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Entstehung des Christentums und Datierungsfragen
#1
(11-05-2020, 09:08)Ulan schrieb: Wenn mir mal das 2. Jhdt. n. Chr. als formativ fuer das Christentum begreifen, dann muessen wir auch den intensiven Austausch mit dem Gnostizismus erwaehnen……...

Wenn wir unter formativ das Gleiche verstehen (formend, prägend, gestaltend), war im 2.Jahrhundert eigentlich nicht mal allzu viel los. Viel entscheidender war Paulus nach 35.n.Chr., ohne den wir hier heute in diesem Forum nicht diskutieren würden. Warum? Weil Judenchristen  sonst die weitere Geschichte des Christentums geschrieben hätten.

Paulus war an Jesus und seiner Lehre gar nicht interessiert. Er kannte ihn nicht einmal, obwohl Jesus und er  Zeitgenossen waren. Aber er "schrieb" den Glauben an Jesus und dessen Kreuzesgeschehen - statt die rakikalethische Lehre von ihm aufzugreifen und fortzuschreiben. Er und kein anderer ist der "Erfinder" des Christentums. Ihm gehört eigentlich die Kuppel in St. Peter.

Er war (für mich jedenfalls) eine dubiose Figur auf lebenslangem Konfrontationskurs zu den Erzaposteln: Jesu Bruder Jakobus und Petrus, dem ersten Jünger. Hatten sie auf dem Apostelkonzil 48 n.Chr. im kleinen Kreis den Zwist über die Glaubenspraxis der Urchristen noch so eben kitten können,  brach der Konflikt noch im Spätherbst des gleichen Jahres beim antiochenischen Zwischenfall erst richtig los. Die Wege trennten sich. Ohne die jüdischen Beschneidungs-, Speise-, Kontakt- und Reinigungsgebote zu achten (und damit auch seine eigenen), machte er die Tore weit auf für die Heidenchristen, die sonst über diese Hürde wohl nicht in Massen gesprungen wären.

Die spätere  römische Kirche hinderte das ihrerseits  nicht, alle möglichen heidnischen und jüdischen Bräuche sogar in ihr Meßopfer zu integrieren. Ein Sakrileg sondergleichen, oder? 

Noch viele andere Indizien heidnischer Anleihen könnte man aufführen.

MfG
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#2
Oh, da kann ich nur einen Blick in die Entwicklungen des 2. Jhdts. empfehlen, was Dein Urteil eventuell etwas revidieren wuerde. Da wird's noch mal so richtig spannend - gerade auch, was die Figur des Paulus angeht. Und dass der paulinische Zweig "gewonnen" haette, glaube ich gar nicht mal.
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#3
(11-05-2020, 17:36)Ulan schrieb: Oh, da kann ich nur einen Blick in die Entwicklungen des 2. Jhdts. empfehlen, was Dein Urteil eventuell etwas revidieren wuerde. Da wird's noch mal so richtig spannend....... 

Bis zum Beweis des Gegenteil stimmt das einfach nicht.* Das Urchristentum wurde, wie deutlich geschildert, maßgeblich im 1. Jh. durch  Paulus' Missionsreisen geprägt. Titus hatte zwar spaeter, 70 n. Chr. mit der Tempelzerstoerung ganze Arbeit geleistet, das junge Christentum wurde davon jedoch  kaum tangiert. 

Zweiter Einbruch war die jahrzehntelange Diskussion um den Arianismus, die "par ordre du mufti" erst viel spaeter beim hochtrabend so genannten "Konzil" 325 in Nicaea (vorläufig aber nicht endgültig) vom Kaiser entschieden wurde. Konstantin diktierte den damaligen Kirchenvertretern die Trinität quasi in den Block. Und die wiederum trugen ihre "Theologie" samt Gefolge  gelegentlich mit Knueppeln aus. 

Alles was uns heute weiterhelfen könnte, wurde damals gnadenlos verbrannt. 

