denen dann neue Schwerter geschmiedet wurden

Ein ständiger Kreislauf - heute würde man das Modewort "Recycling" verwenden

Die Armeen einer Hochkultur verfügten über so und so viele Schwerter, Helme, Beinschienen etc. - und der Bestand wurde nicht geringer (außer wenn ein Krieger ins Meer fiel und versank, oder wenn Krieger in Gefangenschaft gerieten)

Ständig wurden Schwerter zwar nicht zu Pflugscharen, aber zu anderen Schwertern geschmiedet

Anders gefragt: Was kümmerte es ein Reich, wenn kein neues Kupfer und kein neues Zinn mehr ins Land kamen ?

Dies wäre nur interessant bei einer deutlichen Vergrößerung der Zahl der Krieger. Aber selbst hier gab es viele Möglichkeiten der Substitution

Klar brauchte man zur Herstellung von Schwertern Bronze.
Aber Rüstungen konnte man ebensogut aus Büffelleder herstellen (war noch bei den Söldnern des Dreißigjährigen Krieges in Gebrauch, da neben ziemlich guter Schutzwirkung eine sehr gute Beweglichkeit beim Fechten vorhanden war) und man konnte massenhaft Streitäxte mit Steinklingen herstellen (sogar bei der Battle of Hastings 1066 n. Chr. wurden massenhaft Streitäxte mit Steinklingen verwendet, wovon zahlreiche Bodenfunde zeugen) etc etc

Jedenfalls eine interessante Diskussion zum Thema Bronzezeit


Religions- und Kulturgeschichte > Die Seevölker und der Stamm Dan
Beitrag # 15
(08-04-2019, 01:10)Ulan schrieb: Das ist ein sehr komplexes Thema und gehoert im Prinzip nicht so richtig in diesen Thread. Vielleicht schreibe ich demnaechst etwas dazu, da es in der Tat interessant ist.


Soeben gab ich in die Suchmaschine den Titel des vorliegenden Threads ein und fand prompt ein Buch zu diesem Thema:
Fernhandel in der Bronzezeit - De Gruyter
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#2
Na ja, ein Buch, dessen Inhalt niemand kennt, hilft erst einmal niemandem.

Dass das Thema "Kollaps am Ende der Bronzezeit" derzeit hochkommt, hat mit gewissen Parallelen zu unserer heutigen Situation zu tun. Fuer einige Jahrhunderte am Ende der Bronzezeit im oestlichen Mittelmeerraum schauen wir auf eine Art "globalisierte" Wirtschaft (natuerlich nicht wahre "Globalisierung", aber einen Wirtschaftsraum von der Ostsee bis Aethiopien und vom Antlantik bis nach Zentralasien), der von Fernhandelsguetern abhaengig war. Die Rolle des Oels, also eines Guts, das zwar jeder brauchte, aber nur weit weg zu haben war, spielte damals das Zinn. Dass wir damals auch auf eine Katastrophe, in der Klimawandel eine Rolle spielte, schauen (in Form einer Duerre, die im Mittelmeerraum, je nach Ort, 150 bis 350 Jahre anhielt), gibt eine weitere Parallele. Die Folge war ein "Dark Age", in dem Schrift fast verschwand, Produkte wie Keramik etc. stark vereinfacht wurden, Luxusgueter verschwanden und die Bevoelkerung wohl stark zurueckgegangen war. In diesem "Dark Age" sind wohl die Israeliten entstanden.

