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es gibt keinen logischen Weg vom Sein zum Sollen - oder doch?
#1
einleitung/vorgeschichte

ekkard meint einerseits

"Die Bibel ist kein Ethik-Buch!"

will aber andererseits die bibel in ihrer bedeutung de facto reduziert wissen auf jesu gebot der nächstenliebe - was in meinen augen und wohl für so gut wie alle sehr wohl eine ethische vorgabe darstellt und ja auch von so gut wie allen als solche verstanden wird

er gibt gleichwohl zu, daß man auf die - hier als "gebot der nächstenliebe" formulierte "goldene regel" auch völlig ohne bezug auf einen "gott" kommen kann, den er übrigens - im widerspruch zur kernaussage des christlichen glaubens, wie er auch von den kirchen vertreten wird, nicht als personales wesen versteht. sondern als ein durchs universum waberndes "transpersonales bewußtsein", das die menschen zu sozialem wohlverhalten veranlassen soll

meine imho naheliegende frage war dann:

"wozu dann sich einen gott konstruieren oder bücher für "heilig" erklären?"

(denn die "goldene regel" läßt sich schließlich auch anders ableiten, aus einer - wie ich meine - ganz pragmatischen logik des gesunden menschenverstands)

darauf ekkard:

"Du schreibst ja fast nie, wie du zu deiner Haltung deinen Mitmenschen gegenüber gekommen bist.
...
So, wie du schreibst "Warum konstruiert man sich einen Gott", kann ich mit gleicher Berechtigung fragen: "Wie kommst du darauf, dass man seine Mitmenschen so behandeln soll, wie du dir das vorstellst?"

und an glaurung:

"Da es keinen logischen Weg vom Sein zum Sollen gibt, läuft alle Ethik auf den gesellschaftlichen Konsens hinaus ob mit Gott oder ohne ist Jacke wie Hose"

das ist einerseits interessant, weil es mich natürlich in meiner frage bestärkt:

"wozu dann sich einen gott konstruieren oder bücher für "heilig" erklären?"

andererseits aber eben eine these aufstellt oder referiert ("es gibt keinen logischen Weg vom Sein zum Sollen"), die mustafa auch gleich zum "gesetz" erhebt, welches durch mein

"ich finde übrigens durchaus, daß es "einen logischen Weg vom Sein zum Sollen gibt

was ist logischer als das verhalten, das man auch an anderen gerne hätte, selber vorzuleben?"

widerlegt werden soll (sprich: ich versündige mich gegen einen säulenheiligen der philosophie)

da nun setzen meine verständnisschwierigkeiten ein

frage:

was wird denn hier unter "sein", was unter "sollen" verstanden?

für mich ist das "sollen" im kontext der vorgeschichte die ethische vorgabe, wie mensch sich zu verhalten hat (ob als persönliche moral zu verstehen oder als allgemein verbindliche ethische norm, sei erst mal dahingestellt). und dieses "sollen" läßt sich nach meinem verständnis sehr wohl logisch aus dem "sein", also den gegebenheiten der realität, ableiten, und das logisch. tut man das nämlich nicht, wird die sache auch nicht funktionieren - weil eben die gegebenheiten der realität außer acht gelassen werden

aber lassen wir hume selbst sprechen (zitiert nach wikipedia):

„Bei jedem System der Moral, das mir bislang begegnet ist, habe ich stets festgestellt, dass der Autor eine gewisse Zeit in der üblichen Argumentationsweise fortschreitet und begründet, dass es einen Gott gibt, oder Beobachtungen über menschliches Verhalten trifft; dann plötzlich stelle ich überrascht fest, dass anstatt der üblichen Satzverknüpfungen, nämlich ‚ist‘ und ‚ist nicht‘, ich nur auf Sätze stoße, welche mit ‚soll‘ oder ‚soll nicht‘ verbunden sind. Diese Änderung geschieht unmerklich. Sie ist jedoch sehr wichtig. Dieses ‚soll‘ oder ‚soll nicht‘ drückt eine neue Verknüpfung oder Behauptung aus. Darum muss sie notwendigerweise beobachtet und erklärt werden. Zugleich muss notwendigerweise ein Grund angegeben werden für dies, was vollständig unbegreiflich erscheint: Wie nämlich diese neue Verknüpfung eine logische Folgerung sein kann von anderen, davon ganz verschiedenen Verknüpfungen..."

aha - da also liegt der hase im pfeffer

nun, hume beschreibt hier sehr schön, wie religiöse gern argumentieren:

"es gibt einen gott. also sollen wir uns so verhalten, wie uns erzählt wird, daß er das will"

d'accord, mr. hume. da folgt nicht a logisch aus b, sondern es wird schlicht eine behauptung in die welt gesetzt, und zwar im tonfall einer autorität, die widerspruch oder auch nur kritisches hinterfragen abschrecken soll. wer wollte sich denn auch mit "gott" anlegen...