MfG

*Ich nehme den bereits angesprochenen Gnostizismus aus.
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#4
(11-05-2020, 21:04)Davut schrieb:
(11-05-2020, 17:36)Ulan schrieb: Oh, da kann ich nur einen Blick in die Entwicklungen des 2. Jhdts. empfehlen, was Dein Urteil eventuell etwas revidieren wuerde. Da wird's noch mal so richtig spannend....... 

Bis zum Beweis des Gegenteil stimmt das einfach nicht.* Das Urchristentum wurde, wie deutlich geschildert, maßgeblich im 1. Jh. durch  Paulus' Missionsreisen geprägt. Titus hatte zwar spaeter, 70 n. Chr. mit der Tempelzerstoerung ganze Arbeit geleistet, das junge Christentum wurde davon jedoch  kaum tangiert.

Wie gesagt, ich empfehle, sich mal mit den Auseinandersetzungen des 2. Jhdts. zu beschaeftigen. Die Zerstoerung durch Titus war uebrigens, ganz im Gegenteil, gemaess heutiger Neutestamentik der Ausloeser fuer die Niederschrift der Evangelien (lange nach Paulus also), hat also zumindest diese massgeblich gepraegt.

Der Paulus, den Du kennst, ist der katholisierte. Das passierte im 2. Jhdt., als Paul von der Kirche entweder totgeschwiegen wurde (Justin z.B.) oder halt spaeter auch als "Apostel der Haeretiker" tituliert wurde (Tertullian, der Schoepfer der Trinitaet). Wohlgemerkt, diese Charakterisierungen kommen aus der Ecke der Kirche, die "gewonnen" hat.
 
Nach der Initialzuendung der Schaffung eines Neuen Testaments durch Markion (laut katholischer Kirche die groesste Bedrohung, die die Kirche je erfuhr), kam die Kirche so langsam in die Poette, und ein gewisser Kreis von Leuten, wahrscheinlich in Kleinasien, machte sich daran, die katholische Kirche und ihre Lehre zusammenzuzimmern. Dafuer wurden auch die Evangelien entsprechend "angepasst" (der markionitische Lukas und der protognostische Johannes erfuhren die umfangreichsten Editierungen) , die katholischen Briefe und die Pastoralbriefe geschrieben, die Apostelgeschichte in unsere jetztige Form gebracht, etc. Dieses ideologische Trimmen auf "katholisch" war mit Irenaeus um 180 n.Chr. weitgehend abgeschlossen. Dadurch, dass die heiligen Texte der Gegner in entschaerfter Form in diesen merkwuerdigen "4-Evangelien-Kanon" aufgenommen wurden, wurde eine Ausloeschung durch Umarmung versucht.

(11-05-2020, 21:04)Davut schrieb: Zweiter Einbruch war die jahrzehntelange Diskussion um den Arianismus, die "par ordre du mufti" erst viel spaeter beim hochtrabend so genannten "Konzil" 325 in Nicaea (vorläufig aber nicht endgültig) vom Kaiser entschieden wurde. Konstantin diktierte den damaligen Kirchenvertretern die Trinität quasi in den Block. Und die wiederum trugen ihre "Theologie" samt Gefolge  gelegentlich mit Knueppeln aus. 

Alles was uns heute weiterhelfen könnte, wurde damals gnadenlos verbrannt.

Ja, die Buecherverbrennungen durch die christlichen Schergen haben viel Unheil angerichtet. Ob das uebrigens die Vernichtung des groessten Teils der antiken Litearatur mit einschloss, ist heftig umstritten. Die ganzen anderen "Christenheiten" gingen damals weitgehend unter. Die Arianer sind da nur ein kleines Spaetphaenomen.

Das hat jetzt aber alles rein gar nichts mit dem Threadthema zu tun. Ich werde das wohl spaeter abtrennen.
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#5
(11-05-2020, 22:48)Ulan schrieb: Die Zerstoerung durch Titus war uebrigens, ganz im Gegenteil, gemaess heutiger Neutestamentik der Ausloeser fuer die Niederschrift der Evangelien (lange nach Paulus also), hat also zumindest diese massgeblich gepraegt.

