(14-08-2020, 07:21)ha’adam schrieb: Ich kenne keine Quelle, die von einem missionarischen Judentum spricht. Auch das Selbstverständnis der Juden, mit denen ich zu diesem Thema gesprochen habe, war immer klar nicht-missionarisch.
Man muss sich zunaechst einmal grundsaetzlich von der Vorstellung loesen, das heutige Rabbinische Judentum waere einfach eine Fortsetzung des Judentums der Zeit des 2. Tempels, nur mit veraendertem Ritus, weil der Tempel weggefallen ist. Genau wie das Christentum musste auch das Judentum sich praktisch neu erfinden. Das Selbstverstaendnis der heutigen Juden zu diesem Thema ist wohl hauptsaechlich aus der Verfolgungspraxis geboren, wo von Seiten des Christentums und des Islam jegliche Konversion zum Judentum unter Strafe gestellt wurde, und dieses Gefuehl wurde vollstaendig verinnerlicht.
Was wohl jedermann bekannt sein sollte, sind die erzwungenen Konversionen in der Makkabaeer-Zeit, wo es unter Hyrkanos, Aristobulus I. und Alexander Jannaeus als nationale Politik in eroberten Gebieten durchgesetzt wurde, oft verbunden mit, je nach Quelle, Exil oder Tod als Alternative. Ein solcher Vorfall war die komplette Zerstoerung der Stadt Pella durch Alexander Jannaeus, nachdem sich die Bewohner geweigert hatten, zum Judentum ueberzutreten (Josephus, Antiquities. 13.15.4). In Galilaea wurde der juedische Bevoelkerungsanteil durch die Zwangskonversionen wohl verzehnfacht (William Horbury. The Cambridge History of Judaism 2 Part Set: Volume 3, The Early Roman Period Cambridge University Press, 1999: p. 599) , und die Zwangskonversion Idumaeas, bzw. deren Folge, spielt ja noch in einigen Passagen von Josephus "Juedischem Krieg" eine Rolle.
Abgesehen von dieser Zeit handelt es sich bei der Ausbreitung der juedischen Religion aber nicht um irgendwelche staatlich gelenkten Aktivitaeten, und auch ueber berufsmaessige Missionare ist nichts bekannt. Zumindest in der fraglichen Zeit (1.-2. Jhdt.) geht man davon aus, dass der Anstoss von den Konvertiten selbst kam. Ich muss noch mal schauen, ob ich das bereits genannte Beispiel einer Begraebnisstaette aus dem griechischen Raum wiederfinde, wo diese Zusammensetzung aus "nativen" Juden, Vollkonvertiten und den Gemeindemitgliedern, die zwar wie Juden lebten, sich aber nicht beschneiden liessen, herausscheint.
Hier gibt's noch einen frei erhaeltlichen Artikel (nach Registrierung) dazu von Louis H. Feldman, einem Professor der Yeshiva University, der seine Meinung wohl - nach eigener Aussage - gegenueber frueher etwas vorsichtiger ausdrueckt, aber hier trotzdem: Conversion to Judaism in Classical Antiquity *https://www.jstor.org/stable/23509246
Edit: Wie man an Bions Beitrag sieht, gehen Meinungen dazu durchaus auseinander.
Auch der sogenannte Diasporaufstand hatte ja gemaess den erhaltenen roemischen Quellen den Anlass, dass die nichtjuedische Bevoelkerung Zyperns oderk der Kyrenaika (und spaeter Alexandria) den Forderungen nicht nachkam, sich an die juedische Lebensweise zu halten, was dann zu den Massakern an den Nichtjuden fuehrte.

