26-02-2022, 22:07 
		
	
	(26-02-2022, 19:37)Ulan schrieb: @Balsam: Um das noch mal zu wiederholen, weil, so scheint es mir, das nicht ganz klar geworden ist: Ich sehe jetzt erst einmal prinzipiell keinen Widerspruch von dem, was ich in diesem Thread thematisiert habe, und Deiner Interpretation des Inhalts der Geschichte.
Was den mesopotamischen Ursprung betrifft, besteht von wenigen Ausnahmen abgesehen ein breiter Konsens.
Zitat:Mit diesem Thread habe ich gar nicht versucht, die Sintflutgeschichte zu interpretieren; ...
Das stimmt. Allerdings beruhen die Aussagen in deinem Zitat von Clines natürlich auf (s)einer Interpretation der Sintflutgeschichte, und seine ethischen Schlussfolgerungen fallen dementsprechend aus. Es ist doch offensichtlich, dass Clines in seiner ethischen Kritik Maßstäbe anlegt, die nicht mit den Maßstäben der biblischen Autoren kompatibel sind - also teils mesopotamische ethischen Maßstäbe die er aus den Ursprungserzählungen übernimmt, und zeitlich und kulturell gesehen völlig irrelevant sind, teils seine persönlichen ethischen Maßstäbe aus seiner heutigen aufgeklärten Perspektive.
Der biblische Gott lernt gar nichts und bereut auch nichts, weil es diese weltweite Sintflut aus Sicht der biblischen Autoren nie gegeben hat. Diese beschreiben im Gegensatz zu den mesopotamischen Autoren keine Naturkatastrophe, sondern historisches, "am eigenen Leib" Erlebtes, traumatische Kriegserfahrungen mit den Assyrern, Babyloniern und Persern. Clines geht von Wassermassen biblischen Ausmaßes aus, die über die höchsten Berge (Mount Everest?) "der Erde" reichten. Er nimmt das alles auf Basis falscher Übersetzungen und eines historisch unzutreffenden Weltbildes der biblischen Autoren von "der Erde" wörtlich. Im Grunde kämpft er, möglicherweise ohne etwas davon zu ahnen, gegen einen Strohmann.
Zitat:... hier geht es nur um den Zusammenhang der biblischen Erzaehlung mit dem zugrundeliegenden mesopotamischen Mythos.
Abgesehen von den verwendeten Bildern, gibt es keinen inhaltlichen Zusammenhang von mesopotamischer, polytheistischer Naturkatastrophe und frühjüdischer, monotheistischer Kriegsberichterstattung aus der Perspektive des 2. Tempels. Im AT ist die Sintfluterzählung eine Allegorie, die Arche eine Metapher, die reinen und unreinen Tiere sind ebenfalls eine Metapher, also keine Tiere, sondern das wofür sie stehen, nämlich die jüdische Elite bestehend aus der kultisch reinen Priesterschaft (= Söhne Aarons), und der kultisch unreinen Aristokratie. Immer vorausgesetzt, das meine inhaltliche Interpretation mit der Intension der Autoren deckungsgleich ist. Wie plausibel das ist, muss jeder selbst entscheiden. Weil es eine neuartige Interpretation ist, gibt es nur jede Menge anders geartete Interpretationen von anerkannten Autoritäten, womit wir bei deinem nächsten Punkt sind.
Zitat:Ich haette hier auch noch mehr auf die Unterschiede der jahwistischen und der priesterschriftlichen Anteile der biblischen Erzaehlung eingehen koennen, um das klarer zu machen; vor allem die jahwistischen Textteile kleben am mesopotamischen Original. Die priesterschriftliche Ueberarbeitung ist sich der aus dieser Uebernahme entstehenden Probleme zumindest teilweise bewusst und versucht sie dementsprechend an juedische theologische Vorstellungen zu adaptieren, was zumindest teilweise gelingt.
Die Ergebnisse der historisch-kritischen Bibelwissenschaft sind mir bekannt (Urkundenhypothese, Fragmentenhypothese, Ergänzungshypothese, Neuere Urkundenhypothese usw.). Allen gemeinsam ist, dass sie von Redaktoren bzw. unterschiedlichen Redaktionsschichten sprechen. Diese sind aber im Einzelnen jeweils relativ schwer im Text zu bestimmen, weshalb es auch so viele unterschiedliche Hypothesen gibt. Dass man aber Redaktionen nachweisen kann, lässt den logischen Schluss zu, dass es irgendwann zur Zeit des 2. Tempels eine letzte Endredaktion des Pentateuch gegeben haben muss. Ich ziehe nicht die Ergebnisse der Forschung in Zweifel, sondern baue auf ihnen auf. Dabei lege ich aus inhaltlichen Gründen, den Schwerpunkt auf den vorliegenden Endtext, den ausschließlich die Endredaktion nicht aber frühere Autoren zu verantwortet hat - und zwar in ihrem theologisch-dogmatischen Verständnis. So wurde das immer gehandhabt und so machen es auch unsere deutschen Übersetzer, deren Übersetzungen allesamt Deutungen aus ihrer jeweiligen kirchlich (an)gebundenen theologischen Perspektive darstellen.
