14-02-2025, 18:57
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 15-02-2025, 00:10 von Ekkard.
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(14-02-2025, 13:52)Ulan schrieb: @Ekkard: Christliche Gemeinschaften, die nicht automatisch am Bibeltext kleben muessen, haben da offensichtlich mehr Freiheiten in der Interpretation. Natuerlich geht damit auch eine veraenderte Heilsbotschaft einher. Schnädelbach wies darauf hin, dass sich eine solche Gemeinschaft dann so gut wie gar nicht mehr von einem reformierten Judentum unterscheiden wuerde, da Jesus dann so etwas wie ein Prophet gewesen waere, der bestimmte Teile des AT lehrt (die Naechstenliebe findet man ja schon dort).
Ich gebe dir bzw. Schnädelbach in dieser Beziehung Recht, und ich denke, dass auch die EKD (Evangelische Kirche Deutschland, der Verband der ev. Landeskirchen) sich auch eher als Nachfolgerin des Judentums versteht. Vor allem geht es darum, die alten politischen Fehler strikt zu vermeiden.
Noch etwas zum ursprünglichen Post:
(12-02-2025, 15:06)Ulan schrieb: 5. Die christliche EschatologieDas mag politisch in der Vergangenheit so gewesen sein. Ich kann das nicht nachvollziehen; denn so tief ins Detail geht m. E. der Glaube nicht. Man hat sich eher mit dem "Jammertal" auf dieser Welt eingerichtet. Betrachtet man das Opfer Jesu als Engagement für das "richtige (gesetzestreue) Leben", so ist die "Erlösung" von der dauernd geredet wird, nicht durch Blut, sondern nur durch Verhaltensänderung und einem gemeindlichen Vergebensprozess zu erreichen. Die blutige Seite der Verfolgung Jesu ist dann nur ein Fall, wie er vielen Menschen zustößt, die in ernste Konflikte mit der jeweiligen Obrigkeit geraten (Nawalny z. B.).
Hier geht's darum, dass christliche Erloesung nur nach Angst und Schrecken erreicht werden kann, wie in der Offenbarung des Johannes dargestellt, die ueber Jahrhunderte ihre Wirkung in Kunst und Denken der Menschen entfaltete. Der politische Messias des Judentums wird im Christentum zu einem, der mit dem Feuerpfuhl droht, um die Christen zu disziplinieren. Er meint, das haette auch politisch gewirkt, bis hin zu dem Weg zur Verheissung politischer Ideologien der Moderne
(12-02-2025, 15:06)Ulan schrieb: 6. Der Import des PlatonismusWir haben das immer als "typisch katholisch" abgetan. Aber auch im Protestantismus ist z. B. außerehelicher Sex verpönt und gehört zum unerwünschten "Lotterleben". Ich stimme Schnädelbach zu, dass wir hier entweder einen Sargnagel des Christentums vor und haben oder Emanzipationsbedarf. Immerhin werden inzwischen homosexuelle Paare gesegnet, wie Eheleute - gegen erbitterten Widerstand traditioneller Gruppen in unserer Kirche.
... Schnädelbach sieht es als ein Unheil an, "dass durch [die Diesseits-Jenseits-Unterscheidung] die reale Welt zum bloßen Schein herabgesetzt und normativ entwertet wurde". Alles Gute wird aufs Jenseits verschoben. Schlimmer noch ist die Wirkung auf das Menschenbild: " Der christliche Platonismus bedeutete nicht nur im Kosmos, sondern auch im Menschen die normative Herabsetzung der Wirklichkeit, das heißt seiner Leiblichkeit. Das Ergebnis ist die systematische Leibfeindlichkeit der christlichen Tradition..", wovon dann auch die Verachtung der Weiblichkeit - ausser in Form der Jungraeulichkeit - einen Teil darstellt.
(12-02-2025, 15:06)Ulan schrieb: 7. Der Umgang mit der historischen WahrheitDas hört sich gerade so an, wie ich das aus unserem Bibelkreis mitgenommen habe: Die Geschichten sind nicht historisch sondern als Glaubensgeschichten zu lesen, insbesondere als Anpassungen an Geschichten des AT.
Hier geht's darum, dass das NT voll von strategischen Erfindungen ist, die in der christlichen Tradition als historische Wahrheit verkauft werden.
...
"Der strategische Umgang mit der historischen Wahrheit um einer höheren Wahrheit willen ist ein Erbübel des verfassten Christentums. Da haben die Evangelisten Tatsachen erfunden, und bis in unsere Tage war es Christen streng verboten, sie auch nur zu bezweifeln." Zu guter Letzt wird Paulus zitiert mit seinem Appell an die geschichtliche Wahrheit als Notwendigkeit fuer den Glauben (1. Korinther 15, 14 f.).
Andererseits verlangt unsere Kirche auch nicht, die biblischen Geschichten im Wortsinne zu glauben. Unsere Pfarrer waren eher erstaunt, dass wir Gemeindeglieder ein offenes Ohr für diese Lesart hatten.
(12-02-2025, 15:06)Ulan schrieb: In einem achten Kapitel geht's um das Christentum heute. Kann sich das Christentum reformieren und seine Geburtsfehler loswerden? Schnädelbachs Antwort ist klar: es koennte, aber es waere dann kein "Christentum" mehr, sondern so etwas wie ein reformiertes Judentum. Also eigentlich ist die Antwort dann doch "Nein". Er meint, das Christentum haette sein eigentliches Ende in der modernen Welt sowieso schon hinter sich, es haette es nur noch nicht gemerkt. Na ja, das wird wohl noch ein Weilchen auf sich warten lassen.Ein Christentum, das sich wie unser User "Sinai" an scheinbar schwierigen Bibeltexten abarbeitet, ist wohl wirklich vorbei - zumindest im Bereich des deutschen Protestantismus. Uns Gemeindeglieder interessieren die Texte des NT nur als Allegorien, sozusagen als Fallbeispiele erwünschten Verhaltens.
(12-02-2025, 15:06)Ulan schrieb: Irgendeine Relevanz fuer die gesellschaftliche Diskussion hat das alles wohl eher nicht, ...Das entspricht auch meiner Beobachtung vor Ort auf evangelischer Seite. Und ja, für heute relevante Textstellen sind "eher handverlesen".
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Ekkard