Aber schauen wir mal auf die Bronze. Kupfer gab es im Mittelmeerraum genug. Ueber aegyptische Kupferminen auf der Sinaihalbinsel haben wir ja schon in anderen Zusammenhaengen geredet, aber der Hauptlieferant fuer Kupfer in der vernetzten Wirtschaft der damaligen Zeit war die Insel, die vom Kupfer ihren Namen hat, Zypern. Von dort wurde ueber Jahrtausende Kupfer in alle Richtungen verschifft. Zinn ist dagegen im Mittelmeerraum fast gar nicht vorhanden. Es gab wohl ein paar kleinere Vorkommen in Anatolien, die urspruenglich wohl auch zur technischen Entwicklung von Bronze den Anstoss gaben, aber diese Vorkommen muessen schon frueh im Altertum versiegt sein. Das einzige andere nennenswerte Vorkommen befand sich in der Toscana, aber das reichte nicht mal fuer den Eigenbedarf der Etrusker und musste durch Importe ergaenzt werden, kam also nie in den Export. Grosse Vorkommen, die in der Antike eine Rolle spielten, gab es im nordwestlichen Spanien, in der Bretagne, in Cornwall und im Erzgebirge. Cornwall ist ja schon bei der Himmelsscheibe von Nebra als Quelle bestimmt worden, was nicht ganz klar werden laesst, wann die erzgebirglichen Vorkommen nun genau in den Fernhandel gingen. Die Bretagne spielte wahrscheinlich erst in roemischer Zeit eine groessere Rolle, aber auch fuer frueher werden schon Lieferungen aus Cornwall ueber Massilia (Marseille) vermutet. Die zentralasiatischen Vorkommen in Afghanistan, Uzbekistan etc. wurden definitiv frueh ausgebeutet, aber ihre Bedeutung fuer den Fernhandel ist umstritten. In letzter Zeit verschiebt sich wohl die Ansicht in die Richtung, dass es sich dabei wohl tatsaechlich um eine ernstzunehmende Zinn-Quelle handelte mit dem Hinweis darauf, dass der Handelsweg ja schon seit Jahrtausenden existent war, da aus exakt derselben Gegend der in den alten Kulturen extrem beliebte blaue Schmuckstein Lapislazuli stammte.

Bronze musste laufend ersetzt werden. Gegen Ende der Bronzezeit wurden die Gussverfahren so weit optimiert, dass Schmieden nicht mehr notwendig war, und es zur Massenproduktion kam. Gueter, die in allen Kaempfen verloren gingen, waren zum Beispiel Pfeilspitzen und Wurfspeere. Die Massenproduktion machte auch die Infanterie wesentlich schlagkraeftiger und erlaubte die Ausruestung grosser Heere, was mit einem enormen Bedarf an Bronze einherging. Dies fuehrte nebenei auch zu sozialen Umwaelzungen, da die Bedeutung der Streitwagenelite litt, was von dieser nicht gut aufgenommen wurde. Recycling wurde natuerlich gemacht und wird ja auch in dem Artikel ueber die Stadt Dan erwaehnt, den ich neulich verlinkt hatte. Im Prinzip ist die Umstellung auf Eisen aber nicht nur wegen technologischer Vorteile erfolgt, die zu Beginn nur gering waren; Eisen findet sich einfach etwa 20.000mal haeufiger als Zinn. Aegypten blieb uebrigens noch lange in der "Bronzezeit" stecken und stellte erst im Zuge der Eroberung durch Assyrien um.

Zur Bronze ist dazu noch anzumerken, dass die ersten Bronzen nicht Zinn, sondern Arsen verwendeten. Dies geschah zum Teil unbeabsichtigt, da viele Kupfervorkommen des Nahen Ostens mit Arsenmineralien "verunreinigt" sind. Die erste absichtliche Herstellung von Arsen-Bronze geschah im iranischen Hochland. Arsen-Bronze ist in vielen Faellen der Zinn-Bronze ueberlegen. Sie ist haerter als normale Bronze, und der fuer hochwertige Bronze notwendige Arsenanteil liegt deutlich unter dem fuer Bedarf an Zinn. Es gibt im Prinzip vier veschiedene mit damaligen Mitteln moegliche Verfahren zur Herstellung von Arsen-Bronze, aber niemand weiss genau, welche davon verwendet wurden. Der Grad der Gefaehrlichkeit ist dabei sehr verschieden. Waehrend einige Verfahren fast ungefaehrlich sind, enden andere in einer hohen Wahrscheinlichkeit extremer Gesundheitsschaeden fuer den Schmied. Dabei ist die Methode, die wohl am ehesten zufaellig gefunden wurde, weil sie von vorhandenen Mischerzen ausgeht, eine der gefaehrlichsten. Vielleicht hat dort die oft zu findende Figur des "lahmen" Schmieds (siehe Hephaistos) ihren Ursprung. Arsen-Bronze ist trotzdem potentiell besser als Zinn-Bronze, erfordert aber definitiv nachtraegliches Schmieden, um Klingen mit guten Eigenschaften zu erzeugen. Der Zinnmangel im Mittelmeerraum liess uebliche Bronzen der Gegend auf einen Zinnanteil von 10% konvergieren, was bei weitem nicht so haltbar ist wie spaetere chinesische Bronzen, die wegen des dort reichlich vorhandenen Zinns 20% verwendeten und wohl auch deshalb kaum korrodiert sind.

