22-07-2008, 14:02
Hallo Sangus,
schön, mal wieder mit Dir zu diskutieren. :icon_wink:
Ich hab offenbar Schwierigkeiten, beim Beschreiben meiner Sicht den Balanceakt zwischen Scylla und Charybdis einzuhalten - werd von beiden Seiten leicht missverstanden.
Meine "Erkenntnisse" stammen nicht aus Lektüre jüngster Zeit, sondern, wenn es um die jüngste Zeit gehen soll, aus Diskussionen mit entsprechenden Vertretern. Ansonsten beobachte ich das ganze Geschehen seit mehr als dreißig Jahren.
Was den Menschen als "manipulierbare Maschine" betrifft, so war das besonders heftig in meiner Referendarzeit, wo wir Referendare gelehrt bekamen, wie man die Schüler manipuliert. Der Behaviorismus war das Ideal, dieser zeigte auf - freu freu -, dass man Babys vom Daumenlutschen "befreien" konnte, indem man ihnen immer schmerzhaft auf den Daumen schlug, wenn sie daran lutschen wollten. Daraus schlossen die damaligen Schulpädagogen, dass man auch Schüler durch "Einüben" in Verhaltensformen in die gewünschte Richtung kriegte: Tadel-Lob-Prinzip. Uns wurde gesagt - und es wurde kontrolliert, ob wir das hinkriegten -, dass wir im Unterricht einen Schüler, der unsere Meinung vertrat, loben sollten, später darauf zurückkommen sollten ("Wie der Hans vorhin sehr richtig gesagt hat..."), einen, der unsere Meinung nicht vertreten hatte, eher ignorieren sollten, sodass am Ende einer Schulstunde das vorher vom Referendar aufgestellte Lernziel (das den Schülern natürlich unbekannt war, die Ausbilder aber auf Papier vor sich hatten und deren Erreichung sie überprüften) durchgesetzt war. Alle Schüler also am Ende "erkannten", dass Brecht ein böser Kommunist war oder was auch immer der Referendar für erkenntniswert hielt.
Das als Beispiel, wie mittels der Naturwissenschaft gewonnene Ergebnisse gewissensfrei auf Menschen übertragen werden.
Weiteres Beispiel, ich nehm mal den alten Hasen Jan Philipp Reemtsma (der, der 1996 entführt wurde). Er war bis vor kurzem aktiver Professor für Literatur, und ich hab mal einen Vortrag von ihm gehört, wo er sagte, dass er sich als Vertreter der Literaturinterpretation wie ein Kapitän auf einem sinkenden Schiff fühle, das er aber nicht vorzeitig verlassen werde. Damit meinte er, dass Literatur inzwischen immer weiniger geisteswissenschaftlich, sondern naturwissenschaftlich gedeutet werde. Ich selber kann dies nur vereinzelt bestätigen, neige da auch nicht zur Resignation, wollte aber nur noch eine weitere Stimme einbringen.
Literatur wird dadurch instrumentalisiert, kann für jede Weltanschauung eingespannt werden, wenn man nicht mehr akzeptieren kann, dass Literatur Kunst ist und als solche autonom. Als Kunst nämlich sperrt sie sich gegen Vereinnahmungen, als rein naturwissenschaftlich untersuchbares Ereignis kann ihre vielschichtige Intention ignoriert werden, weil die Vielschichtigkeit abgestritten wird (vergleiche Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch).
Und als drittes Beispiel: es wächst von naturwissenschaftlich geprägten Menschen der Vorwurf, dass religiöse Menschen einen Defekt im Gehirn haben. Der Schritt zu dem Gedanken, dass man diesen "Defekt" ja operativ beseitigen könnte, wird nie ausgesprochen, aber er hängt in der Luft. Das ist neueste Denke, Sangus. Ausgehend von der Naturwissenschaft.
Wer dermaßen die Gesamtheit Mensch auf seine Gehirnfuntkionen reduziert, nicht mehr in der Lage ist, Religiösität in ganz anderen Zusammenhängen zu sehen, eben auch als Revolte gegen die Einteilung in gesund und krank, je nach Maßgabe des erwünschten Volksbestandes: sieht den Menschen als eine manipulierbare Masse. Es geht hier insgesamt um die Anthropologie, um die Frage; Was ist der Mensch?
Wir können uns da nur annähern, müssen immer wieder Einseitigkeit ergänzen.
Wenn aber die pseudonaturwissenschaftliche Ideologie überwiegt, dann wird die Einseitigkeit Programm. Dann ist der Mensch nur noch ratio, gesteuert vom Gehirn oder den Manipulatoren, hat keine Autonomie mehr (alles Täuschmanöver des Gehirns), und das Unterbewusste ist eh nur Produkt der anderen, kann man am besten gleich steuern.
