als ergänzung zum thread "nur 28 Prozent unter 30 Jahren religiös ", in dem zunehmende glaubenslosigkeit konstatiert wird, möchte ich eine andere these dazustellen, nämlich: wo noch geglaubt wird, dort umso extremer
vertreten wird sie vom französischen islamwissenschaftler olivier roy ://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=pb&dig=2010%2F07%2F03%2Fa0050&cHash=174a58449e, und war nicht nur im hinblick auf den islam, sondern ganz allgemein
Wenn in den vergangenen Jahren über die fundamentalistische Entwicklung von Religion diskutiert wurde, ging es zumeist um die diversen Spielarten des Islamismus. Im Eifer der Debatten wurde jedoch übersehen, dass der Fundamentalismus und die von ihm ausgehenden Gefahren für eine liberale Gesellschaft kein exklusives Islamproblem darstellen.
...Olivier Roy zeigt in seinem neuesten Buch "Heilige Einfalt", dass der Vormarsch fundamentalistischer Religionen jedweder Couleur ein globales Phänomen darstellt. Ganz neu ist diese Erkenntnis nicht. Bereits Habermas hat vor einigen Jahren von der "Wiederkehr der Religiösen" gesprochen und darauf hingewiesen, dass diese mit einer verstärkten Missionstätigkeit, einer Fundamentalisierung und einer Instrumentalisierung der Gewaltpotenziale einhergeht.
Roy jedoch reformuliert die Habermas'sche Grundthese mit einer wichtigen Modifikation. Es müsse nicht von einer Wiederkehr des Religiösen, sondern von einer Mutation beziehungsweise radikalen Neuformierung des Religiösen ausgegangen werden.
Nach Roy befinden wir uns in einem historischen Übergangsprozess: Die traditionellen Formen des Religiösen wie der Katholizismus, der muslimische Hanafismus und die klassischen protestantischen Bekenntnisse mutieren zu fundamentalistischen Formen der Religiosität (Evangelikalismus, Pfingstlertum, Salafismus und so weiter). Betroffen seien nicht nur monotheistische Religionen, auch bildeten beispielsweise der Buddhismus und der politische Hinduismus der indischen BJP neue Formen von Religiosität.
Allen Mutationen gemeinsam sei, dass sie eine größere Sichtbarkeit im öffentlichen Raum anstreben und oftmals einen Bruch mit den herrschenden Praktiken und Kulturen herbeiführten. "Das Religiöse stellt sich als solches zur Schau und will nicht länger auf den Status eines symbolischen Systems neben anderen reduziert werden."
Das Verhältnis von öffentlichem Raum und Religion ist nach Roy erheblichen Veränderungen unterworfen. Die "Rückkehr" der Religion erfolge nicht mehr "in Form einer kulturellen Selbstverständlichkeit", sondern als Inszenierung des "reinen" Religiösen, die das Band von Kultur und Religion "verwirrt" oder gar zerreißt. Roy macht hierfür die umfassende "Dekulturierung" von Religion verantwortlich.
Lange Zeit sei Religion eng mit der jeweiligen Regionalkultur verbunden gewesen. Das Christentum habe maßgeblich zur Entwicklung des Westens, der Islam zu der des arabischen Kulturraums beigetragen. Heute jedoch zirkuliere das "Religiöse" außerhalb der Ursprungskultur. Die heiligen Texte (Bibel, Koran und so weiter) würden außerhalb jedes kulturellen Zusammenhangs "wortwörtlich" zum Sprechen gebracht. Religiosität werde hierdurch karger, kompromissloser, auf sich selbst bezogen. Zugleich sei in der heutigen, globalisierten Welt Religion auch mit allem vermischbar: Halal Fastfood, koschere Biokost, Cyber-Fatwa, Halal Dating, Cristlicher Rock.