Um zum Handelsnetz zurueckzugehen, gibt uns das Schiff von Uluburun einen guten Einblick in die damaligen Verhaeltnisse. Das Schiff ist irgendwann in der zweiten Haelfte des 14. Jhdts. v.Chr. untergegangen, wie 14C-Methode, Dendrochronologie, mykenische Keramik und ein Skarabäus der Nofretete auf dem Schiff eindeutig aufzeigen. Das Schiff hatte 10 Tonnen Kupfer und 1 Tonne Zinn in der Form von Barren an Bord, was dem fuer Bronze notwendigen Verhaeltnis entspricht und die Herstellung einer kompletten Ausruestung fuer etwa 300 Krieger erlaubt haette. Das Schiff hatte ansonsten Gueter aus sehr vielen Laendern an Bord, was erstaunlich ist. Ob es ein normales Handelsschiff oder das Schiff einer Gesandtschaft ist, ist umstritten. Jedenfalls hatte wohl vorher niemand damit gerechnet, Gueter aus aller Herren Laender in der damaligen Zeit auf einem einzigen Schiff zu finden. Das reicht von der Ostsee bis Aethiopien, Assyrien bis Sizilien, etc.

Von einem anderen Schiff wissen wir, dass Kaufleute auch Zollbefreiungen erwirken konnten, die schon vor geplanten Handelsreisen ausgestellt wurden.

Die enge Vernetzung zwischen den Laendern laesst sich auch in den Briefen der Maechtigen sehen. Der aelteste noch vorhandene Friedensvertrag stammt aus der Zeit, und die Herrscher tauschten damals auch viele Privatbriefe aus. Die Archaeologie gibt weitere Einblicke. Bei dem von mir neulich verlinkten Artikel zur Stadt Dan findet man ja Alltagsgegenstaende aus Aegypten, der Argolis, der Aegaeis, Zypern, Syrien und Kanaan alle in derselben kleinen Stadt zur selben Zeit.


Ein weit fruheres Zeugnis findet sich uebrigens in den Briefen aus dem syrischen Mari am Euphrat aus dem 18. Jhdt. v.Chr. Diese bestaetigen nicht nur die Handelsrouten von Zentralasien bis Zypern, es findet sich auch der Hinweis, dass Hammurabi irgendwelche Schuhe nach Zypern zurueckschickte, die von dort kamen. Ob wir da auf antiken "Versandhandel" schauen oder auf ein ungewolltes Geschenk, weiss niemand, da der Brief keine Details dazu nennt.

Nach dem Zusammenbruch am Ende der Bronzezeit war jedenfalls das Handelsnetzwerk verschwunden. Einen Einblick wie schwierig es wurde selbst einfache Dinge wie Bauholz zu beschaffen, gab uns ja der neulich schon von mir verlinkte Reisebericht des Wenamun, der mehrere Jahre dafuer brauchte.
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#3
(09-04-2019, 13:18)Ulan schrieb: Aber schauen wir mal auf die Bronze. Kupfer gab es im Mittelmeerraum genug. Ueber aegyptische Kupferminen auf der Sinaihalbinsel haben wir ja schon in anderen Zusammenhaengen geredet, aber der Hauptlieferant fuer Kupfer in der vernetzten Wirtschaft der damaligen Zeit war die Insel, die vom Kupfer ihren Namen hat, Zypern.
( . . . )
Zinn ist dagegen im Mittelmeerraum fast gar nicht vorhanden. ( . . . ) Grosse Vorkommen, die in der Antike eine Rolle spielten, gab es im nordwestlichen Spanien, in der Bretagne, in Cornwall und im Erzgebirge.


