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Rauhnächte (auch Raunächte, Rauchnächte)
#1
Ursprünglich wurden die Nächte zwischen ↗Wintersonnenwende (21.12., Thomastag) und dem ↗Dreikönigstag (6.1.) als Rauhnächte angesehen. Später wurde die Zeit, die zwischen ↗Weihnachtsabend und Dreikönig lag, "die Zeit zwischen den Jahren"1, als Rauhnächtezeit bezeichnet. In manchen Gegenden gilt auch die Nacht zu ↗Nikolaus, in der ↗Krampusse und andere teuflische Gesellen schlimme Kinder heimsuchen, als Rauhnacht. In anderen Gegenden wieder sind Rauhnachtsbräuche auf die vier Großen Rauhnächte2 (Thomasnacht, Weihnachtsnacht, Silvesternacht, Dreikönigsnacht) bzw. auf drei (ohne die Thomasnacht) beschränkt.

Das Brauchtum, das mit den Rauhnächten einhergeht, ist mindestens seit dem ↗Hochmittelalter im deutschsprachigen Alpenraum tief im Volksglauben verwurzelt (vgl. Timm 26) und in verschiedensten Ausformungen anzutreffen.

In den Rauhnächten begehren die Wintergeister besonders heftig auf. Dunkelgeister ziehen als ↗Perchten herum, der Rauwuzl treibt sein Unwesen, ↗Hexen fliegen schadenbringend durch die Luft. Um Schäden von Haus und Hof fernzuhalten, sind besondere Maßnahmen erforderlich. Die Arbeit sollte möglichst ruhen. Stuben und Ställe werden ausgeräuchert (daher auch Rauchnächte), Geister werden durch ↗Speiseopfer gnädig gestimmt, Vorsicht im Umgang mit den Stalltieren ist vonnöten. Denn Tiere können in den Rauhnächten sprechen. Wer sie sprechen hört, stirbt.

↗Geister und ↗Dämonen können Schaden aber auch Nutzen bringen. Wem die Regeln bekannt sind, der kann sie in den Rauhnächten befragen und so zu geheimem Wissen gelangen3. Insbesondere bei Befragungen in den "Großen Rauhnächten" galt das Offenbarte (auch das, was durch Traumbilder vermittelt wird) als besonders zuverlässig. Der ↗Orakel-Brauch des Bleigießens in der ↗Silvesternacht ist ein Restbestand mit Rauhnächten verbundener, magischer Handlungen.

Dem heftigen Aufbegehren der ↗Schadgeister in der Silvesternacht wird mit viel Lärm und Böllerschießen entgegengehalten. Am Neujahrstag soll (vornehmlich Alpenraum) Peitschenknallen (Aperschnalzen) Winter und Schnee austreiben.

Vom Berchtoldstag (2.1.) weg treten neben den Dunkeldämonen (Schiachperchten) auch Lichtgeister (Schönperchten = Licht- und Spiegelträger, Glöckler, u.dgl.) auf und gewinnen nach und nach die Oberhand. Schließlich werden die Dunkelgeister vom Licht (von der ↗Sonne) überwunden. Dieses Brauchtum ist insbesondere im alemannischen Raum, aber auch in manchen anderen Gegenden Österreichs und Deutschlands (in besonderer Form auch in Italien4) anzutreffen.

Die gefährlichste der Rauhnächte ist die vom 5. auf den 6. Jänner, es ist die Oberstnacht, die Nacht der ↗Perchta (Berchta, Berchtl). Sie sucht die Arbeitsstuben der Frauen und Mädchen auf und prüft die geleistete Arbeit, besonders das Gesponnene. Die Perchta kann Schaden aber auch Gutes bringen. Wer sie missachtet, wird bestraft, wer sie respektiert, wird belohnt. Um sie gnädig zu stimmen, werden in dieser Nacht Speisen aufs Dach bzw. in den Stall gestellt oder auf dem Küchentisch stehen lassen5.

Ehemals heidnische Bräuche wurden teilweise von der (insbesondere der katholischen) Kirche übernommen. Statt ↗Schamanen räuchern ↗Priester Ställe und Stuben aus.

Die Kirche hat sich mit dem Volksglauben und den damit verbundenen heidnischen Bräuchen arrangiert. Die Perchten, einst Geister im Gefolge von Vegetations- und Fruchtbarkeitsgöttern, wurden zu teuflischen Dämonen und Hexen, die gegen das Göttliche aufbegehren. Mit dem Erscheinen Christi sind sie überwunden.

Am Dreikönigstag bringen die ↗Heiligen Drei Könige die gute Nachricht vom Erscheinen Christi in der Welt (Epiphania) und kennzeichnen jedes Haus, das sie aufsuchen, als geschützten Ort (C+M+B = Christus mansionem benedicat).



1) Bis ins späte 17. Jahrhundert war im Denken der "einfachen Leut" das Jahr mit Weihnacht beendet. Der 31.12. - und der 1.1. für den Jahresanfang - war ihnen dafür "zu heidnisch". Mit Epiphania, auch Großneujahr oder Hochneujahr genannt, ließ man das Jahr beginnen. Die Tage dazwischen, die "Zeit zwischen den Jahren", dachte man sich "aus der Zeit und Ordnung gefallen".
2 Mancherorts wurden auch nur die vier Großen Rauhnächte (Thomas, Weihnacht, Neujahr, Dreikönig) oder auch nur drei (ohne die Thomasnacht) als eigentliche Rauhnächte und damit gefährlich angesehen.
3 Zum Beispiel beim Löffelopfer. Es wird die mit einem Löffel fassbare Menge vom Gemeinschaftsmahl ins Feuer geworfen. Wer Bescheid wusste, konnte aus dem Verhalten des Feuers eine Botschaft ableiten (vgl. Mayböck 83).
4 In Italien kommt die gute Fee oder Hexe Befana (aus Epiphania) mit Geschenken für die Kinder. Die ↗Sagengestalt (der Brauch) wurde 1928 von den Faschisten für ein entfremdetes Dreikönigsfest vereinnahmt.
5 Belege für Speiseopfer für Perchta (Holda, Holle) reichen bis ins Hochmittelalter zurück. Und zwar nicht nur für die Dreikönigsnacht, sondern auch für die Weihnachtsnacht. Weihnachtsspeiseopfer wurden mancherorts aber auch verchristlicht und mit ↗Maria und dem ↗Jesuskind in Verbindung gebracht (Waschnitius 36).


Literatur:
Viktor Waschnitius. Perht, Holda und verwandte Gestalten. Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. 174. Band. 2. Abhandlung. Jhrg. 1913/14.
Marianne Rumpf. Perchten: populäre Glaubensgestalten zwischen Mythos und Katechese. Quellen und Forschung zur europäischen Ethnologie Bd 12. 1991 Würzburg. Verlag Königshausen und Neumann.
Erika Timm. Frau Holle, Frau Percht und verwandte Gestalten. 22010 Stuttgart. S. Hirzel Verlag.
Anna-Luise Mayböck. Domina Perchta. Eine Spurensuche nach dem Wesen, dem Alter und der Größenordnung einer vielbesprochenen und doch stets verborgenen Gestalt des Volksglaubens. 2019 Diplomarbeit UNI Wien.



● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
MfG B.
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