Diese "Dekulturierung" schaffe eine Barriere zwischen den Gläubigen und Ungläubigen. In den Augen der Gläubigen gehörten die "Lauen, die Abgekühlten, all jene, die keine zweite Konversion als Wiedergeborene erlebt haben", zur profanen Welt. Umgekehrt - und dies lehrt die Islamdebatte zur Genüge - erscheine der Gläubige dem Ungläubigen seltsam und fanatisch. Dieser Prozess führe zum Verlust der sozialen Selbstverständlichkeit des Religiösen. Die Gläubigen würden sich als Minderheit empfinden, umzingelt "von einer profanen, atheistischen, pornografischen, materialistischen Kultur, die sich falsche Götter gewählt hat".
so gesehen, provoziert also gerade jene von humanist als positiv empfundene entwicklung zunehmender glaubenslosigkeit jene fundamentalistische gegenströmung
Im Mittelpunkt der Trennung von Religiösem und Kulturellem steht für Roy die Konversion, die immer mehr dafür sorge, dass es keine "automatische Verbindung" zwischen Religion und Kultur gäbe. Konversionen seien die Grundlage der raschen Ausbreitung neuer religiöser Strömungen, die an den Rändern der traditionellen Religionen entstünden. Konvertiten gingen oft auf Distanz zur jeweiligen Umgebungskultur, die als viel zu säkular wahrgenommen werde.
Über die Konversion von Christen zum Islam ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. In der Regel profitieren hiervon in erster Linie islamistische Strömungen. Zu nennen sind die Salafisten, die Tablighis sowie sufistische Gruppierungen. Hochproblematisch ist der Anteil von Konvertiten in den ultramilitanten Strömungen des Islamismus.
Allein der Konvertitenanteil unter den internationalen Mitgliedern der al-Qaida wird auf bis zu 20 Prozent geschätzt. Wenig bekannt ist, dass auch zigtausende Muslime in islamischen Ländern zum Christentum konvertierten, wozu Roy zahlreiche Belege anführt.
leider steht in dieser rezension nicht, zu welcher spielart des christentums genau nun muslime bevorzugt konvertieren. zu vermuten ist natürlich, daß damit evangelikale gruppen und pfingstkirchen gemeint sind, welche ja wohl in afrika mit dem islam konkurrieren (in lateinamerika aber den katholen das wasser abgraben)
trotzdem ein interessanter ansatz, fundamentalismus mit kultureller fremdheit und eben dem wunsch nach distinktion in zusammenhang zu bringen. ich sehe das auch als beitrag zur integrationsdebatte hierzulande
vertreten wird sie vom französischen islamwissenschaftler olivier roy ://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=pb&dig=2010%2F07%2F03%2Fa0050&cHash=174a58449e, und war nicht nur im hinblick auf den islam, sondern ganz allgemein
Wenn in den vergangenen Jahren über die fundamentalistische Entwicklung von Religion diskutiert wurde, ging es zumeist um die diversen Spielarten des Islamismus. Im Eifer der Debatten wurde jedoch übersehen, dass der Fundamentalismus und die von ihm ausgehenden Gefahren für eine liberale Gesellschaft kein exklusives Islamproblem darstellen.
...Olivier Roy zeigt in seinem neuesten Buch "Heilige Einfalt", dass der Vormarsch fundamentalistischer Religionen jedweder Couleur ein globales Phänomen darstellt. Ganz neu ist diese Erkenntnis nicht. Bereits Habermas hat vor einigen Jahren von der "Wiederkehr der Religiösen" gesprochen und darauf hingewiesen, dass diese mit einer verstärkten Missionstätigkeit, einer Fundamentalisierung und einer Instrumentalisierung der Gewaltpotenziale einhergeht.
Roy jedoch reformuliert die Habermas'sche Grundthese mit einer wichtigen Modifikation. Es müsse nicht von einer Wiederkehr des Religiösen, sondern von einer Mutation beziehungsweise radikalen Neuformierung des Religiösen ausgegangen werden.
Nach Roy befinden wir uns in einem historischen Übergangsprozess: Die traditionellen Formen des Religiösen wie der Katholizismus, der muslimische Hanafismus und die klassischen protestantischen Bekenntnisse mutieren zu fundamentalistischen Formen der Religiosität (Evangelikalismus, Pfingstlertum, Salafismus und so weiter). Betroffen seien nicht nur monotheistische Religionen, auch bildeten beispielsweise der Buddhismus und der politische Hinduismus der indischen BJP neue Formen von Religiosität.