Das nordwestlichen Spanien, die Bretagne, Cornwall und das Erzgebirge

Das Erzgebirge liegt nördlich der Wasserscheide Mittelmeer / Atlantik und die Elbe, die Moldau und die Saale entwässern in die Nordsee, somit in den Atlantik

Die Bretagne liegt am Atlantik

Das nordwestlichen Spanien liegt am Atlantik, konnte aber auch am Landweg mit dem Mittelmeer verbunden sein - hier ist von der Bronzezeit die Rede, und da gab es keine Straßen auf der Iberischen Halbinsel

Cornwall ist der westlichste Zipf der Hauptinsel der Britischen Inseln und ragt in den Atlantik

Hier fallen mir die "Zinninseln" ein, die Kassiteriden
Der antike griechische Geograph Strabon schrieb in seinem Hauptwerk Geographica über die Kassiteriden:
"Sie leben meist als Hirten von ihren Herden. Doch gibt es bei ihnen auch Bergwerke, in denen Zinn und Blei gewonnen werden, und für diese Metalle werden von den Kaufleuten Häute, Töpferware, Salz und Kupfergeschirr erhandelt. Lange vor unserer Zeit unterhielten die Phönikier allein zu ihnen Handelsbeziehungen und verheimlichten allen anderen den Seeweg dorthin.[2]"
[2] Strabon Geographie 3.5.11
Kassiteriden - Wikipedia

Hier nennt Strabon die Phönizier
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#4
Der dokumentierte Weg von Zinn aus dem Nordwesten war ueber Massilia, also ueber Land. Das gilt aber fuer spaetere Zeiten. Der Bernstein von der Ostsee kam auch ueber Land, und das geht am Erzgebirge vorbei. Die Handelswege nach Zentralasien gingen eben ueber die "Seidenstrasse", auch damals schon ein Konzept, wenn auch ohne Seide; hier zwangslaeufig ueber Land.

Was die "Zinninseln" angeht, weiss keiner so genau, was da gemeint war. Es gibt da wohl mehrere Kandidaten.
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#5
(09-04-2019, 13:55)Ulan schrieb: Der dokumentierte Weg von Zinn aus dem Nordwesten war ueber Massilia, also ueber Land. Das gilt aber fuer spaetere Zeiten. Der Bernstein von der Ostsee kam auch ueber Land, und das geht am Erzgebirge vorbei. Die Handelswege nach Zentralasien gingen eben ueber die "Seidenstrasse", auch damals schon ein Konzept, wenn auch ohne Seide; hier zwangslaeufig ueber Land.

Massilia (Marseille) war ein bedeutender Umschlagplatz für Zinn
"Antiker griechischer Handelsstützpunkt
Griechische Seehändler aus Phokäa in Kleinasien besuchten im 7. Jahrhundert v. Chr. regelmäßig die Südküste Frankreichs nahe der Mündung der Rhone, um mit den ligurischen Stämmen Handel zu treiben. Vor allem war Zinn als Bestandteil der Bronze bei den Griechen begehrt."
Marseille - Wikipedia

Aber hier ist vom 7. Jahrhundert v. Chr. die Rede - wir reden aber von der Bronzezeit

Der leichte Bernstein (ein fossiles Harz) ist leichter zu transportieren als Zinn
Wenn ein Dutzend Männer mit Bernstein wanderten, konnte jeder ein paar Kilo tragen (wenn er überhaupt so viel besaß, denn das war bereits ein Vermögen) - während Zinn ein schweres Metall ist
Hier stellt sich schon die Frage, ob das Zinn am Landweg und/oder am Seeweg ins Mittelmeerbecken kam

Die Handelsrouten nach Afghanistan konnten am Land und/oder am Seeweg gewesen sein. Bootsfahrt der iranischen Küste entlang ist risikolos - und ab der Indusmündung marschierte man dem Fluß entlang landeinwärts

Um das von Dir erwähnte Cornwall zu erreichen, war jedenfalls eine Schiffsreise erforderlich
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#6
Man muss da unterscheiden. Irgendwelche Schiffsreisen im Atlantik gab es natuerlich, aber wohl nicht zu der Zeit und definitiv nicht ueber grosse Strecken. Das Schiff von Uluburun aus der 2. Haelfte des 14. Jdhts. gilt schon als technische Neuerung, da es wohl das Mittelmeer ueberqueren konnte, was von den meisten antiken Schiffen nicht gewagt wurde, die sich nie aus Landnaehe entfernten. Cornwall zu erreichen erfordert "nur" die Ueberquerung des Aermelkanals, jedenfalls eine Reise in Sichtweite.

