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Wie kann man aus heutiger Perspektive das byzantinische Christentum sehen?
#13
(31-07-2016, 11:47)Ulan schrieb:
(31-07-2016, 02:32)Philosophist schrieb: Gut, dann weiß ich Bescheid, was "bilderlose" Kirchen in Deutschland anbetrifft und wo diese überwiegend zu finden sind. Vielleicht kann man diese Kirchen auch im Internet finden.
Klar. Zwei der Gliedkirchen der EKD sind fast ausschliesslich solche des reformierten Bekenntnisses, so dass das in den Faellen leicht fallen sollte.

(31-07-2016, 02:32)Philosophist schrieb: Bedauerlich kann man das natürlich, dass Annäherungsversuche zwischen der westlichen Kirche und der östlichen Kirche im Grunde nicht viel Frucht getragen haben. Und das hier eben theologische Schwierigkeiten ein Haupthindernis sind, die dem anscheinend "unüberbrückbar" entgegenstehen.

Ich glaube nicht, dass die rein theologischen Hindernisse unueberbrueckbar waeren. Die Ostkirche hatte schon immer einen eher pragmatischen Umgang mit solchen Dingen. Zum Beispiel liess sie sich dazu ueberreden, die Offenbarung des Johannes in das Neue Testament aufzunehmen, obwohl sie dagegen war. Ihre praktische Loesung: die Offenbarung kommt in der orthodoxen Liturgie nicht vor. Das Buch wird schlicht ignoriert. Ich bin mir sicher, sie koennten auch die katholisch/evangelische Erbsuendelehre ignorieren. Die Orthodoxen Kirchen sind auch oft gar nicht daran interessiert, Glaubensfragen bis in die letzte Ecke zu entscheiden.

Das absolute Haupthindernis ist die Stellung des Papstes. Die Orthodoxe Kirche wuerde nur zustimmen, wenn die Katholische Kirche das Papst-Primat und dessen Weisungsbefugnis aufgibt, und ich wuerde annehmen, da friert eher die Hoelle ueber. Das zweite Hindernis ist die RKK-Politik des Uniatismus. Wenn Du Dir irgendeine Ostkirche anschaust, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass Du eine zweite Kirche mit fast demselben Namen findest, die mit Rom uniert ist. Die RKK hat ueber Jahrhunderte aktiv im Bereich der Orthodoxen Kirchen missioniert und Gemeinden zum Uebertritt aufgefordert. Die Orthodoxen nehmen das immer noch sehr uebel, und momentan sind die Hauptbrennpunkte die Ukraine und Russland.

Ueber dir Rolle der RKK in den Kreuzzuegen koennte eventuell Gras wachsen. Die Orthodoxen Kirchen sehen sich genau so als Opfer der Kreuzzuege wie der Islam. Gerade im 4. Kreuzzug wurde aktiv versucht, die Orthodoxen Kirchen auszuloeschen. Das ist immer noch im Bewusstsein vieler Orthodoxer. Die RKK hatte nicht nur nicht gegen den Islam geholfen, sie hat vielmehr viel zum anschliessenden Untergang Ostroms beigetragen.

(31-07-2016, 02:32)Philosophist schrieb: Dennoch kann ich mir vorstellen, dass die protestantisch/katholischen Kollegen ihre östlichen Kirchen Kollegen durchaus auch (kirchengeschichtlich) wertschätzen und rezipieren. Es gab ja nicht nur lateinische Kirchenväter, sondern eben östliche Kirchenväter in der Kirchengeschichte, die vor allem in Byzanz von Bedeutung waren wie mir scheint (aber auch insgesamt theologisch  bedeutend waren).

