Petronius schrieb:Vitoria schrieb:Was unsere Rechtsordnung wirklich gefährdet, ist die Bereitschaft auf unserer Seite, der Scharia im Zivilrecht Bedeutung einzuräumen
könnte ich das etwas konkreter haben?
so mit roß und reiter?
Mathias Rohe, Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart, C.H. Beck 2009, ab S. 338, bes. S. 349 („Anwendung islamrechtlicher Normen“) – 364. Die Aktenzeichen zu entsprechenden Gerichtsurteilen (aber auch zu deren teilweiser Aufhebung) finden sich in den entsprechenden Anmerkungen.
Joachim Wagner: Richter ohne Gesetz. Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat. Econ 2011. Auf S. 17 zitiert er Hilmar Krüger, Professor für ausländisches Privatrecht an der Universität Köln: „’Wir praktizieren islamisches Recht seit Jahren. Und das ist auch gut so.’“ Wagner fährt fort: „Vor allem im Familien- und Erbrecht werden seine Vorschriften angewandt.“
Petronius schrieb:Vitoria schrieb:Es darf nur ein Gesetz geben, das gleichermaßen für alle gilt, zumal die Scharia Mann und Frau ungleich zu Lasten der Frau behandelt
wo ist im deutschen zivilrecht ersteres aufgrund von zweiterem anders?
Was soll das heißen? Was ist ersteres und vor allem zweiteres?
Im übrigen lag die Betonung eindeutig und erkennbar auf dem ersten und leicht verständlichen Teil des Satzes, den ich hier hervorgehoben habe.
Petronius schrieb:Vitoria schrieb:Ekkard schrieb:Hier wird ignoriert, dass dies immer nur auf Teilgesellschaften radikaler Gruppierungen zutrifft.
Wobei diese außerordentlich schwer zu quantifizieren sind. Deshalb ist es auch müßig, entsprechende Nachweise zu fordern
für alle, die ja eigentlich die ihrerseits behauptete relevanz dieser gruppe belegen sollten, ist das sehr praktisch
Was soll diese süffisante Bemerkung? Ist Dir etwa nicht bekannt, dass in Deutschland keine Religionsstatistiken geführt werden?
Außerdem ist es – Du wirst es nicht für möglich halten –sehr unbefriedigend, mit nicht belastbarem statistischen Material arbeiten zu müssen.
Es ist außerdem auch äußerst unangenehm, eine Frage, die nach eindeutigen Zahlenangaben verlangt, nicht beantworten zu können, weil es eben keine entsprechenden Daten gibt.
Am angenehmsten ist die Lage allerdings für Apologeten, denen es nicht um die Klärung von Sachverhalten, sondern um blinde Verteidigung geht. Denn aufgrund der fehlenden Angaben kann man ihre Behauptungen – die zwangsläufig gar nicht auf verlässlichem statistischem Material beruhen können – genau so wenig eindeutig widerlegen kann wie sich die eigenen statistisch abgesichert verifizieren lassen.
Petronius schrieb:schon die alltagserfahrung aber zeigt, daß es sich um ein minderheitenphänomen unter den muslimen in d handelt
Mit „Alltagserfahrung“ habe ich ebenso Probleme wie mit dem „gesunden Menschenverstand“. Aber davon abgesehen: Von welchen Minderheiten genau ist bei Dir die Rede?
Von Salafisten und dergleichen? Ja, eine winzige Minderheit, aber m.E. hochgefährlich.
Von den Liberalen? Offenbar auch eine winzige Minderheit, und daher leider völlig bedeutungslos.
Von den Traditionalisten? Dass die eine Minderheit unter den Muslimen darstellen, wage ich zu bezweifeln: „Das deutsche Innenministerium stellte 2007 in Erhebungen fest, dass für 47% der Muslime in Deutschland die Befolgung der Glaubensgebote wichtiger ist als die Demokratie (…).“ (H. Heinisch, N. Scholz: Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf? Passagen Verlag 2012, S. 160)
Die meisten Muslimverbände kann man übrigens als traditionalistisch bis extremistisch bezeichnen; am anderen Ende der Achse fällt mir nur der völlig bedeutungslose LIB der Lamya Kaddor ein.