Wie auch immer, als wahrscheinlichste westliche Zinnquelle der Bronzezeit gilt das nordwestliche Iberien. Sardinien war ein bedeutendes Zentrum fuer den Metallhandel im westlichen Mittelmeer. Zinn gab's da zwar nicht, aber lokales Kupfer und von irgendwoher gehandeltes Zinn wurde dort weiterverkauft.

Die innerasiatischen Vorkommen sind wohl in Richtung Zentralasien, also auf dem Landweg, einfacher zu transportieren als ueber die Berge zum Ozean. Auch wenn Kamele in der Bronzezeit noch nicht als Tragtiere benutzt wurden, standen Esel in der Funktion zur Verfuegung. Vor allem die verbreiteten Lapislazuli-Funde im noerdlichen Iran deuten auf einen Landtransportweg hin. Aber klar, wer weiss. Nichts Genaues weiss man nicht.
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#7
(09-04-2019, 14:33)Ulan schrieb: Cornwall zu erreichen erfordert "nur" die Ueberquerung des Aermelkanals, jedenfalls eine Reise in Sichtweite.



Um Cornwall zu erreichen, mußte ein Mittelmeerboot mit seinen unpraktisch langen Rudern und seinem kaum flexiblem Segel erst mal eine sehr lange Atlantikfahrt machen, Iberien umrunden, dann den Golf von Biskaya durchqueren, dann die lange französische Atlantikküste entlang bis zur Meerenge von Dover. Dann dort auf die Hochsee hinaus. Mannshohe Wellen, die mit den langen Rudern von Galeeren spielen, sie verheddern und knicken - dann unberechenbarer Wind, der mal von Achtern, mal vom Bug kommt. Und von der britischen Ärmelkanalküste ist es noch einmal ein breiter Weg bis Cornwall

Sogar für heutige Segeljachten ist die Überquerung des Ärmelkanals eine Königsdisziplin, wer das schafft wird in den Jachtklubs anerkannt


(09-04-2019, 14:33)Ulan schrieb: Die innerasiatischen Vorkommen sind wohl in Richtung Zentralasien, also auf dem Landweg, einfacher zu transportieren als ueber die Berge zum Ozean. Auch wenn Kamele in der Bronzezeit noch nicht als Tragtiere benutzt wurden, standen Esel in der Funktion zur Verfuegung. Vor allem die verbreiteten Lapislazuli-Funde im noerdlichen Iran deuten auf einen Landtransportweg hin. Aber klar, wer weiss. Nichts Genaues weiss man nicht.


Du hast konkret von Afghanistan geredet
Selbstverständlich nicht exakt das Gebiet des heutigen Staates "Islamische Republik Afghanistan", sondern die Region
Wenn man sich eine physische Karte anschaut, dann war diese Region an den Fluß Indus angebunden

Indus - Persischer Golf - Zweistromland
Die Route Industal (mit und ohne Flößen oder Booten) - Persischer Golf die Küste entlang war sicher bequemer als irgendwelche wilde Routen (ohne Straßen in der Bronzezeit) am Landweg
Besonders zum Transport von schweren Rohstoffen (Zinn)

Daß sich Lapislazuli (ein Schmuckstein, der schon in der Bibel erwähnt wird) bis in unwegsame Gebiete des nördlichen Iran verirrte, sagt wenig

Wie auch immer - es war eine gewaltige seemännische Leistung in der Bronzezeit, zu den Britischen Inseln zu fahren, um dort Zinn aus Cornwall einzutauschen. Der Handel mit der Großregion Afghanistan war ebenfalls mühevoller und gefährlicher Fernhandel - egal ob am Seeweg und dann am Indus, oder am Landweg

Nächste Frage: Was bot Afghanistan in der Bronzezeit an, das diesen weiten Weg lohnte ?
Heute gibt es dort den beachtlichen Anbau von Schlafmohn
"Im Herbst 2007 wurden in Afghanistan 8200 Tonnen geerntet" Opium - Wikipedia

Waren es Sklaven ?
Derart mühsame Wege durch gefährliche Gegenden machten Leute nur für kostbare Waren (Menschen wurden von Sklavenjägerstämmen als Ware behandelt)