Ich glaube gerade hier zeigt sich, wie die Kirchen schon frueh auseinandergedriftet sind. Bereits im 4. Jahrhundert gab es im Westen Kirchenvaeter, die kein Griechisch mehr verstanden, also das NT nicht im Original lesen konnten, so z.B. Augustinus, der ja sehr einflussreich auf die Katholische Kirche war. Im Osten wiederum weigerten sich viele Kirchenvaeter, eine barbarische Sprache wie Latein zu lernen. D.h., schon damals fing der Kontakt an, abzubrechen.

Der Hintergrund der Kirchenvaeter war auch sehr unterschiedlich. Die westlichen Kirchenvaeter hatten oft einen juristisch-politischen Hintergrund und keine klassische Bildung mehr, was auch die Fragen beeinflusste, fuer die sie sich interessierten, wie z.B. Kirchenrecht oder Rechtfertigungslehre. Insgesamt stuerzte der Bildungsstand im westroemischen Reich sehr schnell nach Einfuehrung des kirchlichen Bildungsmonopols ins Bodenlose, so da dass es faktisch keine gebildeten Laien mehr gab, welche in der Ostkirche immer noch einflussreich waren.

Die oestlichen Kirchenvaeter dagegen hatten eher eine klassische Bildung, also Philosophie, Rhetorik und Naturwissenschaften. Sie beschaeftigten sich hautpsaechlich mit philosophischen Fragen, wie der Christologie. Am Anfang fand noch Austausch ueber diese Fragen statt, aber irgendwann herrschte gegenseitiges Desinteresse.

Augustinus z.B. wurde erst im 14. Jahrhundert erstmals ins Griechische uebersetzt. Von ihm stammt die Erbsuendelehre, die dann auch weiterhin das Dogma von Marias unbefleckter Emfpaengnis notwendig machte. Auf den ersten Blick sehen solche Unterschiede harmlos aus, aber muss das nur kurz durchdenken, um zu sehen, wie weit solche Unterschiede gehen. Da es bei den Orthodoxen die Erbsuende in dieser Form nicht gibt, sondern die Suende nur Adam und Eva zugeschrieben wird, waehrend die Konsequenz der Strafe, der Tod, weitervererbt wird, sind nicht nur Nebenschausplaetze wie die unbefleckte Empfaengnis selbst betroffen, sondern auch der Grund, warum Jesus eigentlich am Kreuz gestorben ist. Zur Suehne von Suenden nach oestlicher Auffassung jedenfalls nicht, da dort kein Interesse an derlei "juristischen" Fragen herrscht.

Der Wikipedia-Artikel fasst das alles uebrigens gut zusammen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Morgenl%C3...es_Schisma

Nun, da ich wie gesagt Laie auf diesem Gebiet, weiß ich jetzt jedenfalls Bescheid und kann dann im Internet das mal etwas nachverfolgen (also was "bilderlose" Kirchen anbetrifft).

Mir scheint auch, dass die Stellung des Papstes als Stellvertreter Christi auf Erden , das Haupthindernis einer möglichen Annäherung zwischen beiden Kirchen zu sein. Allerdings gab es ja  vor kurzem einem Treffen zwischen dem Papst und dem orthodoxen Patriarchen : http://www.domradio.de/themen/papst-fran...i-auf-kuba

Dort heißt es in dem Bericht dazu: 

"Wir sind Brüder!", war die auf Spanisch vorgetragene Botschaft des Papstes an den Patriarchen. Schon auf dem Flug von Rom hatte er das russische Kirchenoberhaupt als "meinen lieben Bruder Kyrill" bezeichnet. Um die Bedeutung des Augenblicks weiter aufzuladen, sprach er nun noch vom "Willen Gottes", der sich in dieser Begegnung vollziehe. Kyrill betonte ein wenig nüchterner, dass "jetzt alles leichter ist".

Beide umschrieben so auf unterschiedliche Weise die Tatsache, dass ein Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nun mit Verspätung die Begegnung zwischen dem "Rom des Westens" und dem nach Byzanz "zweiten Rom des Ostens" vonstattengehen konnte


Anmerkung: Ich kriege hier leider an dieser Stelle nicht die Schrift größer und bitte da um Verständnis. Normalerweise schreibe ich mit größeren Buchstaben, wie man sieht.


