04-05-2017, 19:34
Aus psychoanalytischer Sicht kann man das apokalyptische Phantasma, wie es besonders in der Johannesapokalypse Form angenommen hat, wie folgt erklären (vereinfachende Fassung, wohlgemerkt).
Zugrunde liegt ein unbewusster Wunsch nach Rückkehr in die Empfindungswelt des ungeborenen Kindes, populärwissenschaftlich gesagt: nach Rückkehr ´in den Mutterleib´. Natürlich zielt der Wunsch nicht auf den Aufenthalt in einem biologischen Mutterleib, sondern auf die Vergegenwärtigung der dort empfundenen paradiesischen Gefühle, die im Unbewussten gespeichert sind und zeitlebens eine untergründige Quelle von Wünschen und Phantasien bilden. Den psychischen Drang nach dieser Rückkehr (im folgenden in besagter metaphorischer Bedeutung gemeint) nennt man ´regressiv´. Weitere, später hinzukommende Ziele regressiver Wünsche und Phantasien sind das orale Stadium (Geburt bis Entwöhnung) mit seiner Fixierung auf die Mutterbrust und das anale Stadium (Phase der hygienischen Erziehung) mit seiner Fixierung auf anale Vorgänge. Sowohl die orale als auch die anale Phase sind - unter anderem - charakterisiert durch eine ´sadistische´ Gefühlswelt, d.h. Akte des Zerstörens und Ausstoßens werden als aggressiv und lustvoll zugleich empfunden. Im oralen Fall hängt das mit dem Akt des Zerstörens des Gewünschten (Milch) und einer aggressiven ´Gier´ nach dem Gewünschten zusammen, im analen Fall mit dem ´Hass´ auf die erziehende Person, hier meist die Mutter, wegen deren als lustfeindlich empfundener Forderung nach Zurückhalten und Kontrolle des Stuhls. Sadistische Wünsche im Erwachsenenalter bedeuten eine pathologische Regression in diese Phasen: Der destruktive Faktor dabei geht auf das Orale und der Kontroll- und Machtfaktor auf das Anale zurück, beides mit einer primitiven Lust verbunden, wie sie auch das Kleinkind erlebt.
An dieser Stelle erhebt sich die Frage, aus welcher Quelle sich Aggression ursprünglich speist bzw. wie sie ursprünglich entstanden ist. Freud hat 1920 die Todestrieb-Theorie entwickelt, der zufolge es zwei angeborene Triebe gibt, Eros und Thanatos, der erste auf das Leben, der zweite auf den Tod des Organismus abzielen. Besondere Erscheinungsformen der Aggression, wie die orale oder anale, sind dementsprechend nur Manifestationen des Todestriebs. Andere Theorien legen ein Frustrations-Aggressions-Modell zugrunde, dem zufolge Aggression nicht angeboren ist, sondern als Reaktion auf Versagungen entsteht. Ich bevorzuge die Theorie, dass Aggression eine Folge des Geburtstraumas ist: Das extreme Angsterlebnis des Kindes während der Geburt generiert ein beträchtliches Reservoir an aggressiver Energie, welche die Quelle späterer aggressiver Vorstellungen und Verhaltensweisen bildet.
Laut Psychoanalytikerin Melanie Klein entwickelt der Säugling in der sog. ´paranoid-schizoiden´ Phase (erstes halbes Lebensjahr) ein gespaltenes Mutterbild: Er verinnerlicht die positiven Erfahrungen mit der Mutter als ´gutes Objekt´ (gute Brust) und die negativen Erfahrungen (Frustrationen) als ´böses Objekt´ (böse Brust). Beide Objekte sind unverbunden und können im Erwachsenenalter die unbewusste Quelle von Idealisierung (Projektion des guten Objekts auf bestimmte Personen oder Vorstellungen) und von Dämonisierung (Projektion des bösen Objekts auf bestimmte Personen oder Vorstellungen) werden. Dies zeigt sich z.B. in der mittelalterlichen Idealisierung der ´Gottesmutter Maria´ und der zeitgleichen psychotischen Dämonisierung von als ´Hexen´ verfolgten und extrem sadistisch ermordeten Frauen. Man kann das postnatale innere Objekt der ´guten Brust´ - über Klein hinausgehend - mit der noch ursprünglichen Vorstellungs- und Gefühlskomplex des pränatalen ´Paradieses´ in Beziehung setzen und ersteres als Ableitung von letzterem betrachten.
Der Übergang vom pränatalen mutterleiblichen ´Paradies´ zur postnatalen separaten Daseinsweise mit extremer aggressionsgenerierender Angst lässt sich leicht mit der Grundstruktur der Phantasiewelt der Johannesoffenbarung in Bezug setzen: Auch in dieser grenzt eine Phase lustvoller und extrem aggressiver Destruktivität (die völlige Zerstörung der Feinde ´Gottes´) an das Eintreten in das vollkommene Paradies des ´Neuen Jerusalem´ - nur in umgekehrter Reihenfolge. Im apokalyptischen Phantasma wird im kosmischen Maßstab also eine Inversion der ontogentischen prä- und postnatalen Abläufe inszeniert: Voraussetzung für den Eingang in das Paradies ist das Durchlaufen einer Phase der ultimativen Zerstörung.
