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Prozess Jesu
#1
(Text in Arbeit)

Der Prozess Jesu ist nach römischem Recht geführt worden. Darauf deuten alle rechtsgeschichtlichen Untersuchungen hin. Nach jüdischem Recht wäre der Verlauf des Prozesses - samt Urteil und Vollstreckung desselben -, so wie die Evangelisten berichten, nicht möglich gewesen.

Die in der ↗Mischna festgehaltenen Vorgaben, wie Kriminalprozesse abzuhalten seien, lassen sich mit den Berichten der ↗Evangelien nicht in Einklang bringen.

Nach jüdischem Recht durften Kapitalprozesse nur während des Tages durchgeführt werden. Die Evangelien aber berichten überwiegend, dass der Prozess vor dem ↗Sanhedrin während der Nachtstunden stattfand und am frühen Morgen das Urteil feststand. Nur Lukas war sich des Problems bewusst. Seinem Bericht nach findet die Verhandlung am Tage statt (Lk 22,66).

Am Sabbat, an Festtagen und an den Rüsttagen durften nach jüdischem Recht keine Gerichtsverhandlungen abgehalten werden (Mischna, Sanh IV, 1, 7). In den Evangelien aber wird von einer Prozessführung in der Passahnacht (Mk, Mt) bzw. in der Nacht des Rüsttages (Joh) berichtet.

Nach jüdischem Recht durfte am ersten Verhandlungstag des Prozesses nur ein Freispruch, nicht aber ein Todesurteil ausgesprochen werden. Für ein Todesurteil hätte es zumindest eines zweiten Verhandlungstages bedurft (Mischna Sanh IV, 1, 7). Auch diese Bestimmung lässt sich mit den Berichten der Evangelien nicht in Einklang bringen.

Nach Markus (14,64) und Matthäus (26,65f.) war Gotteslästerung der Grund für die Verurteilung durch das Sanhedrin. Nach jüdischem Recht lag Gotteslästerung dann vor, wenn der Jahwename (deutlich!) ausgesprochen wurde (Mischna, Sanhedrin VII, 5). Gotteslästerung im Sinne der entsprechenden Bestimmungen lag aber nach den Berichten der Evangelisten nicht vor, denn Jesus wählt eine Umschreibung für Gott (Mk 14,62 u. Mt 26,64, …ἐκ δεξιῶν τῆς δυνάμεως… = er spricht von der "Macht", zu deren Rechten er sitzen werde).


Nach römischem Recht hatte ↗Pilatus zwei Möglichkeiten, gegen einen Beschuldigten vorzugehen.

Entweder hat er das Verfahren als coercitio oder als cognitio geführt.

Coercitio war die Vollmacht der römischen Behörden, Zwangsmaßnahmen durchzuführen, das heißt, im Dienste der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, quasi am Recht vorbei, willkürliche Entscheidungen zu treffen. Die Statthalter haben von diesem Recht, Hinrichtungen ohne vorherigen Prozess anzuordnen (gegenüber Nichtrömern war das problemlos möglich, gegenüber römischen Bürgern nur im Rahmen der soldatischen Disziplinargewalt), häufig Gebrauch gemacht. Nur selten mussten sie sich für ein solches Vorgehen rechtfertigen.

Cognitio war dagegen ein Verfahren nach Rechtsregeln, das Urteil wurde im Rahmen der gesetzlichen Normen gesprochen und vollzogen. Beweisaufnahme, Beweiswürdigung, Urteil und Vollzug der Strafe unterlagen Ordnungsvorschriften. Lag ein Geständnis vor (Schweigen zu einer Vorhaltung galt als Geständnis), konnte das Verfahren abgekürzt werden.

Das Rechtsverfahren konnte zweigeteilt durchgeführt werden. Anfangs als Verfahren de plano und, wenn nötig, in Fortsetzung als Verfahren pro tribunali. Wollte der Richter ein Verfahren ohne Urteilsspruch beenden, befragte er den Beschuldigten vorerst informell. Kam er zum Schluss, dass Rechtsverletzungen nicht vorlagen, wurde das Verfahren ohne Spruch beendet. Andernfalls bestieg er den Richterstuhl, und das Verfahren pro tribunali nahm seinen Lauf. Dieser Prozess musste mit einem Urteilsspruch enden. Zur Zeit des Tiberius wurden Prozesse pro tribunali in den Provinzen ohne Beiziehen von Geschworenen (wie das bis Augustus vor allem in Rom die Regel war) von staatlichen Beamten geführt.

Ob der Prozess Jesu so geführt wurde, wie es die Evangelien vorgeben, ist anzweifelbar. In der Regel wurde mit Rebellen, Aufrührern (Räubern, wie sie oft genannt wurden) kurzer Prozess gemacht, diese also im Rahmen der Sonderbefugnisse der Statthalter einfach hingerichtet.

Nach den Schilderungen der Evangelisten (die, wie bereits angemerkt, nicht einheitlich, zum Teil sogar widersprüchlich sind) lag eine Prozessführung des Pilatus cognitio extra ordinem vor, zunächst de plano, bis er sich auf den Richterstuhl setzte und pro tribunali (mit bekanntem Ergebnis) weiterverhandelte.

Die Prozessberichte der Evangelisten sind legendenhaft. Zum Teil wird von Sachverhalten und Gesprächen berichtet, für die es keine Augenzeugen gab. Offenbar wurden diese entsprechend der in den Gemeinden "bewahrten Erinnerungen" nacherzählt.


● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
MfG B.
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