Ich plappere hier nur nach, was von der Naturwissenschaft Besessene so täglich in die Foren schreiben. Das ist genauso irrational wie das Gegenteil, dass wir alle von Adam und Eva abstammen und die Menschheit daher erst seit 6000 Jahren existieren kann.
Ich selber fühle mich als Wissenschaftler durch und durch. Die Vernunft muss Vorurteile und Manipulation durchleuchten, wie eh und je. Wenn die Vernunft baden geht - auf beiden geschilderten Seiten -, geht der Globus baden. Aber das irrationale Konzept der Neuen Religiosität ist eine Gegenbewegung zu dem irrationalen Konzept der ideologischen Naturwissenschaft - ich denke, das lässt sich historisch leicht nachweisen.
Und Wissenschaft ist nicht identisch mit Naturwissenschaft. Das seit Jahrhunderten ausgeklammerte Unter- und Überbewusste im Menschen - und zwar seit der von mir so geliebten Aufklärung - schlägt zurück, wenn man es nicht akzeptiert. Es geht wirklich um unsere Anthropologie. Da ist was massiv fehlgelaufen in den letzten dreihundert Jahren, und verstärkt in den letzten fünfzig Jahren. Den Salat kriegen wir jetzt präsentiert, die Weltanschauungen werden immer perverser. Wenn der Rationalismus alles bekämpft, was nach Mystik, Traum, Meditation riecht, dann schlägt das in Form von unkontrollierbarem Irrationalismus zurück.
Hallo Thomas,
Ja, so ungefähr meine ich das. Wissenschaft kann nicht nur beschränkt werden auf die Natur, der Mensch als Ganzes kann nicht nur untersucht werden als Natur. Er beinhaltet auch das, was man seit altersher als Seele und Geist auffasst- auch wenn mir andere Worte dafür lieber wären. Aber sie als Bluff des Gehirns ansehen, als Illusionen, für die man sich zu schämen habe - das ist bereits Terror. Denn es ist nicht das Gehirn, das solches erzeugt, sondern unsere gesamte Kultur. Und es kann Utpie sein - was der Reduktionismus eben nicht erfasst. Immer wieder Ernst Bloch an dieser Stelle: der Mythos spricht nicht von der Vergangenheit, sondern von der Zukunft, die wir noch herzustellen haben.
schön, mal wieder mit Dir zu diskutieren. :icon_wink:
Ich hab offenbar Schwierigkeiten, beim Beschreiben meiner Sicht den Balanceakt zwischen Scylla und Charybdis einzuhalten - werd von beiden Seiten leicht missverstanden.
Meine "Erkenntnisse" stammen nicht aus Lektüre jüngster Zeit, sondern, wenn es um die jüngste Zeit gehen soll, aus Diskussionen mit entsprechenden Vertretern. Ansonsten beobachte ich das ganze Geschehen seit mehr als dreißig Jahren.
Was den Menschen als "manipulierbare Maschine" betrifft, so war das besonders heftig in meiner Referendarzeit, wo wir Referendare gelehrt bekamen, wie man die Schüler manipuliert. Der Behaviorismus war das Ideal, dieser zeigte auf - freu freu -, dass man Babys vom Daumenlutschen "befreien" konnte, indem man ihnen immer schmerzhaft auf den Daumen schlug, wenn sie daran lutschen wollten. Daraus schlossen die damaligen Schulpädagogen, dass man auch Schüler durch "Einüben" in Verhaltensformen in die gewünschte Richtung kriegte: Tadel-Lob-Prinzip. Uns wurde gesagt - und es wurde kontrolliert, ob wir das hinkriegten -, dass wir im Unterricht einen Schüler, der unsere Meinung vertrat, loben sollten, später darauf zurückkommen sollten ("Wie der Hans vorhin sehr richtig gesagt hat..."), einen, der unsere Meinung nicht vertreten hatte, eher ignorieren sollten, sodass am Ende einer Schulstunde das vorher vom Referendar aufgestellte Lernziel (das den Schülern natürlich unbekannt war, die Ausbilder aber auf Papier vor sich hatten und deren Erreichung sie überprüften) durchgesetzt war. Alle Schüler also am Ende "erkannten", dass Brecht ein böser Kommunist war oder was auch immer der Referendar für erkenntniswert hielt.
Das als Beispiel, wie mittels der Naturwissenschaft gewonnene Ergebnisse gewissensfrei auf Menschen übertragen werden.