In der Bronzezeit dürfte die Großregion Afghanistan noch nicht handelsmäßig erschlossen gewesen sein
Einzelne Funde von afghanischen Waren im nordöstlichen Iran sind noch kein Hinweis auf Handel im großen Stil - aber ich will mich hier nicht festlegen. Wie Du sagst, weiß man wenig

Spannend die bronzezeitliche Oxus-Kultur
"Als Oasenkultur (auch Oxus-Kultur oder Oxus-Zivilisation, nach dem antiken Namen des zentralasiatischen Amudarja-Flusses) wird eine bronzezeitliche Kultur in der Wüste Karakum im heutigen Turkmenistan und Teilen Afghanistans bezeichnet. Sie existierte vermutlich zwischen 2200 und 1700 v. Chr. in etwa zeitgleich mit der Indus-Kultur, dem Reich Elam in Mesopotamien und dem Mittleren Reich in Ägypten."
Oasenkultur - Wikipedia

Siehe dort auch die Karte: Bactria–Margiana Archaeological Complex
Abkürzung BMAC

Ein schmaler Streifen
Dort wurde auch Silber verarbeitet. Vgl. ebd
"In Gräbern gefundene Fayence-Armreife aus der Indus-Kultur sowie syrische Stempelsiegel mit geflügelter weiblicher Gottheit auf einem Panther legen nahe, dass Fernhandel stattfand." ebd

Es gab also Handel von Afghanistan mit dem Industal
Von der Indusmündung in den Persischen Golf konnten Händler - der Küste folgend - das Zweistromland erreichen
Egal ob der Küste entlang wandernd oder der Küste entlang auf Booten fahrend
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#8
Ich fand jetzt im englischsprachigen Wikipedia interessante Hinweise, daß der BMAC sowohl mit dem Industal, als auch mit den Eurasischen Steppen des Nordens Handelsbeziehungen hatte:
"BMAC materials have been found in the Indus Valley Civilisation, on the Iranian Plateau, and in the Persian Gulf. Finds within BMAC sites provide further evidence of trade and cultural contacts. They include an Elamite-type cylinder seal and a Harappan seal stamped with an elephant and Indus script found at Gonur-depe. The relationship between Altyn-Depe and the Indus Valley seems to have been particularly strong. Among the finds there were two Harappan seals and ivory objects. The Harappan settlement of Shortugai in Northern Afghanistan on the banks of the Amu Darya probably served as a trading Station.
There is evidence of sustained contact between the BMAC and the Eurasian steppes to the north, intensifying c. 2000 BC."
Bactria–Margiana Archaeological Complex - Wikipedia

BMAC Funde wurden in der Zivilisation des Industals, im Hochland von Iran, im Persischen Golf gefunden. Die Beziehungen des BMAC zum Industal dürften intensiv gewesen sein. Es gab aber auch Kontakte zu den Völkern der Eurasischen Steppen des Nordens

Man fand übrigens 8000 Jahre alte Häuser aus mud bricks (Lehmziegeln)
"At Jeitun (or Djeitun), mud brick houses were first occupied c. 6000 BC." ebd

Das war Jahrtausende vor Beginn der Bronzezeit

"Jeitun culture may have began prior to 7000 BC, judging by the age of Sang-i Chakmak, the earliest settlement where such artefacts are found."
Jeitun - Wikipedia

Jetzt sind wir schon bei einer 9000 Jahre alten Kultur. Das war die Kupfersteinzeit
Bronze war natürlich noch unbekannt, für Waffen wurden Steinklingen verwendet
Das weiche Kupfer diente als Schmuckstück und Fibel (Gewandnadel)

