22-01-2022, 03:04
(21-01-2022, 04:33)Ulan schrieb:(21-01-2022, 02:14)Apollonios schrieb: Was den Religionscharakter des Buddhismus betrifft, darüber kann man verschiedener Meinung sein. Auch wenn man Theismus nicht als Definitionsmerkmal von Religion betrachtet, lässt sich die Einordnung als Philosophie (Nichtreligion) gut begründen. Wobei natürlich zu beachten ist, dass beide Begriffe westlichem Denken entsprungen sind und daher auf diese Lehre nur bedingt anwendbar sind. Immerhin lässt sich argumentieren, dass die Bezeichnung Philosophie dem Inhalt der Lehre besser gerecht werde, zumindest was deren älteste rekonstruierbare Gestalt betrifft; später hinzugetretene ausgeprägt religiöse Elemente sind dem ursprünglichen Ansatz fremd.
Ich denke, dass die Einschaetzung des Buddhismus als Nichtreligion mittlerweile von der Religionswissenschaft endgueltig entsorgt wurde. Die Beurteilung als Philosophie war im Prinzip durch jesuitische Missionare erfolgt, damit es nicht als haeretisch galt, sich mit Buddhismus zu beschaeftigen, und das war nuetzlich. Ansonsten hat der Buddhismus halt alles, was eine Religion ausmacht, also Ritus, Tempel, Moenche und die Einbindung in das taegliche Leben der Glaeubigen, wie Begraebniskult, etc. Dass es dabei im Einzelfall durchaus auch zur Vergoettlichung von Buddha oder Boddhisattvas kommt, ist zwar auch ein Teilaspekt spaeterer Entwicklungen, aber nicht entscheidend fuer dieses Urteil. Ob das irgendwann mal als reine Philosophie gedacht war (was bei der Quellenlage eh nicht entscheidbar ist), ist sowieso unerheblich. Wir urteilen nicht ueber eine hypothetische Rekonstruktion der Anfaenge, sondern das, was ist. Und Philosophie ist eh Teil jeder Religion.
Edit: Wobei uebrigens anzumerken ist, dass auch der Buddhismus in seiner urspruenglichen Form (soweit bekannt) die Existenz von Goettern anerkennt, im Gegensatz zum Jainismus also nicht atheistisch ist; die Goetter werden nur nicht verehrt.
Fuer den Thread spielt das aber wohl keine Rolle. Die Legitimation, um die es hier geht, passiert im Buddhismus vollkommen anders.
Ich bestreite nicht, dass der Buddhismus in der überwältigenden Mehrzahl seiner heutigen Erscheinungsformen klar Religion ist. Es gibt aber auch innerhalb des Buddhismus eine philosophische Tradition, die sich dezidiert dagegen ausspricht, die religiösen Elemente ernst zu nehmen; diese Elemente erscheinen aus der Perspektive der philosophischen Richtung als überflüssige Zutaten, die toleranzhalber geduldet werden, über deren Bedeutungslosigkeit man sich aber klar sein sollte. Sehr viel spricht dafür, in dieser Sichtweise die Auffassung des Gründers zu sehen, also den Urbuddhismus. Der Buddha wandte sich nachdrücklich gegen sämtliche religiösen Traditionen seiner Zeit, und seine Lehre (soweit rekonstruierbar) ist, genau betrachtet, mit Religion unvereinbar. Sie ist aber auch für den Normalkonsumenten unverdaulich und musste daher, um sich ausbreiten zu können, religiös verbrämt werden. Mit Recht schreibt der Indologe und Buddhismuskenner Hans Wolfgang Schumann in seiner Monographie "Der historische Buddha": "Bei den Regeln fällt auf, dass keine von ihnen eine ritualistische Forderung erhebt. Rituale und Kultobservanzen lehnte der Buddha ab, sie waren nach seiner Meinung nur dazu geeignet, sich weiter in den Samsara zu verstricken. Und wem hätte ein Kult innerhalb des Dhamma auch gelten sollen?"
Ja, der Buddha anerkannte die Existenz von Göttern. Betrachtet man seine Grundeinstellung, so wird erkennbar, warum er das tat: Er hielt es nicht für der Mühe wert, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, da ihn die Götter überhaupt nicht interessierten. Diese gleichgültige Haltung beiläufiger Akzeptanz macht den Buddhismus nicht zur Religion. Auch der Materialist Epikur nahm die reale Existenz von Göttern an und äußerte sich sogar über deren Existenzweise (er hielt sie für aus Atomen bestehende materielle Wesen) - niemand käme auf die Idee, deswegen den Epikureismus zur Religion zu erklären.
Die philosophische und dezidiert nichtreligiöse Tradition ist übrigens im Buddhismus nicht ausgestorben. Paul Dahlke, der in den 1920er Jahren den Buddhismus als gelebte Praxis nach Deutschland brachte, war ein entschiedener Vertreter dieser Richtung.
Hinsichtlich der Ausgangsthese dieses threads ist also festzustellen: Nein, Gott ist kein Amt - weder im Urbuddhismus noch im Epikureismus: Es gibt zwar Götter, aber sie werden nachdrücklich als funktionslos dargestellt. Wo keine Funktion, da ist kein Amt.