Die im apokalyptischen Rausch vernichteten ´Feinde´ sind Feinde des ´guten Objekts´, also der ´guten Brust´ bzw. verinnerlichten ´guten Mutter´ und, logisch damit verbunden, des ursprünglichen pränatalen Mutterleibs . In der Johannesoffenbarung hat das Neue Jerusalem sowohl die Rolle der ´guten Brust´ als auch, in einer noch tieferen Schicht, des pränatalen Mutterleibs bzw. der damit assoziierten Gefühlswelt. Das Neue Jerusalem wird als ´Braut´ des Christus beschrieben, was klar auf eine sexuelle Tiefenstruktur der Konstellation Christus-Paradies hinweist. Zugleich nimmt das Neue Jerusalem (die Braut des Christus) alle Gläubigen in sich auf, um ihnen ein Dasein in vollkommener Seligkeit zu bieten, was klar auf ihre pränatal-mutterleibliche Funktion hinweist. Charakteristisch für das Neue Jerusalem ist seine völlige Transparenz, die Uniformität seiner Bewohner und die Einkapselung durch eine Mauer. Das steht im krassen Gegensatz zum Individualismus und Pluralismus der nicht-christlichen Kulturen, Merkmale, die im Christentum jener Zeit als gottesfeindlich bzw. satanisch empfunden wurden.
Die ´Feinde´ dieses Mutterphantasmas sind die Anhänger des Satan, der praktisch für all das steht, was als Gegensatz zum ´guten Objekt´ und zum pränatalen Phantasma empfunden wird. Dementsprechend sind diese Anhänger Projektionsflächen des inneren ´bösen Objekts´ (böse Brust, böse Mutter), die nach der Logik der paranoid-schizoiden Gut-Böse-Dichotomie (siehe oben) das Böse an sich verkörpern und extrem hart bestraft werden müssen, d.h. mit ewiger Folter. Die im Dienst des Satan stehende ´Hure Babylon´, d.h. Rom, ist eine Manifestation der ´bösen Brust/Mutter´ (im Gegensatz zur ´guten Mutter´, dem Neuen Jerusalem).
Bei Anhängern apokalyptischer Phantasien ist ein Wunschdenken zu vermuten, das die gleichen unbewussten Motive wie oben analysiert aufweist. Der Glaube an solche Phantasien beruht also nicht auf Angst, sondern auf einem unbewussten destruktiven Wunsch nach Zerstörung der äußeren Realität, um der pränatalen Gefühlswelt wieder nahezukommen.
Zugrunde liegt ein unbewusster Wunsch nach Rückkehr in die Empfindungswelt des ungeborenen Kindes, populärwissenschaftlich gesagt: nach Rückkehr ´in den Mutterleib´. Natürlich zielt der Wunsch nicht auf den Aufenthalt in einem biologischen Mutterleib, sondern auf die Vergegenwärtigung der dort empfundenen paradiesischen Gefühle, die im Unbewussten gespeichert sind und zeitlebens eine untergründige Quelle von Wünschen und Phantasien bilden. Den psychischen Drang nach dieser Rückkehr (im folgenden in besagter metaphorischer Bedeutung gemeint) nennt man ´regressiv´. Weitere, später hinzukommende Ziele regressiver Wünsche und Phantasien sind das orale Stadium (Geburt bis Entwöhnung) mit seiner Fixierung auf die Mutterbrust und das anale Stadium (Phase der hygienischen Erziehung) mit seiner Fixierung auf anale Vorgänge. Sowohl die orale als auch die anale Phase sind - unter anderem - charakterisiert durch eine ´sadistische´ Gefühlswelt, d.h. Akte des Zerstörens und Ausstoßens werden als aggressiv und lustvoll zugleich empfunden. Im oralen Fall hängt das mit dem Akt des Zerstörens des Gewünschten (Milch) und einer aggressiven ´Gier´ nach dem Gewünschten zusammen, im analen Fall mit dem ´Hass´ auf die erziehende Person, hier meist die Mutter, wegen deren als lustfeindlich empfundener Forderung nach Zurückhalten und Kontrolle des Stuhls. Sadistische Wünsche im Erwachsenenalter bedeuten eine pathologische Regression in diese Phasen: Der destruktive Faktor dabei geht auf das Orale und der Kontroll- und Machtfaktor auf das Anale zurück, beides mit einer primitiven Lust verbunden, wie sie auch das Kleinkind erlebt.
