(28-02-2018, 23:47)Bion schrieb: [ -> ]Anzumerken ist in diesem Zusammenhang die Variante Joh 2,19 und ihre theologische Auflösung Joh 2,21.
Wenn man dem Thomasevangelium zugesteht, älter als die vier kanonischen Evangelientexte zu sein, mag auch das Logion 71 von Interesse sein:
"Jesus spricht: 'Ich werde [dieses] Haus [zerstören] und niemand wird es aufbauen können [außer mir].'"
Danke für den Hinweis Bion.
Da mich die Sache interessiert, habe ich mal weiter gegraben. Mein Eindruck ist, dass die einzigen Wissenschaftler, die Gründe für Ihre Annahme anführen, Quellentheoretiker sind.
Das Logion 71 des Thomasevangeliums hilft möglicherweise allein nicht weiter, auch wenn man annimmt, dass es älter als die kanonischen Evangelien ist. Der Grund dafür ist, dass dort von einem „Haus“ und nicht vom „Tempel“ gesprochen wird und die Meinungen darüber, was unter „Haus“ im Logion 71 zu verstehen ist, weit auseinander gehen. Ich habe keine tiefgründige Auswertung der Literatur vorgenommen, aber auf den ersten Blick schien mir, dass gerade die Mehrheit der Wissenschaftler, die sich für das Thomasevangelium
an sich interessieren, nicht der Meinung ist, dass es sich bei „Haus“ um den Jerusalemer Tempel handelt. Das dürfte wohl im Kontext des Thomasevangeliums wenig überraschen. Meist wird davon ausgegangenen, dass „Haus“ im Logion 71 eine Metapher ist, die für die „Welt“ oder „Materie“, das „Ego“, den „Körper“ oder vom Thomasevangelium abweichende Lehrmeinungen etc. stehen könnte. Hingegen gehen vor allem Wissenschaftler, die sich mit dem Thomasevangelium
nur als Nebenquelle zu den kanonischen Evangelien beschäftigen, davon aus, dass es sich gleichwohl um den Tempel handelt. (Wen wundert's?)
Bion wollte gewiss auch andeuten (?), dass der Fall aus der Sicht von Quellentheorien möglicherweise in ein anderes Licht rückt.
Wenn man – wie viele Quellentheoretiker - annimmt, dass die Reden und Sprüche von Jesus als solche mündlich überliefert (und zwar unabhängig von ihrem ursprünglichen Kontext), alsdann im Zuge der Überlieferung abgeändert, umgeformt und in neue Zusammenhänge gestellt und schließlich in den Evangelien neu verarbeitet wurden, fällt folgendes auf.
Es gibt fünf Stellen (wenn man die Matthäusparallelen zu Markus nicht gesondert zählt), die im sachlichen Zusammenhang zu stehen scheinen.
Zitat:Markus 14:57 Und einige standen auf und gaben falsches Zeugnis gegen ihn und sprachen: 58 Wir haben gehört, dass er gesagt hat: Ich will diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen und in drei Tagen einen andern bauen, der nicht mit Händen gemacht ist.
Markus 15:29 Und die vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Ha, der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, 30 hilf dir nun selber und steig herab vom Kreuz!
Johannes 2:18 Da antworteten nun die Juden und sprachen zu ihm: Was zeigst du uns für ein Zeichen, dass du dies tun darfst? 19 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab und in drei Tagen will ich ihn aufrichten. 20 Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? 21 Er aber redete von dem Tempel seines Leibes.
Apostelgeschichte 6:12 Und sie brachten das Volk und die Ältesten und die Schriftgelehrten auf, traten herzu und ergriffen ihn [Stephanus] und führten ihn vor den Hohen Rat 13 und stellten falsche Zeugen auf, die sprachen: Dieser Mensch hört nicht auf, zu reden gegen diese heilige Stätte und das Gesetz. 14 Denn wir haben ihn sagen hören: Dieser Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören und die Ordnungen ändern, die uns Mose gegeben hat.
Thomasevangelium 71 Jesus sagte: Ich werde dieses Haus zerstören und niemand wird in der Lage sein, es wieder aufzubauen.
Viele Quellentheoretiker nehmen nunmehr an, dass alle diese – wenngleich im Detail unterschiedlichen – Sprüche auf einen echten Spruch des historischen Jesus zurückgehen, der im Zuge der mündlichen und schriftlichen Überlieferung mehrfach umgeformt und in neue Kontexte gestellt wurde. Der Ur-Spruch habe Markus 14:58 zumindest geähnelt, sei aber auch für frühe Christen zu
anstößig gewesen, so dass einerseits Markus, Matthäus und die Apostelgeschichte ihn „falschen Zeugen“ untergeschoben und andererseits Johannes und Thomas ihn metaphorisch gedeutet hätten (sofern Thomas mit "Haus" etwas anderes als den Tempel meinte).
(Mir wird häufig etwas wuschig im Kopf, wenn ich versuche, solche Theorien/Mutmaßungen zu verstehen. )