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Der mesopotamische Ursprung der biblischen Sintflut-Geschichte
#46
(28-02-2022, 22:26)Ulan schrieb:
(28-02-2022, 21:20)Balsam schrieb: Das kann ich halt beim besten Willen nicht nachvollziehen, weil im biblischen Mythos noch andere Themen dazu kommen, die eine wichtige Rolle spielen, wie das Thema Kultordnung.

Dass der biblische Bericht auch andere Themen aufgreift, ist richtig, aber das heisst nicht, dass man die Einschaetzung von Clines nicht trotzdem immer noch aus dem Text herauslesen kann. Dass eine solche Aussage von Autoren und Editoren beabsichtigt war, ist dabei beliebig unwahrscheinlich, aber das laesst sie nicht magisch verschwinden.
Ich kann mich nicht erinnern magische Argumente vorgebracht zu haben, sondern meine, dass jede meiner Begründungen für meine Behauptungen datenbasiert waren. Clines kann seine Einschätzung unbestreitbar aus dem Text herauslesen, du offensichtlich auch - aber ich halt nicht, weil ich den Text anders verstehe als ihr beiden, und datenbasiert begründen kann, warum die anderen eingeführten Themen ausschlaggebend dafür sind, dass die Worte der mesopotanischen Vorform sich zwar hier sinngemäß, oder sogar wörtlich (selbst wenn man Übersetzung in eine andere Sprache ignoriert) wiederfinden lassen, aber wegen der neu eingeführten Themen eine andere Bedeutung haben als in der mesopotamischen Vorform, weil die neu eingeführten Themen eben in der Vorform keine Rolle spielen. Dazu muss man sich den Satz, der für dich so zentral erscheint in seinem Kontext ansehen. Ich kann ja nichts dafür, dass der Teufel im Detail steckt. Ich hab's doch nicht geschrieben. Ich lese es nur.

(28-02-2022, 22:26)Ulan schrieb: Zentral ist doch dieser Satz: "7 Der HERR sagte: Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben."

Alles, was Gott danach anordnet, hintertreibt diesen Vernichtungsfluch, eben genauso, wie Ea die Absicht Enlils hintertreibt. Weder der Mensch, noch das Vieh, noch die Kriechtiere, noch die Voegel des Himmels werden letztlich vom Erdboden getilgt, und Gott selbst sagt hinterher, dass alles bleibt, wie es war. Ja, es gibt diese Aenderung im Menschengeschlecht, aber Gottes erklaerte Absicht war viel weitreichender. Ich nehme ihn (als literarische Figur) hier schlicht beim Wort.
Der Vernichtungsfluch wird nicht hintertrieben, sondern 1:1 umgesetzt - ohne wenn und aber, weil er nicht alle Menschen auf "der Erde" meint, sondern nur die für die dieses Buch nicht geschrieben wurde, also all jene die DAS LAND nicht erben. Mir fällt auf, dass hier an dieser Stelle nicht von reinen und unreinen Tieren die Rede ist. Nächster Satz: Nur Noach fand Gnade in den Augen des HERRN. Stellt sich sofort die Frage: Warum ausgerechnet DER? Im nächsten Satz eine Teilanwort: Der HERR sprach zu Noach: Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus, denn ich habe gesehen, dass du in dieser Generation ein Gerechter vor mir bist! Andere übersetzen statt Generation mit Geschlecht, aber von mir aus - egal. Nächster Satz - und diese Teilantwort ist entscheidend: Von allen reinen Tieren nimm dir je sieben Paare mit, Männchen und Weibchen, und von allen unreinen Tieren je ein Paar, Männchen und Weibchen Reine und unreine Tiere spielen nur bei den Tieren eine Rolle, die mit der Arche mitfahren dürfen - bei denen die vernichtet werden nicht. Das Ende vom Lied: Dann baute Noach dem HERRN einen Altar, nahm von allen reinen Tieren und von allen reinen Vögeln und brachte auf dem Altar Brandopfer dar. Der HERR roch den beruhigenden Duft und der HERR sprach in seinem Herzen: Ich werde den Erdboden wegen des Menschen nie mehr verfluchen; denn das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an. Ich werde niemals wieder alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe.  Niemals, so lange die Erde besteht, / werden Aussaat und Ernte, / Kälte und Hitze, / Sommer und Winter, / Tag und Nacht aufhören.

Es gibt keine Tierart die an sich rein oder unrein wäre. Gott hat nur unreine Tiere erschaffen. Rein wird ein Tier erst dadurch das es für den Kult bestimmt, also für JHWHs ausgesondert wird. Statt rein könnte man auch geheiligt oder heilig sagen. Das Heilige Land ist von allen anderen Ländern für JHWH ausgesondert, so wie das Heilige Volk für JHWH von allen anderen Völkern ausgesondert ist. Der siebte Tag ist für JHWH von allen anderen Tagen ausgesondert. An diesem Tag ruht JHWH. Noachs Name ist "Ruhe". Was ein Zufall. Seine männlichen Nachfahren sind zu diesem Zeitpunkt prinzipiell berechtigt das Heilige Land zu erben. Die Nachfahren Kains sind nicht rein und alle männlichen Nachfahren aus Adams Geschlecht die Töchter Kains zu Frauen genommen haben, sind dadurch kultisch nicht rein. Das ist in dieser Erzählung und vielen anderen des AT der Grund für das Böse in den Menschen die nicht mit Gott gehen, d.h. nicht rein sind. Noachs Familie ist der reine Rest der Menschheit und findet deshalb Gnade vor Gott. Der Sinn der Flut ist das Land zu reinigen von den Mischehen - nicht die Erde.

Ist aus aufgeklärter Sicht freilich ethisch abzulehnen, damals halt ethisch besonders wertvoll - aus Sicht einer Volksreligion. Was anderes gab es auch nicht. Mein Gott, es geht im AT halt immer um das Volk Gottes und das Land Israel - das sollte eigentlich mittlerweile eine Binse sein. Ist halt dieses Volkes Heilige Schrift - von diesem Volk und für dieses Volk geschrieben worden - alle anderen gehören nicht dazu. So einfach ist das. 

In der ganzen Sintfluterzählung die ich oben zitiert habe steht fast 50mal Erde statt Land. Das ist ein ungeheuer großer Impact, würde man in der Werbung sagen. Laborstudien haben gezeigt, dass wenn etwas 87 mal gehört wurde es drin ist in der Birne, egal ob es wahr oder dämlich ist, man hat es verinnerlicht - ob man will oder nicht. Es geht nicht darum damit irgendetwas ethisch zu relativieren, oder zu entschuldigen, oder jemanden zu bashen, sondern sich klar zu machen, dass dieses Gottesbild, welches hier vermittelt wird exklusiv ist. Gott sei Dank. Es ist nicht unser Problem.  

Wie weit jetzt die mesopotamische Vorlage für das Volk, das diese Texte herausgegeben hat, Exklusivitätsanspruch beansprucht hat oder universal verstanden worden ist? Keine Ahnung. Vielleicht weißt du mehr. Wetter- und Fruchtbarkeitsgottheiten werden wohl universaler angesehen worden sein, Kriegs- und Stadtgottheiten exklusiver nehme ich an - so aus dem Bauch heraus.


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RE: Der mesopotamische Ursprung der biblischen Sintflut-Geschichte - von Balsam - 01-03-2022, 00:52

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