Fernhandel gab es vor Beginn der Bronzezeit wohl wenig

"Als Kupfersteinzeit oder Kupferzeit . . . wird in Ägypten, Südosteuropa und Vorderasien und auch in der deutschsprachigen und skandinavisch-britischen Vorgeschichtswissenschaft ein Zeitabschnitt zwischen der Jungsteinzeit und der Bronzezeit bezeichnet, in dem der Kupferbergbau und grundlegende Techniken der Metallurgie erfunden wurden."
Kupfersteinzeit - Wikipedia
Dennoch zeigt eine Karte, daß Kupfer bereits vor 7500 Jahren relativ weit verbreitet war:
"Karte über die Verbreitung bzw. Ausbreitung der Verwendung von Kupfer während der Kupferzeit"
5500 v. Chr. kannten große Gebiete das Kupfer - Vgl. ebd laut Karte
Ganz Südosteuropa, Anatolien, Iran, das Zweistromland, Syrien, das Nildelta
Leider endet die Karte und gibt keinen Hinweis auf das ganze Niltal und die Gegenden östlich des Iran
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#9
Ich gehe davon aus, dass damals keine Schiffe vom Mittelmeer nach Cornwall fuhren (es gibt keinerlei archaeologische Evidenz dafuer), sondern dass Zinn bestenfalls ueber den Aermelkanal geschifft und dann auf dem Landweg transportiert wurde. Allerdings geht man heutzutage sowieso eher davon aus, dass das westliche Zinn im nordwestlichen Iberien (dem heutigen Galizien und dem angrenzenden Nord-Portugal) gefoerdert und ueber Land an einen Mittelmeerhafen transportiert wurde.

Zinn gibt's im noerdlichen Afghanistan, Tajikistan und Usbekistan, also an den Zufluessen des Amu Darya, der in die Steppe fliesst. Die meisten Staetten sind noch nicht erforscht (Afghanistan ist nicht gerade das Lieblingsziel von Archaeologen), aber es gab kurz vor dem Jahr 2000 Grabungen in mehreren grossen Zinngebieten im Zerafshan-Tal, hauptsaechlich zwischen Samarkand und Buchara direkt am Hauptstrang der Seidenstrasse, aber auch oestlich von Samarkand in einem Seitental des Zerafshan auf 3000 Metern Hoehe. Die westlichen Minen waren etwa von 1600-900 v.Chr. in Betrieb, die ertragreichere in den Bergen schon ab 2400 v.Chr. Anscheinend waren vor allem die damaligen Steppenvoelker (wahrscheinlich Mitglieder der Andronovo-Tazabagjab-Kultur) Haupttraeger der Bronzeherstellung in der Gegend. Streitwagen und Speichenraeder kommen ja wohl auch urspruenglich aus der Gegend. Uebrigens sagt der Bericht auch, dass das suedlich sich anschliessende Baktrien erst sehr spaet zu Zinn-Bronze ueberging (sie bevorzugten Kupfer oder Arsen-Bronze), und erst nach einer Eroberung wechselte.

Der Bericht sagt es nicht so offen, aber anscheinend war auch die Arbeit dort nicht unbedingt vergnuegungssteuerpflichtig, und einige der gefundenen Objekte verschwanden. Da muessen wir wohl noch weiter auf Proben warten, die man vernuenftig chemisch auswerten kann.
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#10
Hier ein Text über die Herkunft des Zinns in der Bronzezeit (PDF).
MfG B.
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#11
Danke fuer den Text. In einigen Details weicht die Beurteilung des Texts von anderen, die ich gelesen habe, ab (z.B. zu Cadiz/Gades, Mt. St. Michel, etc.), aber im Generellen ist das Bild wohl aehnlich, wie weiter oben erwaehnt. Entscheidend fuer die Vorgaenge am Ende der bronzezeitlichen Hochkulturen um das oestliche Mittelmeer erscheint mir jedenfalls, dass zu dieser Bluetezeit eventuelle Zinnvorkommen in diesem Bereich nicht bzw. nicht mehr vorhanden waren und eine Abhaengigkeit vom Fernhandel existierte.
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#12
Die Uni Bochum untersucht seit 2003 die bronzezeitliche Gewinnung von Kupfer und Zinn in Kasachstan und in diesem Zusammenhang alte Handelsverbindungen von Zentralasien in den Vorderen Orient.
MfG B.
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#13
Das was ich oben von der Gegend um Samarkand erwaehnt hatte, stammt auch von einem Konferenzband aus Bochum (2011/2015): *https://www.academia.edu/12478380/Bronze_Age_tin_mines_in_central_Asia
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#14
Manchmal stößt man in der Literatur auf einen vergöttlichen Midakritus
Da es um Phönizien um 500 v. Chr. geht, ist die Literatur spärlich
Midakritus hat die (im Jahre 1539 n. Chr. Teil der Grafschaft Cornwall gewordenen) Scilly Islands entdeckt. Sie liegen vorgeschoben (Richtung Amerika) im Atlantik. Durch den Golfstrom herrscht dort unglaublich mildes, beinahe subtropisches Klima mit vielen Sonnentagen und einer Temperaturdifferenz zwischen Sommer- und Wintermittel von nur etwa 10 °C. Auf den Scilly Inseln wachsen subtropische Bäume (z. B. Pinien) und sonstige subtropische Pflanzen.

