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Beschneidung
#1
↗Herodot behauptet, dass ursprünglich nur drei Völker die Beschneidung kannten. Die Ägypter, die Äthiopier und die Kolcher, meint er, seien es gewesen, die ihre Kinder beschnitten hätten. Dieser Brauch, fährt er fort, sei später von den Phönikiern und von den in Palästina wohnenden Syrern übernommen worden (Herod. 2,104).

In Ägypten wurden Beschneidungen sowohl an Knaben als auch an Mädchen vorgenommen. Ob sie durchgängig in allen Bevölkerungsschichten angewandt wurden, ist mit Sicherheit nicht zu sagen.

Von den altorientalischen Völkern dürften die Babylonier und Assyrer die Beschneidung nicht gekannt haben. Jedenfalls gibt es keine Berichte über solche Ritualhandlungen. Auch den altphönikisch-ugaritischen Gemeinschaften war sie offenbar unbekannt.

Denkbar ist, dass die Ursache für die Beschneidung des männlichen Geschlechts im ↗Judentum im ägyptischen Vorbild begründet gewesen war (vgl. Jos 5,4ff.). Diese Vermutung äußerte schon Eduard Meyer (Meyer GdA, Bd. 2/1, 558). Ursprünglich wurde die Beschneidung sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter (Jos 5,2f.) vorgenommen, später in der Regel im Kleinstkindesalter (Gen 17,12).

Die (männliche) Beschneidung, wie das häufig getan wird, als Hygienemaßnahme zu erklären, greift zu kurz. Ursprünglich waren (männliche und weibliche) Beschneidungshandlungen (wohl magische) Kulthandlungen zur Sicherung der männlichen Zeugungs- und der weiblichen Gebärkraft, die männliche Beschneidung möglicherweise auch Ersatz des ↗Erstlingsopfers, bevor sie im Judentum – wahrscheinlich erst in der Zeit des ↗Exils - als "Bundeszeichen" (Gen 17, 10ff.) zum religiös-verbindlichen Gebot wurde (möglicherweise auch, um sich von den umgebenden Völkern ↗abzugrenzen).

Griechen und Römer hatten für die rituelle Beschneidung kein Verständnis, sie empfanden den Brauch als Verstümmelung. Von ↗Domitian wurde sie unter Strafe gestellt. Unter ↗Hadrian wurden die Strafbestimmungen verschärft. Von ↗Antoninus Pius wurden die Strafbestimmungen bezüglich der Beschneidung jüdischer Knaben wieder aufgehoben, für Erwachsene, die zum Judentum übertreten wollten (↗Proselyten), blieben sie aufrecht (Mommsen RG, Bd. 5, 548f.).

Im Reformjudentum wird seit Mitte des 19. Jhs die Abschaffung der Bescheidungspflicht diskutiert. Für Männer, die zum Judentum übertreten wollen, wird sie seit 1893 von reformjüdischer Seite nicht mehr eingefordert ("Central Conference of American Rabbis", Beschluss von 1892/93).

Allerdings werden unbeschnittene Konvertiten von konservativen und orthodoxen Juden nicht als dem Judentum zugehörig anerkannt.

In manchen antiken Kulten (zB beim ↗Kybele-↗Attis-Kult) wurde als Zeichen höchsten Gehorsams und höchster kultischer Reinheit für die Priesteramtsanwärter als Extremform der Beschneidung die Kastration eingefordert. Von ↗Origenes wurde beispielsweise Mt 19,12 in diesem Sinne missdeutet, und er setzte, wie ↗Eusebius schreibt, das Herrenwort in die Tat um. Dafür wurde ihm durch seinen Bischof, Demetrius, größte Bewunderung gezollt (Eus. KG VI, 2-3).

In Australien wurde bei manchen Völkern als "Beschneidungsmethode" die Vorhaut mittels eines Stockes, der ins Feuer gelegt wurde, mit der entstandenen Glut weggebrannt. Erst später wurde diese schmerzhafte Ritualhandlung, die oftmals auch zum Tod der jungen Männer geführt hatte, durch eine verbesserte Methode (Gebrauch von Steinmessern) ersetzt.

Die männliche Beschneidung wird bei Juden, ↗Muslimen, ↗koptischen Christen, teilweise auch bei fundamental-evangelikalen Christen in den USA und bei manchen Völkern Afrikas, Westasiens und Australiens als religiöse Vorschrift oder ↗Tradition gepflegt.

Die weibliche Beschneidung wurde (und wird) in islamisch-afrikanischen Gesellschaften (sie wurde erst durch sehr spät entstandene ↗Hadithe gerechtfertigt), aber auch von christlichen Äthiopiern und andern Völkern Afrikas, sowie von Völkern Asiens, Amerikas (in der Gegend von Tehuacan) und Australiens vorgenommen. Die weibliche Beschneidung kann von der (geringfügigen) Beschneidung der Schamlippen (oder eines kleinen Einschnitts in der Scheide) bis zur vollständigen Entfernung von Klitoris und Schamlippen (als die überwiegend angewandte Methode) reichen (LdI, Bd. 1, 123; LThK, Bd. 2, 380).

Im Islam ist weder die männliche (khitan) noch die weibliche (khafd) Beschneidung eine durch den ↗Koran eingeforderte Ritualhandlung, sondern Brauchtumspflege, deren Ursprung wohl in vorislamischen Traditionen begründet und von der islamischen Tradition aufgenommen worden ist.

Literatur:

William Montgomery Watt u.a. Der Islam I-III. 1990 Stuttgart. Verl. W. Kohlhammer. Bd. III (Annemarie Schimmel) Islamische Kultur.
Friederich Heiler, Erscheinungsformen und Wesen der Religion. 1961 Stuttgart. Verl. W. Kohlhammer.
Günter Mayer u.a., Das Judentum. 1994 Stuttgart. Verl. W. Kohlhammer
Hans Nevermann u.a. Die Religionen der Südsee und Australiens. 1968 Stuttgart. Verl. W. Kohlhammer
Ernst Dammann. Die Religionen Afrikas. 1963 Stuttgart. Verl. W. Kohlhammer
Walter Krickeberg u.a., Die Religionen des alten Amerika. 1961 Stuttgart. Verl. W. Kohlhammer



● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
MfG B.
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