Allen Mutationen gemeinsam sei, dass sie eine größere Sichtbarkeit im öffentlichen Raum anstreben und oftmals einen Bruch mit den herrschenden Praktiken und Kulturen herbeiführten. "Das Religiöse stellt sich als solches zur Schau und will nicht länger auf den Status eines symbolischen Systems neben anderen reduziert werden."
Das Verhältnis von öffentlichem Raum und Religion ist nach Roy erheblichen Veränderungen unterworfen. Die "Rückkehr" der Religion erfolge nicht mehr "in Form einer kulturellen Selbstverständlichkeit", sondern als Inszenierung des "reinen" Religiösen, die das Band von Kultur und Religion "verwirrt" oder gar zerreißt. Roy macht hierfür die umfassende "Dekulturierung" von Religion verantwortlich.
Lange Zeit sei Religion eng mit der jeweiligen Regionalkultur verbunden gewesen. Das Christentum habe maßgeblich zur Entwicklung des Westens, der Islam zu der des arabischen Kulturraums beigetragen. Heute jedoch zirkuliere das "Religiöse" außerhalb der Ursprungskultur. Die heiligen Texte (Bibel, Koran und so weiter) würden außerhalb jedes kulturellen Zusammenhangs "wortwörtlich" zum Sprechen gebracht. Religiosität werde hierdurch karger, kompromissloser, auf sich selbst bezogen. Zugleich sei in der heutigen, globalisierten Welt Religion auch mit allem vermischbar: Halal Fastfood, koschere Biokost, Cyber-Fatwa, Halal Dating, Cristlicher Rock.
Diese "Dekulturierung" schaffe eine Barriere zwischen den Gläubigen und Ungläubigen. In den Augen der Gläubigen gehörten die "Lauen, die Abgekühlten, all jene, die keine zweite Konversion als Wiedergeborene erlebt haben", zur profanen Welt. Umgekehrt - und dies lehrt die Islamdebatte zur Genüge - erscheine der Gläubige dem Ungläubigen seltsam und fanatisch. Dieser Prozess führe zum Verlust der sozialen Selbstverständlichkeit des Religiösen. Die Gläubigen würden sich als Minderheit empfinden, umzingelt "von einer profanen, atheistischen, pornografischen, materialistischen Kultur, die sich falsche Götter gewählt hat".
so gesehen, provoziert also gerade jene von humanist als positiv empfundene entwicklung zunehmender glaubenslosigkeit jene fundamentalistische gegenströmung
Im Mittelpunkt der Trennung von Religiösem und Kulturellem steht für Roy die Konversion, die immer mehr dafür sorge, dass es keine "automatische Verbindung" zwischen Religion und Kultur gäbe. Konversionen seien die Grundlage der raschen Ausbreitung neuer religiöser Strömungen, die an den Rändern der traditionellen Religionen entstünden. Konvertiten gingen oft auf Distanz zur jeweiligen Umgebungskultur, die als viel zu säkular wahrgenommen werde.
Über die Konversion von Christen zum Islam ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. In der Regel profitieren hiervon in erster Linie islamistische Strömungen. Zu nennen sind die Salafisten, die Tablighis sowie sufistische Gruppierungen. Hochproblematisch ist der Anteil von Konvertiten in den ultramilitanten Strömungen des Islamismus.
Allein der Konvertitenanteil unter den internationalen Mitgliedern der al-Qaida wird auf bis zu 20 Prozent geschätzt. Wenig bekannt ist, dass auch zigtausende Muslime in islamischen Ländern zum Christentum konvertierten, wozu Roy zahlreiche Belege anführt.
leider steht in dieser rezension nicht, zu welcher spielart des christentums genau nun muslime bevorzugt konvertieren. zu vermuten ist natürlich, daß damit evangelikale gruppen und pfingstkirchen gemeint sind, welche ja wohl in afrika mit dem islam konkurrieren (in lateinamerika aber den katholen das wasser abgraben)
trotzdem ein interessanter ansatz, fundamentalismus mit kultureller fremdheit und eben dem wunsch nach distinktion in zusammenhang zu bringen. ich sehe das auch als beitrag zur integrationsdebatte hierzulande
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)