Man stolpert gleich ueber den ersten Satz: Titus hatte die spaeter geraubte Menora im Allerheiligsen des Jerusalemer Tempels  noch nicht einmal von Ferne gesehen, als Markus mit seinem (Ur) Evangelium laengst fertig war. Wie kann die Tempelzerstoerung nach dem jüdisch römischen Krieg da Evangelien-Grundlage gewesen sein?

Von Markus 660 Versen haben Matthäus und Lukas nachher nur abgeschrieben. Von späteren Interpolationen abgesehen.

Na ja, aufgehuebscht waren sie letztlich alle.

MfG
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#6
(11-05-2020, 23:20)Davut schrieb: Man stolpert gleich ueber den ersten Satz: Titus hatte die spaeter geraubte Menora im Allerheiligsen des Jerusalemer Tempels  noch nicht einmal von Ferne gesehen, als Markus mit seinem (Ur) Evangelium laengst fertig war. Wie kann die Tempelzerstoerung nach dem jüdisch römischen Krieg da Evangelien-Grundlage gewesen sein?

Das sieht ein Grossteil der Neutestamentler halt anders. Die Mehrheit verortet das Mk-Evangelium nach 70.
Die deutsche Wikipedia hat zu solchen Fragen uebrigens oft sehr merkwuerdige Ansichten, was wohl am Sektionseditor liegt. Die frueheste gaengige Datierung ist 66, also auch schon waehrend des Krieges.

Wenn ich mir das Markus-Evangelium so ansehe, springt einem die Kriegsgeschichte geradezu ins Gesicht. Auch wenn sich der Text aufs Aeusserste bemueht, den Anschein zu erwecken, alles waere alles fein. Bis Markus dann die Hingerichteten des Aufstands erwaehnt.
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#7
(11-05-2020, 23:31)Ulan schrieb: Die Mehrheit verortet das Mk-Evangelium nach 70.


"Mehrheiten" haben in der Forschung kein Gewicht. Icon_smile
Man denke an die erdrückende Mehrheit von ärztlichen Idioten, die Robert Koch das Leben schwer machten - darunter eine Meute von Universitätsprofessoren bis zu karrieresüchtigen, angepaßten kleinen Spitalsärzten . . .

Immerhin steht das Argument, daß Markus die Zerstörung des Tempels nicht erwähnt oder auch nur angedeutet hat
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#8
(11-05-2020, 23:46)Sinai schrieb: Immerhin steht das Argument, daß Markus die Zerstörung des Tempels nicht erwähnt oder auch nur angedeutet hat

Er erwaehnt die Zerstoerung an einer Stelle und gibt an einer anderen Stelle einen deutlichen Hinweis. Es ist auch das zentrale Thema der Hinrichtung Jesu.
Selbst die ersten Saetze des Evangeliums weisen darauf hin.

Im ganzen Mk-Evangelium geht es darum, dass der Tempel durch eine spirituelle Verehrungsform ersetzt wird.
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#9
(11-05-2020, 23:49)Ulan schrieb: Er erwaehnt die Zerstoerung an einer Stelle und gibt an einer anderen Stelle einen deutlichen Hinweis.

Kenne ich nicht. Bitte um Zitat dieser Stelle
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#10
Die ist Dir jetzt oft genug ueber die Jahre genannt worden. Es ist immer noch dieselbe.
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#11
Es soll ja kein Dialog zwischen uns zwei sein.

Vielleicht gibt es Leute, die in der vorliegenden Diskussion mitlesen - und die würden sich schon interessieren, welche Stelle im Evangelium Du meinst, um das verifizieren oder falsifizieren zu können
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#12
Es geht mir halt auf die Nerven, wenn Du jetzt zum wahrscheinlich zehnten Mal oder so so tust, als wuesstest Du nicht, um welche Stelle(n) es geht.
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#13
(11-05-2020, 23:31)Ulan schrieb:
(11-05-2020, 23:20)Davut schrieb:  Wie kann die Tempelzerstoerung nach dem jüdisch römischen Krieg da Evangelien-Grundlage gewesen sein?

