05-07-2011, 19:23
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Die Frage, was ein Verfasser "eigentich" meinte, ist eine psychologische. Man müsste, um das herausfinden zu könenn, die Gedanken des Verfassers beim Schreiben sozusagen scannen, und ebenfalls sein Verdrängtes.
Das aber ist sowohl unmöglich als auch für die Rezeption von Texten nicht der entscheidende Faktor. Der entscheidende Faktor ist der Text selber.
Selbst der Lesevorgang - darin sind sich die Geisteswissenschaftler heute so gut wie einig - ist bereits ein interpretativer. Ein selektierender.
Wovon ich oben aber sprach, war die ideologiekritische Analyse. Die versucht, seit es sie gibt, den Text daraufhin abzuklopfen, was er ungewollt mitliefert. Da kann man den Autor fragen, solange man will: er wird darauf keine Antwort haben. Und sich vielleicht auch missvertanden fühlen. Aber nicht nur ein literarischer, auch ein philosphischer hat neben dem Oberflächentext einen Subtext. Dieser Subtext kann gelegentlich dem Oberflächentext direkt widersprechen. Und der Autor hat es nicht gemerkt.
Schon aus diesem Grund ist der Autor (als Person) nicht die ausschlaggebende Instanz, sondern sein Text.
Es ist aber der Lauf der Welt, dass ständig missverstanden wird, oft auch produktiv missverstanden wird. Goethe hat die Antike missverstanden und dennoch eine Aktivierung der Antike bewirkt, die Romantik hat für das Mittelalter geschwärmt und das Mittelalter komplett missverstanden etc. etc.
Woran willst Du denn "die Frechheit" messen? Woran dingfest machen? Ist es eine Frechheit, dass man Nietzsche als Vorläufer der Nazis las? Dass man Meister Eckhart als Vordenker der Nazizeit liest? Kann ich nicht erwarten, dass man sich informiert und feststsllt, dass man Ideologen aufgesessen ist, die Eckhart missbraucht haben?
Nein, ich kann es nicht erwarten. Der Mensch schnappt was auf, und fertig ist sein Urteil. Dagegen kann ich nichts machen. Egal, wie empört ich bin.
Aber davon war hier noch nicht einmal die Rede. Sondern davon, dass Künstler oder Philosophen sich über Jahre mit einem Text auseinandersetzen und dann ihre Ergebnisse einem Publikum vorstellen.
Bei Reclam kann dann der empörte Zuschauer den Text selber lesen. Und er muss sich auch nichts ansehen, was ihn empört. Die Welt ist groß, und irgendwer wird schon die Sachen so sehen wie man selber.
Verstehe ich nicht. Das geht doch gerade um Interpretationen. Der eine liest Plato rationalistisch, der andere mystisch. Das ist doch ein Protobeispiel für unterschiedliche Interpretation.
(05-07-2011, 14:00)Gundi schrieb:(05-07-2011, 02:28)Karla schrieb: ich habe auch die Möglichkeit. philosophische Texte als literarische zu nehmen. Ich kann auch sie - als Beispiel - dekonstruieren, um sie auf diese Weise ideologiekritisch aufzuknacken. Man kann philosophische Texte nicht nur durch wissenschaftliche Analyse deuten und deren Implikationen herausschälen, sondern auch durch künstlerische Gestaltung.
Sicher kannst du das. Nur wirst du damit nicht immer das herausbekommen, was der Verfasser eigentlich meinte.
Die Frage, was ein Verfasser "eigentich" meinte, ist eine psychologische. Man müsste, um das herausfinden zu könenn, die Gedanken des Verfassers beim Schreiben sozusagen scannen, und ebenfalls sein Verdrängtes.
Das aber ist sowohl unmöglich als auch für die Rezeption von Texten nicht der entscheidende Faktor. Der entscheidende Faktor ist der Text selber.
Selbst der Lesevorgang - darin sind sich die Geisteswissenschaftler heute so gut wie einig - ist bereits ein interpretativer. Ein selektierender.
Wovon ich oben aber sprach, war die ideologiekritische Analyse. Die versucht, seit es sie gibt, den Text daraufhin abzuklopfen, was er ungewollt mitliefert. Da kann man den Autor fragen, solange man will: er wird darauf keine Antwort haben. Und sich vielleicht auch missvertanden fühlen. Aber nicht nur ein literarischer, auch ein philosphischer hat neben dem Oberflächentext einen Subtext. Dieser Subtext kann gelegentlich dem Oberflächentext direkt widersprechen. Und der Autor hat es nicht gemerkt.
Schon aus diesem Grund ist der Autor (als Person) nicht die ausschlaggebende Instanz, sondern sein Text.
(05-07-2011, 14:00)Gundi schrieb: Und da Philosophen selten schöngeistige Dinge schreiben wollen, in die der geneigte Leser alles hineininterpretieren darf (eben auch ideologische Dinge) wie er mag und nach Lust und Laune sich die Thesen zurechtbiegt, finde ich es ziemlich frech sie für dergleichen zu missbrauchen
Es ist aber der Lauf der Welt, dass ständig missverstanden wird, oft auch produktiv missverstanden wird. Goethe hat die Antike missverstanden und dennoch eine Aktivierung der Antike bewirkt, die Romantik hat für das Mittelalter geschwärmt und das Mittelalter komplett missverstanden etc. etc.
Woran willst Du denn "die Frechheit" messen? Woran dingfest machen? Ist es eine Frechheit, dass man Nietzsche als Vorläufer der Nazis las? Dass man Meister Eckhart als Vordenker der Nazizeit liest? Kann ich nicht erwarten, dass man sich informiert und feststsllt, dass man Ideologen aufgesessen ist, die Eckhart missbraucht haben?
Nein, ich kann es nicht erwarten. Der Mensch schnappt was auf, und fertig ist sein Urteil. Dagegen kann ich nichts machen. Egal, wie empört ich bin.
Aber davon war hier noch nicht einmal die Rede. Sondern davon, dass Künstler oder Philosophen sich über Jahre mit einem Text auseinandersetzen und dann ihre Ergebnisse einem Publikum vorstellen.
Bei Reclam kann dann der empörte Zuschauer den Text selber lesen. Und er muss sich auch nichts ansehen, was ihn empört. Die Welt ist groß, und irgendwer wird schon die Sachen so sehen wie man selber.
Zitat:(05-07-2011, 02:28)Karla schrieb: Platons Ideenlehre zum Beispiel hat eine rationalistische Tradition hervorgebracht (Idee als Begriff), aber auch eine mystische (Idee als Urbild). Das lassen Platos Texte zu.
Warum auch nicht. Hier geht es ja nicht um Interpretationen.
Verstehe ich nicht. Das geht doch gerade um Interpretationen. Der eine liest Plato rationalistisch, der andere mystisch. Das ist doch ein Protobeispiel für unterschiedliche Interpretation.