Das scheint ja eine Annäherung zu sein, wenn sich beide als "Brüder" bezeichnen, aber wie weit das Früchte getragen hat dieses Treffen, das weiß ich natürlich nicht. Das besondere daran war ja, dass dies eine historische Begegnung war, die erstmals so stattgefunden hat. Aber ich bezweifle, dass dies ein Prozess einläuten könnte, welches zur Aufhebung des genannten Schismas führen könnte. Aber immerhin ist er der erste Papst der Kirchengeschichte, der dies tat. 

Siehe auch: http://www.spiegel.de/panorama/gesellsch...77222.html

Allgemeine Zwischenmerkung: Für den Hinweis auf den RKK sei gedankt, aber da kenne ich mich nicht aus und müsste auch das mal nachgehen.  Diese ganze Details kenne ich natürlich nicht alle, da ich mich eher als interessierter Laie in der Hinsicht sehe.

Auch hier heißt es im Artikel: Zum ersten Mal seit rund tausend Jahren haben sich ein Papst und ein Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche die Hand geschüttelt.

Wenn man an die Zeit hier von rund tausend Jahren denkt, dann ist dies natürlich erstaunlich.

Soweit ich sehe , ist die russisch orthodoxe Kirche der größte Zwei der orthodoxen Kirchen, also die größte Gemeinde unter diesen.

Es ist interessant die Unterschiede zwischen den beiden Kirchen auch anhand des Bildungsgrades zu reflektieren, denn hier macht die Sprache (Griechisch, Latein) als auch die unterschiedliche Bildung den Punkt aus, warum die beiden Kirchen auseinandergedriftet sind seit dem 4. Jahrhundert.

Das die griechischen Kirchenväter Kontakt zur klassischen (griechischen) Bildung hatten, kann ich mir daher gut vorstellen aufgrund ihrer Position und das sie dies eben von den lateinischen Kollegen unterschied, welche nicht mehr diesen Kontakt hatten. 

Soweit ich sehe ist neben Augustinus auch Thomas von Aquin als Theologe  bei den östlichen Kollegen rezipiert und geschätzt worden . Als Beispiel wird hier ein gewisser Scholarios genannt, der selber orthodoxer Theologe und später Patriarch gewesen sein nach dem Fall von Konstantinopel. Ich habe dazu das Buch gefunden: Orthodox Readings auf Aquinas: 

https://www.amazon.de/Orthodox-Readings-Paradigms-Historical-Systematic/dp/0198708890/ref=sr_1_1?s=books-intl-de&ie=UTF8&qid=1470012306&sr=1-1&keywords=orthodox+readings

Insofern scheint mir da doch auch eine Art wechselseitige Rezeption gegeben zu haben und nicht nur völliges Desinteresse. Mit diesen ganzen theologischen Details kenne ich mich wie gesagt eher weniger aus und brauch da ein bisschen Zeit dem  nachzugehen und diese besser zu verstehen, was die Erbsündenlehre usw. anbetrifft. Aber da hilft ja gut wikipedia dabei. Daher danke ich für Hinweis zu wikipedia.

Ich habe übrigens noch das gefunden: https://www.amazon.de/Orthodox-Readings-Augustine-George-Demacopoulos/dp/0881413275/ref=sr_1_3?s=books-intl-de&ie=UTF8&qid=1470012306&sr=1-3&keywords=orthodox+readings

Wo es sich anscheinend um eine orthodoxe Rezeption von Augustin handeln soll. Aber ich selbst habe mir das Buch noch nicht näher angeschaut.

Aber soweit erstmal.
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RE: Wie kann man aus heutiger Perspektive das byzantinische Christentum sehen? - von Philosophist - 01-08-2016, 02:51

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