Heinrich Georg Hoff verwendet 1782 die Schreibweise Silley
Er schreibt von einem "gewissen Midakritus" - einem Phönizier - der um 500 vor Christus diese Inseln Silley entdeckt hat, wo die Phönizier "einen großen Vorrath des herrlichsten Zinns fanden", und daß sie seitdem diese Insen "häufig" (was auch immer man darunter versteht) besuchten, und daß sie die Existenz dieser Zinninseln 300 Jahre lang als Geheimnis wahren konnten, und daß erst 200 v. Chr. die Massilier den Weg dahin fanden und nach und nach den "brittischen Handel" an sich zogen

Quellenangabe:
Magazin nützlicher und angenehmer Lektüre aus verschiedenen Fächern ...
books.google.at/books?id=MvP0MyOC5mgC
Heinrich Georg Hoff - 1782
Zweiter Theil. Seite 84
Mit Genehmigung der hohen k.k. Zensur.

"Der genaue Ursprung des Namens gilt als ungeklärt. Der Buchstabe „-c-“ wurde aber jedenfalls erst im 17. Jahrhundert in den Namen eingefügt, um ihn von dem englischen Wort silly zu unterscheiden, das ab dieser Zeit eine negative Bedeutung annahm. In älteren Quellen sind viele Varianten und Schreibarten des Inselnamens zu finden; bei dem römischen Autor Plinius finden sich die Formen Silumnus sowie Silimnis." Scillly-Inseln

Joh. Bapt. von Weiß (1820-1899) schreibt, daß der Gott der Tyrer mit dem Namen Melkart bei Plinius auch Midakritus heißt und erwähnt, er habe "zuerst das Zinn nach Griechenland gebracht"

Quellenangabe:
Weltgeschichte: Erster Band: Geschichte des Orients
books.google.at/books?isbn=9925058767
Joh. Bapt. von Weiß
Seite 433  

Das ist alles sehr interessant. Es dürfte eine Apotheose dieses berühmten Geographen/Seemans/Entdeckers gewesen sein, er wurde für die Verdienste für sein Volk vergöttlicht
Ich muß aber sagen, daß mir das mit der Gleichsetzung Melkart = Midakritus unglaubwürdig scheint

Wenn die Phönizier damals das Handelsmonopol mit den Scilly Islands hatten, und nur sie das Zinn an die Griechen (teuer) verkaufen konnten, dann war das keine Kleinigkeit

Midakritus hat eine lateinische Endung, es dürfte sich um eine spätere Latinisierung des Namens handeln (wie ja auch aus einem hebr. Schaul ein lat. Paulus wurde). Zu seinen Lebenszeiten hieß dieser legendäre phönizische Geograph sicher noch nicht Midakritus

Kontemporäre Quellen über den Zinnhandel der Phönizier dürften kaum vorhanden sein - so ein Geschäftsgeheimnis wurde streng geheim gehalten - und es waren wohl alle Matrosen wohl ausgesucht und überdies zur Verschwiegenheit verpflichtet

Somit liegt alles im Nebel - auch der von Joh. Bapt. von Weiß zitierte Plinius, Hist. natur, VII, 57 kann wenig zur Aufhellung beitragen

Interessant wäre es auch, wie die Massilier den Weg zu den Scilly Inseln fanden
Massilia war die lateinische Bezeichung für die griechische Hafenstadt Massalia

Es muß gar nicht der Fall gewesen sein, daß die Griechen von Massalia dies durch Verrat erfuhren, es könnte ja auch gewesen sein, daß sich ein kleines (und daher auf große Entfernung schwer sichtbares oder unsichtbares) Boot einem großen phönizischen Handelsschiff in großer Entfernung auf die Fersen heftete, immer so weit entfernt, daß das große Schiff immer wieder gerade am Horizont verschwand

Wir werden es nie erfahren
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#15
(10-04-2019, 09:57)Bion schrieb: Hier ein Text über die Herkunft des Zinns in der Bronzezeit (PDF).

Interessant
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