30-09-2025, 22:06
(29-09-2025, 22:33)Ulan schrieb: Weltschmerz ist nun wahrlich kein Zeichen von Spiritualitaet.
Es kommt darauf an, wie man mit dem Weltschmerz umgeht. Ich selber würde dieses Wort ja nicht verwenden, ich würde eher von einem melancholischen Gemüt sprechen, andere würden es eine depressive Verstimmung nennen. Aber wie man es auch nennt: Das sind Empfindungen! Und Empfindungen sucht man sich nicht aus. Insofern ist deine Behauptung, eine Person mit Weltschmerz könne nicht spirituell sein, in etwa so sinnvoll, wie die Behauptung, ein melancholischer Mensch könne kein Koch oder kein Politiker sein. Die Empfindungen eines Menschen sagen nichts darüber aus, was dieser Mensch ansonsten kann oder nicht kann, weil sich niemand seine Empfindungen aussucht.
Aber wie gesagt, vor allem kommt es darauf an, wie man damit umgeht. Ich persönlich habe da alles durch: Zuerst habe ich mein melancholisches Gemüt als Ausrede verwendet, nach dem Motto: Die Welt hat mir übel mitgespielt, daher will ich nichts von der Welt wissen. Das war meine misanthropische Phase, die aber schon über 15 Jahre zurückliegt. Dann kam eine Phase, in der ich meine Melancholie verallgemeinert habe und sie so wie zum Beispiel Schopenhauer zu einem System des Weltpessimismus ausgebaut habe. Dann bin ich zuerst selbstkritischer geworden und habe es mit Psychotherapie versucht, nur um dann eine Zeit lang in die genau entgegengesetzte Richtung zu gehen und das Problem bei anderen zu suchen - eine Zeit, in der ich Verschwörungstheorien verschlungen und verbreitet habe.
Irgendwann bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass man mit dem melancholischen Gemüt oder dem Weltschmerz tatsächlich am besten so umgeht, dass man es oder ihn umwandelt in etwas Positives, dass man die Energiefließrichtung umkehrt und aufhört, um sich selber zu kreisen und vor allem komplett rauskommt aus der Opferrolle. Und jetzt kannst du natürlich sagen: "Hätte ich dir gleich sagen können..." aber da kommen wir zu einer ganz entscheidenden Sache: Ich bin davon überzeugt, dass man gewisse Erkenntnisse wirklich ganz praktisch selber gewinnen muss, durch Erfahrung. Nichts kann die direkte Erfahrung ersetzen, keine Belehrungen und keine Weisheiten. Und ich bin mir ganz sicher, dass dieses innere geistige Erwachen, das ich nun seit ca. einem halben Jahr erlebe, nur möglich war und ist durch eben diese geschilderte Vorgeschichte.
Also langer Rede kurzer Sinn: Weltschmerz und Spiritualität sind enge Verwandte, keine Gegensätze.
Und durch diesen Exkurs habe ich nun meine Schreibenergie für heute aufgebraucht und werde daher auf die Beiträge von Ekkard und Petronius ein anderes Mal antworten.