Weiteres Beispiel, ich nehm mal den alten Hasen Jan Philipp Reemtsma (der, der 1996 entführt wurde). Er war bis vor kurzem aktiver Professor für Literatur, und ich hab mal einen Vortrag von ihm gehört, wo er sagte, dass er sich als Vertreter der Literaturinterpretation wie ein Kapitän auf einem sinkenden Schiff fühle, das er aber nicht vorzeitig verlassen werde. Damit meinte er, dass Literatur inzwischen immer weiniger geisteswissenschaftlich, sondern naturwissenschaftlich gedeutet werde. Ich selber kann dies nur vereinzelt bestätigen, neige da auch nicht zur Resignation, wollte aber nur noch eine weitere Stimme einbringen.
Literatur wird dadurch instrumentalisiert, kann für jede Weltanschauung eingespannt werden, wenn man nicht mehr akzeptieren kann, dass Literatur Kunst ist und als solche autonom. Als Kunst nämlich sperrt sie sich gegen Vereinnahmungen, als rein naturwissenschaftlich untersuchbares Ereignis kann ihre vielschichtige Intention ignoriert werden, weil die Vielschichtigkeit abgestritten wird (vergleiche Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch).
Und als drittes Beispiel: es wächst von naturwissenschaftlich geprägten Menschen der Vorwurf, dass religiöse Menschen einen Defekt im Gehirn haben. Der Schritt zu dem Gedanken, dass man diesen "Defekt" ja operativ beseitigen könnte, wird nie ausgesprochen, aber er hängt in der Luft. Das ist neueste Denke, Sangus. Ausgehend von der Naturwissenschaft.
Wer dermaßen die Gesamtheit Mensch auf seine Gehirnfuntkionen reduziert, nicht mehr in der Lage ist, Religiösität in ganz anderen Zusammenhängen zu sehen, eben auch als Revolte gegen die Einteilung in gesund und krank, je nach Maßgabe des erwünschten Volksbestandes: sieht den Menschen als eine manipulierbare Masse. Es geht hier insgesamt um die Anthropologie, um die Frage; Was ist der Mensch?
Wir können uns da nur annähern, müssen immer wieder Einseitigkeit ergänzen.
Wenn aber die pseudonaturwissenschaftliche Ideologie überwiegt, dann wird die Einseitigkeit Programm. Dann ist der Mensch nur noch ratio, gesteuert vom Gehirn oder den Manipulatoren, hat keine Autonomie mehr (alles Täuschmanöver des Gehirns), und das Unterbewusste ist eh nur Produkt der anderen, kann man am besten gleich steuern.
Ich plappere hier nur nach, was von der Naturwissenschaft Besessene so täglich in die Foren schreiben. Das ist genauso irrational wie das Gegenteil, dass wir alle von Adam und Eva abstammen und die Menschheit daher erst seit 6000 Jahren existieren kann.
Ich selber fühle mich als Wissenschaftler durch und durch. Die Vernunft muss Vorurteile und Manipulation durchleuchten, wie eh und je. Wenn die Vernunft baden geht - auf beiden geschilderten Seiten -, geht der Globus baden. Aber das irrationale Konzept der Neuen Religiosität ist eine Gegenbewegung zu dem irrationalen Konzept der ideologischen Naturwissenschaft - ich denke, das lässt sich historisch leicht nachweisen.
Und Wissenschaft ist nicht identisch mit Naturwissenschaft. Das seit Jahrhunderten ausgeklammerte Unter- und Überbewusste im Menschen - und zwar seit der von mir so geliebten Aufklärung - schlägt zurück, wenn man es nicht akzeptiert. Es geht wirklich um unsere Anthropologie. Da ist was massiv fehlgelaufen in den letzten dreihundert Jahren, und verstärkt in den letzten fünfzig Jahren. Den Salat kriegen wir jetzt präsentiert, die Weltanschauungen werden immer perverser. Wenn der Rationalismus alles bekämpft, was nach Mystik, Traum, Meditation riecht, dann schlägt das in Form von unkontrollierbarem Irrationalismus zurück.
Hallo Thomas,
t.logemann schrieb:Hallo Sangus,
Karla beschreibt hier nichts anderes als den vorherrschenden Materialismus in der Wissenschaft; die einsitige Sicht auf das Materielle. Da hat sie, glaube ich, durchaus Recht.
Ja, so ungefähr meine ich das. Wissenschaft kann nicht nur beschränkt werden auf die Natur, der Mensch als Ganzes kann nicht nur untersucht werden als Natur. Er beinhaltet auch das, was man seit altersher als Seele und Geist auffasst- auch wenn mir andere Worte dafür lieber wären. Aber sie als Bluff des Gehirns ansehen, als Illusionen, für die man sich zu schämen habe - das ist bereits Terror. Denn es ist nicht das Gehirn, das solches erzeugt, sondern unsere gesamte Kultur. Und es kann Utpie sein - was der Reduktionismus eben nicht erfasst. Immer wieder Ernst Bloch an dieser Stelle: der Mythos spricht nicht von der Vergangenheit, sondern von der Zukunft, die wir noch herzustellen haben.