Petronius schrieb:Vitoria schrieb:Ekkard schrieb:Willst du mir als Christ demnächst die "schlimmen Stellen" des NT in gleicher Manier "um die Ohren hauen"?
Das geht gar nicht
doch, das geht selbstverständlich
Von mir aus. Ich dachte, das NT sei (weitestgehend) gewaltfrei.
Petronius schrieb:was ein gläubiger sich als haupt- und kernaussage heraus nimmt, mißt sich nicht an einer numerischen zitatstatistik
Das denke ich denn doch. Es ist schließlich ein Unterschied, ob ein „heiliges“ Buch die Gläubigen ein-, zwei- oder dreimal zur Gewaltanwendung gegenüber Andersgläubigen aufruft oder mehrere Dutzend Male. Da liegt ja wohl der Nachdruck doch in der Masse.
Petronius schrieb:was dem christen das gebot der nächstenliebe, sind dem muslim entsprechende soziale gebote im koran
Wo steht das? Inwieweit ist die religionsübergreifende Nächstenliebe gleichbedeutend mit Sozialabgaben für die eigene Gemeinschaft?
Petronius schrieb:Vitoria schrieb:Es gibt nämlich im Koran unendlich viele Verse, die dem gedeihlichen Miteinander von Muslimen und Andersgläubigen durchaus im Wege stehen.
sicher gibt es die, das hat ja auch niemand bestritten
und natürlich kann man darüber diskutieren, wie sie möglichst macht- und gewaltorientiert zu instrumentalisieren wären
Das ist ganz einfach; da muss man sich nur die Exegesen heraussuchen, die diesen Wünschen entgegenkommen, weshalb der Lieblingsexeget der Salafis Ibn Taimiyya ist. (Obwohl sie entsprechend ihrer eigenen Ideologie gar keinem Gelehrten des 13./14. Jh. folgend dürften.)
Mir allerdings geht es darum festzustellen, welche Islamgelehrten sie möglichst sozialkompatibel interpretieren und wie anerkannt diese in der Ummah sind. Bisher war ich allerdings nicht besonders erfolgreich.
Petronius schrieb:solch akademischer disput erscheint mir allerdings weniger zielführend im sinne eines verständnis und der förderung eines gedeihlichen gesellschaftlichen miteinanders als der nüchterne blick auf die praktizierte muslimische glaubensrealität
Vor allem ist er etwas anstrengender, nicht wahr, als aus dem Bauch heraus zu argumentieren. Damit ist nämlich niemandem gedient, und am allerwenigsten jenen, die auf diese Weise in Schutz genommen werden sollen. (Was ich übrigens für eine Entwürdigung der Betroffenen halte: Können sie falsche Anwürfe nicht selbst zurückweisen? Brauchen sie nichtmuslimische Unterstützer, die ihre Religion offenbar meist nicht einmal kennen?)
Tatsache ist, dass wir es eben nicht nur mit Muslimen zu tun haben, die ihrer Religion gegenüber entweder ein sehr entspanntes Verhältnis haben oder sie rein spirituell verstehen. Es gibt auch solche – organisiert in Verbänden, darunter auch extremistische –, die die Scharia als das verstehen, was sie ist: als eine Anweisung für die allgemeine Lebensführung. Und diese Anweisung ist nicht nur nicht immer mit den Grundlagen unseres Staates vereinbar, sondern soll einen immer größeren Teil unseres gesellschaftlichen Lebens einnehmen. (Nachzuvollziehen an den Forderungen der Verbände im Verlauf der letzten Jahre.) Es ist also sehr wohl sinnvoll, sich damit zu beschäftigen.
Hilfreich hierbei ist die Lektüre des Buches von
Rita Breuer: Wird Deutschland islamisch? Mission, Konversion, Religionsfreiheit. Verl. Schiler 2011, bes. das Kap. „Welcher Islam gehört zu Deutschland?“. Die drei nachfolgenden Kapitel befassen sich übrigens mit der Scharia.