08-12-2024, 17:23
(08-12-2024, 00:02)Ulan schrieb:(07-12-2024, 23:25)subdil schrieb: Vielleicht sind diese Fragen für uns tatsächlich überhaupt nicht beantwortbar - weder per Ratio, noch per Intuition - weil der menschliche Geist dafür einfach zu klein und begrenzt ist. Man könnte dann tatsächlich nur auf die Offenbarung "von oben" vertrauen, weil diese eben aus der Perspektive des vollkommenen Wissens verfasst ist, welches man selber zuvor per Ratio oder Intuition angestrebt hatte.
Eigentlich sollte Dir der Kern der Aussage dieses Deiner Meinung nach "spirituell weit fortgeschrittenen Menschen" klar sein: denk nicht nach, glaube einfach! Wir schauen also auf das typische Immunisierungsmuster, mit dem nun schon seit Jahrtausenden versucht wird, die Widersprueche in der biblischen Botschaft schlicht beiseite zu schieben, indem es sie als "fuer die Ratio nicht erkennbar" erklaert. So etwas nennt man auf gut Deutsch Bauernfaengerei. Du sollst Dich einfach nicht mehr daran stoeren, dass die christliche Botschaft bei naeherer Betrachtung keinerlei Sinn macht.
Dieses Zitat von Ulan und auch das nachfolgende von Petronius stammen aus dem "Strohmann"-Thread. Da die Diskussion dort off topic ist, hier aber sehr gut reinpasst, antworte ich hier darauf:
Zunächst mal muss ich an dieser Stelle zugeben, dass ich, was die philosophischen und spirituellen Fragen betrifft, leicht beeinflussbar bin - aber immer nur kurzfristig. Soll heißen: Wenn ich ein Argument oder eine Darlegung höre, die ich in dieser Form zuvor noch nie entdeckt hatte, dann bin ich erst einmal kurz überwältigt von einer neuen Möglichkeit. Eigentlich ist ja die These von der göttlichen Offenbarung, die uns die Welt erklärt an sich überhaupt nichts Neues - jedoch wurde sie mir noch nie so anschaulich dargelegt wie eben von dieser Person.
Ich hatte ja vor kurzem an anderer Stelle schon mal gesagt, dass ich die Beschäftigung mit diesen Themen als eine Vorbereitung auf den Tod betrachte. Es gibt ja dieses alte Sprichwort: "Gerufen oder ungerufen - Gott wird da sein". Insofern kann es sicherlich nicht schaden, sich mit göttlichen Offenbarungen zu befassen, denn wir können ja nie wissen, ob uns nicht vielleicht doch in solchen Texten eine helfende Hand "von oben" ausgestreckt wird.
(08-12-2024, 15:36)petronius schrieb:(07-12-2024, 23:25)subdil schrieb:(06-12-2024, 00:31)petronius schrieb: so, so... dieser frage rational nachzugehen, wäre also nicht ernsthaft?
Gestern hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit jemandem
...
du weichst einer antwort auf meine frge recht unelegant aus. schade
Im Grunde haben wir drei Werkzeuge zur Verfügung: Ratio, Intuition und Glaube. Aber alle drei haben einen gemeinsamen Mangel: Sie sind dadurch beschränkt, dass wir derzeit an einen materiellen Körper gebunden sind. Im Threadtitel habe ich die Frage in den Raum gestellt, ob wir die Welt überhaupt erklären können. Diese Frage war dort jedoch allein auf die Ratio gepolt. An dieser Stelle möchte ich die Frage nun ausweiten auf den Bereich der Intuition und des Glaubens.
Aber damit du nicht wieder das Gefühl hast, dass ich deiner Frage ausweiche, will ich diese kurz ganz direkt beantworten: Doch, es ist natürlich auch ein ernsthafter Ansatz, sich auf rationalem Wege mit der Frage nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit und des menschlichen Wesenskerns zu befassen. Es ist für uns "Westler" sogar der direkteste Weg, weil wir einfach seit der Aufklärung systematisch auf diese Herangehensweise erzogen wurden. Es ist auch mir gar nicht gegeben, die Intuition und den Glauben in vergleichbarem Ausmaß einzusetzen, weil solche Fähigkeiten ja auch immer gesellschaftlich entweder gefördert oder unterdrückt werden - im Westen wird die Ratio seit ein paar hundert Jahren ganz außerordentlich gefördert, die Intuition und der Glaube werden jedoch unterdrückt.
Aber - wie ich zuvor angedeutet habe: Egal wie gut ausgeprägt Ratio, Intuition oder Glaube auch sein mögen - all diese Mittel haben starke Beschränkungen dadurch, dass wir derzeit an einen materiellen Körper gebunden sind. Das fängt damit an, dass wir dadurch eine ständige ganz banale Aufgabe haben: den menschlichen Körper am Leben zu halten. Wenn wir uns vor Augen führen, wieviel Energie nur dafür verwendet werden muss, dass man ein Dach über dem Kopf und genug zu Essen hat, dann ist das schon mal eine beträchtliche Einschränkung. Wir hatten hier schon öfters das Thema Entropie - diese Naturkraft ist ständig darauf angelegt, dass sich die Umwelt in Richtung größerer Unordnung entwickelt - der menschliche Körper als hochgeordnetes System befindet sich daher in einem ständigen Konflikt mit dieser Naturkraft.
Dazu kommt aber auch, dass wir durch die fünf Sinne und das Gehirn nur einen ganz spezifischen Ausschnitt der Welt buchstäblich "vor Augen geführt" bekommen - eben Mittelerde. Wir vergessen immer wieder, dass diese ganze Art der Wahrnehmung im Grunde so etwas wie eine kontrollierte Halluzination ist - also eine Weltwahrnehmung, die ganz spezifisch auf den menschlichen Körper und die Erhaltung desselben ausgelegt ist.
Genau das ist der Grund dafür, dass sich die asketischen Strömungen aller spirituellen und religiösen Traditionen so sehr ähneln. Und diese Tatsache kann man gar nicht überbetonen, wo sie sich doch in allen anderen Aspekten - also was Lehren, Dogmen, Glaubenssätze betrifft - komplett widersprechen. Dies ist ein Hinweis darauf, was der Kern aller Religionen und Traditionen ist: Letztlich eine Überwindung der Körperlichkeit und der daraus resultierenden Beschränkung der Wirklichkeitswahrnehmung.
Und natürlich beinhaltet dies auch, dass im Grunde das ganze Leben eine Vorbereitung auf den Tod ist. Denn der menschliche Körper hat ein Verfallsdatum, was eine weitere Beschränkung darstellt. Im Angesicht der Ewigkeit ist daher die einzige relevante Frage die, was mit dem menschlichen Geist geschieht, wenn das Verfallsdatum des Körpers erreicht ist. Die Befassung mit der Beschaffenheit der Wirklichkeit und dem Kern des menschlichen Wesens ist daher nicht einfach ein müßiger Zeitvertreib, sondern im Gegenteil das Wichtigste, was es überhaupt gibt. Und hier muss eben jeder schauen, welches der drei verfügbaren Mittel - Ratio, Intuition, Glaube - für ihn am besten funktioniert.