An dieser Stelle erhebt sich die Frage, aus welcher Quelle sich Aggression ursprünglich speist bzw. wie sie ursprünglich entstanden ist. Freud hat 1920 die Todestrieb-Theorie entwickelt, der zufolge es zwei angeborene Triebe gibt, Eros und Thanatos, der erste auf das Leben, der zweite auf den Tod des Organismus abzielen. Besondere Erscheinungsformen der Aggression, wie die orale oder anale, sind dementsprechend nur Manifestationen des Todestriebs. Andere Theorien legen ein Frustrations-Aggressions-Modell zugrunde, dem zufolge Aggression nicht angeboren ist, sondern als Reaktion auf Versagungen entsteht. Ich bevorzuge die Theorie, dass Aggression eine Folge des Geburtstraumas ist: Das extreme Angsterlebnis des Kindes während der Geburt generiert ein beträchtliches Reservoir an aggressiver Energie, welche die Quelle späterer aggressiver Vorstellungen und Verhaltensweisen bildet.
Laut Psychoanalytikerin Melanie Klein entwickelt der Säugling in der sog. ´paranoid-schizoiden´ Phase (erstes halbes Lebensjahr) ein gespaltenes Mutterbild: Er verinnerlicht die positiven Erfahrungen mit der Mutter als ´gutes Objekt´ (gute Brust) und die negativen Erfahrungen (Frustrationen) als ´böses Objekt´ (böse Brust). Beide Objekte sind unverbunden und können im Erwachsenenalter die unbewusste Quelle von Idealisierung (Projektion des guten Objekts auf bestimmte Personen oder Vorstellungen) und von Dämonisierung (Projektion des bösen Objekts auf bestimmte Personen oder Vorstellungen) werden. Dies zeigt sich z.B. in der mittelalterlichen Idealisierung der ´Gottesmutter Maria´ und der zeitgleichen psychotischen Dämonisierung von als ´Hexen´ verfolgten und extrem sadistisch ermordeten Frauen. Man kann das postnatale innere Objekt der ´guten Brust´ - über Klein hinausgehend - mit der noch ursprünglichen Vorstellungs- und Gefühlskomplex des pränatalen ´Paradieses´ in Beziehung setzen und ersteres als Ableitung von letzterem betrachten.
Der Übergang vom pränatalen mutterleiblichen ´Paradies´ zur postnatalen separaten Daseinsweise mit extremer aggressionsgenerierender Angst lässt sich leicht mit der Grundstruktur der Phantasiewelt der Johannesoffenbarung in Bezug setzen: Auch in dieser grenzt eine Phase lustvoller und extrem aggressiver Destruktivität (die völlige Zerstörung der Feinde ´Gottes´) an das Eintreten in das vollkommene Paradies des ´Neuen Jerusalem´ - nur in umgekehrter Reihenfolge. Im apokalyptischen Phantasma wird im kosmischen Maßstab also eine Inversion der ontogentischen prä- und postnatalen Abläufe inszeniert: Voraussetzung für den Eingang in das Paradies ist das Durchlaufen einer Phase der ultimativen Zerstörung.
Die im apokalyptischen Rausch vernichteten ´Feinde´ sind Feinde des ´guten Objekts´, also der ´guten Brust´ bzw. verinnerlichten ´guten Mutter´ und, logisch damit verbunden, des ursprünglichen pränatalen Mutterleibs . In der Johannesoffenbarung hat das Neue Jerusalem sowohl die Rolle der ´guten Brust´ als auch, in einer noch tieferen Schicht, des pränatalen Mutterleibs bzw. der damit assoziierten Gefühlswelt. Das Neue Jerusalem wird als ´Braut´ des Christus beschrieben, was klar auf eine sexuelle Tiefenstruktur der Konstellation Christus-Paradies hinweist. Zugleich nimmt das Neue Jerusalem (die Braut des Christus) alle Gläubigen in sich auf, um ihnen ein Dasein in vollkommener Seligkeit zu bieten, was klar auf ihre pränatal-mutterleibliche Funktion hinweist. Charakteristisch für das Neue Jerusalem ist seine völlige Transparenz, die Uniformität seiner Bewohner und die Einkapselung durch eine Mauer. Das steht im krassen Gegensatz zum Individualismus und Pluralismus der nicht-christlichen Kulturen, Merkmale, die im Christentum jener Zeit als gottesfeindlich bzw. satanisch empfunden wurden.
Die ´Feinde´ dieses Mutterphantasmas sind die Anhänger des Satan, der praktisch für all das steht, was als Gegensatz zum ´guten Objekt´ und zum pränatalen Phantasma empfunden wird. Dementsprechend sind diese Anhänger Projektionsflächen des inneren ´bösen Objekts´ (böse Brust, böse Mutter), die nach der Logik der paranoid-schizoiden Gut-Böse-Dichotomie (siehe oben) das Böse an sich verkörpern und extrem hart bestraft werden müssen, d.h. mit ewiger Folter. Die im Dienst des Satan stehende ´Hure Babylon´, d.h. Rom, ist eine Manifestation der ´bösen Brust/Mutter´ (im Gegensatz zur ´guten Mutter´, dem Neuen Jerusalem).
Bei Anhängern apokalyptischer Phantasien ist ein Wunschdenken zu vermuten, das die gleichen unbewussten Motive wie oben analysiert aufweist. Der Glaube an solche Phantasien beruht also nicht auf Angst, sondern auf einem unbewussten destruktiven Wunsch nach Zerstörung der äußeren Realität, um der pränatalen Gefühlswelt wieder nahezukommen.