Danke, Ekkard, für Deine gründliche Überlegung, und gleich mit Dank für die gründlichen Antworten z.B. in dem Thread "Akzeptanz von Argumenten". Da kann man dann wirklich sinnvoll drauf eingehen.
Was die Antwort hier betrifft, so sehe ich darin einen Beleg dafür, wie interessant und wichtig "die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" ist (Heinrich von Kleist hat darüber einen Aufsatz geschrieben).
Du hast nicht gleich alles perfekt beantwortet, auch Lücken gelassen, aber einen Anstoß gegeben, wo der andere dann weiter machen kann.
Ich war mir nicht sicher gewesen, ob Du den Begriff "Sachverhalt" bewusst oder unbewusst von Ludwig Wittgenstein übernommen hast. Nach seinem
Tractatus Logico-Philosophicus unterscheiden auch andere Sachverhalt von Tatsache.
Hier *http://de.wikipedia.org/wiki/Tractatus_Logico-Philosophicus kann man sich etwas einlesen, wenn man will.
Ein Sachverhalt wäre: 'Der Kölner Dom ist 37 km hoch.' Ob die Aussage wahr ist, spielt keine Rolle. Nur, dass die Aussage Mögliches formuliert.
Als Tatsache müsste man den Sachverhalt verifizieren. Da die Höhe des Kölner Doms beträchtlich geringer ist, wäre die tatsächliche Höhe die Tatsache.
Da Wittgenstein aber nicht leicht ist und der Begriff "Sachverhalt" nicht so von der Definition her eingebürgert ist wie "Beweis", meine ich, dass im Bereich Religion, Glaube, Spiritualität, Weltanschauung und Weltsicht - im Prinzip inklusiver psychischer Realität - die Freiheit besteht, "Sachverhalt" innerhalb der untersuchten Fragen sinnvoll zu definieren, und zwar auch durchaus unterschiedlich, falls man sich nicht einigt.
Als "Sachverhalt" würde ich zum Beispiel eine Depression bezeichnen. Auch die Liebe.
Und wenn ich hier zum Threadthema rückkoppele: Kann ich eine Depression oder eine Verliebtheit kritisieren?
Kann ich kritisieren, wenn jemandem der Materialismus mehr einleuchtet als der Buddhismus?
Haben diese Menschen überhaupt die Wahl, jemand anders zu sein als sie sind?
Heißt nicht: deren Liebe, deren Depression, deren Weltanschauung zu kritiersen nicht im Grunde: ich akzeptiere diesen Menschen nicht, ich will nicht, dass er seinen eigenen Weg geht?
Ist nicht das Bedürfnis, diesen Menschen durch Kritik umzupolen, reine Verblendung?
(16-12-2010, 00:51)Ekkard schrieb: [ -> ]Diese Frage beinhaltet einen wichtigen Kritikpunkt, den ich nun auch sehe. "Sachverhalt" ist meiner Meinung nach die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Natur oder zwischen natürlichen Dingen.
Ganz weit entfernt von meinen obengemannten Beispielen ist Deine Erörterung von "Sachverhalt" nicht. Bei Begegnungen der verschiedensten Art - auch der Begegnung mit sich selbst - entstehen wahrnehmbare "Sachverhalte", auch überprüfbare Tatsachen. "Getroffensein" von einer Erniedrigung durch jemanden ist genauso eine Tatsache wie von einem harten Schneeball getroffen zu sein.
(16-12-2010, 00:51)Ekkard schrieb: [ -> ]Nehmen wir die Spiritualität (Geistliches im Menschen):
Tatsache ist, dass viele Menschen z. B. in Taizé-Gottesdiensten eine tiefe Berührung empfinden. Worin die genau besteht, wissen wir nicht. Ein Kritikpunkt ist, dass man sich von solchen Gefühlserlebnissen besser fern hält, weil man sich dadurch manipulierbar macht.
Hier nun, meine ich, müsste man die Dinge präziser ins Auge fassen. ->
Kritik üben an dieser tiefen Berührung kann man nicht, sie ist da oder nicht da, egal, wie sehr jemand diese Wahrnehmung rausätzen will. Rausätzen kann man dies nur mit Gewalt, nur mit Verstümmelung dieses Menschen.
Kritik üben kann man hingegen (theoretisch), daran, dass dieser Mensch überhaupt nach Taizé fahrt.
Dann kann man auch Kritik daran üben, dass manche auf Demonstrationen gehen, weil dieses Bad in der Menge und der gleichgerichtete Lauf gewisse spirituelle Gefühle weckt. Tanzen weckt diese Gefühle auch, Massensport auch.
Man müsste mit der Begründung, die Du oben genannt hast - diese Art Gefühle machen manipulierbar - praktisch vor allen Gefühlen warnen bzw. Mechanismen entwickeln, die Gefühle gar nicht erst entstehen lassen.
Man kritisiert also das Zulassen von Gefühlen.
Hier also ist die Erkenntnis, die Basis der Kritik - Gefühle seien gefährlich, also müssen sie verhindert werden - subjektiv.
Andere würden sagen: der Mensch ist ambivalent, Gefühle sind ambivalent, ohne Gefühle wäre der Mensch ein Monster, also ist die Warnung davor, sich dorthin zu begeben, wo Gefühle entstehen, nicht durchsetzbar.
Die Beurteilung ist kein Sachverhalt, sondern eine Wertung. Letztlich sogar eine Weltanschauung, wenn nicht gar Ideologie.
(16-12-2010, 00:51)Ekkard schrieb: [ -> ]Ich denke doch, dass man jemandem, der nun über solche Erlebnisse schreibt, nicht einfach das Wort "Gefühlsduselei" an den Kopf wirft. Das ist zwar sachlich dasselbe, aber es ist "ungerecht", weil das Wort eine unangemessene Abwertung enthält.
NIcht das Wort ist abwertend, sondern die Haltung ist abwertend. Man kann für seine ablehnende Haltung nicht das Wort verantwortlich machen. Benutzt man ein anderes Wort, ist das nur ein Verbergen der Abwertung, die man ja empfindet.
Hier nun würde das greifen, was Schmettermotte heute anderswo geschrieben hat:
den anderen von dessen Perspketive aus wahrzunehmen - soweit es einem möglich ist.
Eventuell ist es ja gar keine Gefühlsduselei, sondern ganz was anderes, das den Menschen positiv beeinflusst.
(16-12-2010, 00:51)Ekkard schrieb: [ -> ]Man muss sich meines Erachtens von der Denke befreien, dass das, was der Andere schreibt "Unsinn" ist (siehe Beitrag SchmetterMotte).
Ich erweitere: man sollte sich auch von der Denke befreien, dass man besser als der andere weiß, was sein Weg ist und was für ihn richtig ist.
Einen anderen zu kritisieren bedeutet im Prinzip gleichzeitig, sich selber zu hinterfragen, warum man nicht zulassen kann, dass der andere anders funzt.
Oder anders ausgedrückt: das Bedürfnis, den anderen zu kritisieren, resultiert aus einem Manko der eigenen Persönlichkeit.
Ausnahme: der andere schadet jemandem.