Zitat:Das von Dir angesprochene Problem der unbedingten Gerechtigkeit Gottes ist dabei halt ein Problem, das die Ueberarbeitung in der Bibel eben gerade nicht loest.
Wie das? Aus Sicht des Frühjudentums gibt es kein ethisches Problem. Ihr Gott steht nur ihnen, dem außererwählten Volk bei. Alle anderen Völker sind nur als Gottes Zuckerbrot (Frieden im Land Israel) und Peitsche (Krieg im Land Israel, Exil, Diaspora der Juden), damit sein Volk so pariert, wie er will - zum Besten dieses Volkes selbstverständlich. Das Frühjudentum war mit seiner Ethik im reinen - aber sowas von. Erst als Alexander der Große und die Römer auftauchten, obwohl das Volk seinem Gott treu und ergeben, minutiös alle kultischen Anordnungen seines Gottes befolgte, viel ihr theologisches Kartenhaus von Freiheit und vom ewigen Frieden im Lande Israel in sich zusammen. Also verlegte man sich mehr und mehr auf eine eschatologisch-apokalyptische an der Zukunft "orientierte" Theologie, weil die rückblickende theologische Deutung der Geschichte mit der Gegenwart nicht mehr kompatibel war.
Zitat:(26-02-2022, 16:13)Balsam schrieb: So verstanden ist die Urgeschichte kein Mythos der historisiert wurde, sondern umgekehrt historische Geschichte, die mythologisiert wurde um die eigene Situation verstehen und zu erklären, so gut es eben gerade mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der Zeit geht. Jeder Mythos hat insofern einen Wahrheitsgehalt in Bezug zur erlebten Realität der jeweiligen Kultur, die er trägt.
Eine Unterscheidung zwischen Mythos und Geschichte ist zur damaligen Zeit nicht wirklich gegeben, ...
Meine Rede. Genau das zeige ich doch auf, dass dieser Mythos erzählte Geschichtsdeutung ist.
Zitat:... so dass wir hier auf moderne Sichtweisen reflektieren.
Wozu soll das zum Verständnis des Textes beitragen? Herkömmlicherweise werden Mythen als irrelevante Phantastereien abgetan, moderne Sichtweisen aufgrund relevanter Fakten als wahrhaftig verstanden. Erstens beruht die biblische Urerzählung - meiner Meinung nach - auf relevanten historischen Fakten, die nicht bestritten worden sind, und irrelavant sind die phantastischen Komponenten für den Lauf der Geschichte die Gutes und Böses hervorbrachte auch nicht geblieben. So oder so, man kann aus der Geschichte lernen
Zitat:Der Sintflut-Mythos gehoerte sicherlich zum bekannten Mythenschatz in Kanaan oder dem spaeteren Juda.
Zustimmung.
Zitat:Der Mythos wurde also nicht historisiert, sondern, durch den "Sitz im Leben" des Autors motiviert, aus einem aktuellen Anlass adaptiert.Ebenfalls Zustimmung, nur geht man bei Fortschreibungsliteraturen von Autoren und Redaktoren aus, wobei jedem klar ist, dass die Macht über die Inhalte in Richtung Zeitpfeil zunimmt.
Zitat:Dass die Umlenkung der Verantwortung fuer das Missgeschick des juedischen Volkes von der Gottheit auf die Verfehlungen des Volkes selbst im Anschluss an erlittene militaerische Niederlagen dabei die Hauptmotivation des Autors darstellt, wird so in der heutigen Alttestmentik weitgehend anerkannt.Ja.
Zitat:Und ja, mit unterschiedlichen Ansichten haben wir hier keine Probleme, solange Du sie begruenden kannst.Ich habe nur in sehr groben Zügen eine alternative Hypothese in den Raum gestellt. Um sie zu begründen müsste ich die ganze Urgeschichte und die textimmanente logische Konsistenz aufzeigen. So groß ist das Interesse eh bei niemanden, dass er sich das antun würde.
Zitat:Wenn jemand Deine Ansichten nicht teilt, heisst das erst einmal nicht viel, solange es nicht um sachlich falsche Voraussetzungen geht, was ich hier jetzt nicht sehe. Dass die Sintflutgeschichte mit der Vernichtung aller Menschen, allen Viehs, aller Kriechtiere und aller Voegel des Himmels wirklich nur Israel meinte, halte ich zwar sowohl von der Herkunft der Geschichte als auch von der Formulierung der Verse her fuer falsch, aber was soll's.Genau. Ich habe nicht vor, meine Mitmenschen mit meiner Sichtweise zu nerven. Hier schien es mir passend ein gedankliches Alternativangebot daneben zu stellen, ohne all zu sehr in die Details zu gehen.
Zitat:Eine Vorstellung von "der ganzen Welt" hatten die Menschen damals wohl sowieso nicht.Ich auch nicht.