@Ulan: Das sieht ein Grossteil der Neutestamentler halt anders. Die Mehrheit verortet das Mk-Evangelium nach 70. Die deutsche Wikipedia hat zu solchen Fragen uebrigens oft sehr merkwuerdige Ansichten, was wohl am Sektionseditor liegt. 

@Davut: Wikipedia gehört in theologischen Fragen nur ungern zu meiner Literatur. 

Generationen von Theologen haben sich sowohl an Verfasserfrage als auch an der Datierung abgearbeitet. Wie zu sehen, haben wir deren Erbe hier  würdig fortgesetzt. 

Ich setze auf JohMk als Verfasser, der 68 dahin schied. Tot wird er es wohl nicht geschrieben haben. Im Datierungsspektrum zwischen den 50er und 70er Jahren drängt sich mir eher eine "Kriegsfassung" auf, bei der die Tempelzerstoerung entsprechend prophetischer Vorhersage zwar absehbar aber noch nicht geschehen war. 
Aufstände waren da an der Tagesordnung. Man denke nur an die Zeloten/Sikarier-Blutfehden.

Bemerkenswerter ist wieder ein "schwieriger" Paulus. Er trennte sich in Perge auch von JohMk nach einer nur kurzen gemeinsamen Missionsreise, zusammen mit Barnabas, der spaeter auch von Paulus den Laufpass (oder umgekehrt) erhielt.

Markus vermittelt m. E. die authentischste Version von Jesu Leben und Wirken. Pardon fuer das Abschweifen vom Thema. Aber der Köder  wurde so verlockend präsentiert. Da kann man einfach nicht widerstehen. 

MfG
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#14
(12-05-2020, 03:18)Davut schrieb: Ich setze auf JohMk als Verfasser,...

Zu Johannes Markus als vermeintlichen Verfasser des Evangeliums habe ich u.a. HIER (klick!) was geschrieben.
MfG B.
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#15
(12-05-2020, 03:18)Davut schrieb: Ich setze auf JohMk als Verfasser, der 68 dahin schied. Tot wird er es wohl nicht geschrieben haben.

Wer sich selbst kuenstliche Einschraenkungen setzt, kommt halt dann auch auf einen kuenstlichen Terminus ante quem. Es ist schon witzig, dass Du Dir hier eine Vermischung von Figuren zu eigen machst, die traditionelle katholische Legendenbildung hervorgebracht hat.

Die Verfasser der Evangelien sind prinzipiell unbekannt. Die Zuschreibung des Markus-Evangeliums zu einem Markus beruht auf ein paar duerren Zeilen bei Papias, die sowieso nicht so richtig zu dem passen, was wir als Mk-Evgl. kennen. Die Namen, die mit den uns bekannten Evangelien assoziiert sind, tauchen zuerst bei Irenaeus (um das Jahr 180) auf. Papias selbst kannte wohl nur irgendwelche Texte von einem Markus und einem Matthaeus, deren Beschreibung aber, wie gesagt, nicht auf die uns bekannten Texte passt. Lukas und Johannes waren Papias wohl nicht bekannt, sonst haette Irenaeus das wohl erwaehnt.

Fuer mich sind generell die vielen Parallelen im Markus-Text zu Geschehnissen, die Josephus in seiner Beschreibung des Juedischen Kriegs berichtet, ausschlaggebend. Ich halte den Text fuer eine unmittelbare Reaktion auf das katastrophale Ereignis, eine Geschichte, die Mut machen soll und die Katastrophe selbst als Beginn der Erloesungsereignisse umdeuten moechte. So eine Interpretation erklaert uebrigens sogar das leere Grab, mit dem das Evangelium endet.
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