ich aber (und natürlich nicht nur ich allein oder gar als erster, der auf so eine revolutionäre idee gekommen wäre) argumentiere ja nicht so. mein "sollen" ergibt sich ja eben nicht "unmerklich" aus einer "Änderung" dergestalt, daß aus "nämlich ‚ist‘ und ‚ist nicht‘" nun auf einmal ein "‚soll‘ oder ‚soll nicht‘" wird.
ich "beobachte und erkläre" jene "Verknüpfung" ja durchaus

indem ich nämlich nicht einfach so vom "sein" aufs "sollen" komme, sondern dem ganzen ein "wollen" voranstelle - wie es ehrlicherweise doch bei jeder ethik der fall sein muß und ja auch ist. dann prüfe ich das "sein", um ein effizientes "sollen" zu entwickeln, das mein "wollen" realisieren kann

dabei rede ich immer nur von mir selbst, meinen absichten - nicht abstrakt von und normativ über andere(n). was nicht ausschließt, daß ich meinen ansatz auch für tauglich für andere halte oder gar ausschließe, daß er per gesellschaftlichem konsens in der tat als allgemein verbindliches regelwerk vorgeschrieben wird oder zumindest werden kann (ich alleine bestimme das aber nicht)

also im klartext:

wollen:

ich will, daß es mir gut geht

sein:

aus der erfahrung weiß ich, daß der mensch reziprok agiert. bin ich freundlich zu meinem mitmenschen, wird er mit großer wahrscheinlichkeit auch mir gegenüber freundlich sein. brülle ich ihn an, wird er vermutlich zurückbrüllen. nutze ich den anderen nur aus, wird er mir das bei nächster gelegenheit mit gleicher münze zurückzahlen. arbeiten wir vertrauensvoll zusammen, läßt jeder jedem sein recht, übervorteilt keiner den anderen - haben wir alle davon einen vorteil

sollen:

also empfielht es sich, zu meinem besten mit dem anderen so umzugehen, daß er auch sein bestes erreichen kann

was, bitteschön, ist daran jetzt nicht logisch? nicht "beobachtet, erklärt und
begründet"?

inwiefern soll mich also humes kritik überhaupt treffen?

schluß

daß moralische vorgaben eben nicht abstrakt hergeleitet und begründet werden können oder sich zwangsläufig ergeben, sondern natürlich immer zielorientiert sind und somit davon abhängen, was man denn damit erreichen will, ist für mich eine derartige selbstverständlichkeit, daß ich gar nicht auf die idee käme, etwas anderes anzunehmen (scheint aber z.b. hume völlig fremd zu sein)

als erstes wird natürlich ein "wollen" vorausgesetzt (das ist der "Grund", der nach hume "notwendigerweise angegeben werden" muß dafür, "wie nämlich diese neue Verknüpfung eine logische Folgerung sein kann von anderen, davon ganz verschiedenen Verknüpfungen"), daraus ergibt sich doch überhaupt erst die ganze sache. und dann kann, sollte, ja muß imho das "sollen" selbstverständlich logisch aus dem "sein" hergeleitet werden - woraus oder wie denn auch sonst, bitteschön?

warum nun hume davon ausgeht, "dass eine solche geringfügige Aufmerksamkeit alle gewohnten Moralsysteme umwerfen würde", kann ich mir nur daraus erklären, daß die ihm seinerzeit bekannten moralsysteme eben nicht wie soeben beschrieben logisch basiert waren, sondern sich der o.a. herleitung über "gott" und ähnliches mehr bedienten

"dass die Unterscheidung von Laster und Tugend nicht nur auf den Verhältnissen von Objekten gründet und auch nicht mit der Vernunft wahrgenommen wird“, wie hume meint, ist wiederum eine selbstverständlichkeit. sind "Laster und Tugend" doch absoluta wie "gut und böse", die zur beschreibung unserer realität schlicht untauglich sind

zum glück sind wir heute über so etwas hinaus. jedenfalls wir pöhsen rationalen, "naturalisten", "atheisten" usw., die wissen, daß solche aussagen immer nur kontextbezogen und aus einem bestimmten blickwinkel heraus getroffen werden können, während die gläubischen immer noch meinen, man könne unserer komplexen lebenswirklichkeit mit derart simplifizierendem schwarz-weiß-denken gerecht werden



vielen dank also, mr. hume, für ihre erhellenden anmerkungen - aber glücklicherweise befinden wir uns bereits im 21. jhdt und sind eben im denken etwas weiter, als es ihre zeitgenossen offenbar noch waren
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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es gibt keinen logischen Weg vom Sein zum Sollen - oder doch? - von petronius - 24-12-2012, 17:07

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