15-12-2007, 12:44
Petrus schrieb:Wer all das bejahen kann, braucht so ein Konstrukt nicht, genausowenig wie ein Mensch nach einigen Jahren seines kindlichen Lebens keinen Weihnachtsmann mehr braucht.Du hast völlig Recht, Petrus,
dass man für seine Ethik und sein Verhalten solch ein "Konstrukt" nicht braucht.
Aber du vernachlässigst dabei
die Bedeutung von Mythen für den Menschen.
Mythen gibt es zu jeder Zeit, um menschliche Sorgen und Probleme narrativ in der Kommunikation mit anderen gemeinsam bedenken und besprechen zu können, um Kindern (siehe dein Weihnachtsmann-Beispiel) schwierige Erkenntnisse nicht abstrakt, sondern sehr anschaulich verständlich zu machen.
Mythen können Orientierungshilfen auch für Erwachsene sein. Sie wachsen mit den Nutzern mit, werden in jedem Alter anders ausgewertet. Man sollte sie für die menschliche Kultur und das Bewusstsein des Einzelnen nicht unterschätzen (Siehe Roland Barthes: Mythen des Alltags).
So ist auch der Mythos vom "Teufel",
wie ich oben schon schrieb,
eine wunderbare Möglichkeit, Facetten unserer Lieblosigkeit oder unserer Selbstsucht usw. anschaulich zu vermitteln. Die Teufels-Mythen der unterschiedlichen Religionen sagen doch sehr viel über deren Welt- und Menschensicht usw. aus.
So können wir auch auf Märchen nicht verzichten, wenn wir den Kindern nicht wichtige menschliche Einsichten vorenthalten wollen. Abstrakt würden sie sie nicht verstehen (Siehe Bruno Bettelheim: Kinder brauchen Märchen).
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch
die neueren Theorien über den sog. "freien Willen des Menschen".
Eine Stern-Serie beschrieb vor einiger Zeit neuere Entdeckungen und Theorien, nach denen unsere chemischen Zell-Reaktionen immer vor unseren Entscheidungen kommen. Wir folgen nur unseren organischen Reizen und halten uns für Herren unseres Verhaltens.
Dann wäre unsere Sicht vom Menschen als Subjekt seiner Entscheidungen und Taten vielleicht auch nur ein Mythos, eine kulturell geprägte Geschichte von einem handelnden Subjekt, die wir über unsere Reize projizieren und die uns vorgaukelt, wir haben frei entschieden.
Ich glaube das zwar nicht, finde den Gedanken aber mythentheoretisch nicht uninteressant.
"Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche!" (Gustav Mahler nach Thomas Morus)