(28-12-2024, 22:11)subdil schrieb: In diesen Traditionen geht es darum, die Illusion des Selbst zu durchschauen, genauer gesagt die Illusion der Trennung des Individuums vom Kosmos. Angestrebt wird die Erkenntnis des Nicht-Selbst, die Erkenntnis der Nondualität, also der untrennbaren Verbundenheit des ich-losen Wesenskerns des Menschen mit dem Universum.
(29-12-2024, 12:51)Ulan schrieb: ... was aber - und was der Kern meiner Aussage ist - in sich selbst eine religioese Interpretation darstellt.
Ein echter Advaita oder Zen-Lehrer würde dir widersprechen. Ich habe mich jahrelang mit diesem philosophischen Rabbit Hole befasst und kenne mich deshalb ziemlich gut damit aus. In dieser sehr speziellen Ecke der Spiritualität geht es tatsächlich überhaupt nicht um religiöse Inhalte, sondern sogar im Gegenteil um das "Abbauen" derselben. Alle religiösen und spirituellen Dogmen sowie alle intellektuellen Konzepte überhaupt werden hier hinterfragt, ja das Denken selbst wird in Frage gestellt.
Ich schätze, dass die Herangehensweisen der Via Negativa im Westen und des neti-neti (nicht dies, nicht das) im fernen Osten noch am ehesten dem ähneln, was Zen und Advaita tun. Hier geht es um Simplifizierung, Reduzierung und Loslassen von allen gängigen Denkmustern und gerade auch religiösen Konzepten. Man könnte es so ausdrücken: In allen anderen Bereichen des Lebens, inklusive der Religion, gibt es sehr viel zu lernen. Bei Zen, Advaita und ähnlichen Strömungen geht es hingegen darum, zu ent-lernen.
Alle Gedankengebäude werden in Frage gestellt und ausschließlich die Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick ins Zentrum gestellt. Ist das noch Religion? Ich würde diese Frage so beantworten: Beim Kochen geht es darum, verschiedene Zutaten in einen Topf zu geben und sie zu vermischen, so dass eine Mahlzeit entsteht. Was nun ein Zen-Koch machen würde, ist, den Topf auszukippen und zu reinigen. Hat das noch etwas mit Kochen zu tun? Ich denke, ähnlich ist das Verhältnis von Zen und Advaita zu Religion. Diese Strömungen haben nur insofern etwas mit Religion zu tun, als dass sie die Lehren derselben ablehnen und verwerfen.
Allerdings ist dies natürlich nur die reinste Version dieser Strömungen. Da sich der menschliche Intellekt mit so etwas niemals zufrieden geben kann, wurden diese Ideen dann im Laufe der Zeit auch wieder relativiert und verfälscht und so findet man dann eben unter Namen wie Zen und Advaita auch vieles, was eigentlich dort gar nicht hin gehört.