Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Umfrage "Tier im Christentum"
#5
Ich hab vor längerer Zeit, hier in diesem Forum, einen Beitrag zu diesem Thema verfasst. Dieser Beitrag ist als Verteidigung und Gegenbeitrag entstanden, ich möchte ihn daher nicht kürzen, da er sonst missverständlich würde. Dennoch denke ich, dass er die zentralen Elemente christlicher Seelenlehre enthält und auch sonst zum Thema Schöpfung und Mensch bezug nimmt. Was ihm fehlt ist ein Beitrag zur heutigen Schöpfungslehre, die sich gewiss weiterentfaltet hat. Dies werde ich versuchen nachzuliefern. Zu allererst möchte ich aber den Beitrag hier noch einmal in Erinnerung rufen:

______________________________________________

Selene schrieb:Im christlichen Mittelalter ging man davon aus, das Tiere keine Seele [...] besitzen.

Ich kann das einfach nicht mehr hören!
Woher kommt den diese These, die sich immer noch so hartnäckig hält? Denn es ist einfach unwahr zu sagen, dass man im christlichen Mittelalter, oder überhaupt sonst im europäischen und vorder-orientalischen Mittelalter, die Schöpfung oder die Natur degradierte oder herabsetzte .
Und noch unsinniger ist es, aus dieser falschen Annahme abzuleiten, dass das Christentum für die öklogische Krise der Neuzeit verantwortlich sei. Und es stimmt auch nicht, dass die moderne Naturwissenschaft an einer mittelalterlichen, christlich beeinflussten Sicht festgehalten hat, sondern sich sogar direkt von der christlich-scholastischen Methode abgegrenzt hat im cartesisch-kantischen Wissenschafts- und Methodenverständnis.

Denn in jener mittelalterlichen Zeit, die besonders durch die Rezeption der aristotelischen Philosophie geprägt war, argumentierte man nach der klassischen Sellenlehre.

1. Die Seele ist Prinzip des Lebendigen. Sie bewegt alles Lebende.
(Bewegung nicht nur örtlich, sondern im Sinne der aristotelischen Philosophie als Werden und Vergehen, qualitative und quantitative Bewegung und die örtliche.)
2. Alles Lebende ist beseelt.
3. Die Seele wird in drei Teile abstrahiert:
a) epithymetikon - Triebseele (Pflanze,Tier und Mensch)
b) thymoeides - Affektseele (Tier und Mensch)
c) logistikon - Vernunftseele (Mensch)

Während erste alle, wir würden heute sagen vegetativen Triebe bewegt, vom Nahrungs- bis zum Fortpflanzungstrieb "zuständig" ist, ist zweitere für alle unbewussten und nicht rational, sondern affektive Triebe der Lebewesen verantwortlich.
Leztere die Vernunftseele ist allein Gabe des Menschen, die ihm erlaubt seine Handlungen zu reflektieren und zu rationalisieren und zu kontrollieren. Die Vernunftseele ist Prinzip unseres Geistes und Träger aller rationalen Akte.
Dennoch ist die Seele als Einheit zu Denken, auch eine Pflanze die nur die Triebseele hat ist ganz beseelt, wenn gleich nicht vollkommen beseelt.

Wie man sieht ist es also blanker Unsinn zu behaupten, dass die christlich-mittelalterliche Philosophie den natürlichen, belebten Dingen eine Seele abgesprochen hat. Ich empfehle hierzu de summa de creaturis von Albertus Magnus.

Die christlich-scholastische Philosphie, ebenso wie die Platonische und Stoische haben den Menschen zwar als "Krone" der/s Schöpfung/Natur/Kosmos gesehen, aber die Schöpfung/Natur/Kosmos im Sinne einer unveränderlichen, ewigen Ordnung gedeutet.
Die christliche Philosophie ging sogar soweit diese naturphilosophischen und metaphysischen Konzepte derart weiterzuführen, dass man die Natur als zweite Schöpferin bezeichnete, die durch die causae secundae, die rationes seminalis (aus der Neoplatonik entliehen) weiterwirke.

Erst Franics Bacon macht in seinen Schriften novum organon und New Atlantis Schluss mit der aristotelisch-platonischen geprägten Scholastik und fordert eine induktive, experimentelle Naturwissenschaft. Genährt vom mathematisch-cartesischen Wissenschaftsbegriff und der kantischen Kategorienlehre, der reinen Vernunft, hatte man nun das entsprechende Konzept und die Methode die Natur als Maschine, als vermessbares, mathematisierbares Instrument zu sehen und es somit vollkommen und einzig in den Dienst menschlicher Wohlfahrt zu stellen.

Es ist also eine mehr oder weniger glorreiche Errungenschaft der Neuzeit und nicht des christlichen Mittelalters, dass die Natur, ihre Gesetze und Ressourcen in ein dienstliches Nutzenprinzip gestellt werden. Vorallem war es die Neuzeit und die kantischen Philosophie die den natürlichen Lebewesen eine Beseeltheit absprachen, diese nur dem Menschen zusprachen und somit die scholastischen Kritiker endgültig zum Schweigen brachte.


Ich verweise noch weiterhin auf eine Aussage von mir, die ich in vorangegangenen Diskussionen dargellegt habe:

1. Eine Minderachtung der Schöpfung hat es nie in der katholischen Kirche gegeben. Warum auch, so legt doch der Schöpfungsbericht der Genesis ganz andere Maßstäbe an, nämlich, dass sie von Gott nach seinem Ratschluss "gut" geschaffen ist.

"Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut. [...] So wurden Himmel und Erde vollendet und ihr ganzes Gefüge." (Gen 1, 31 - 2, 1)

2. hat sich die spätantike, besonders die durch Augustinus geprägte allegorisch-metaphorische Auslegung der Schöpfung als Offenbarungsbuch Gottes, und damit einhergehend das frühmittelalterliche Denken über die Natur stets auf Gott, als Ursprung der selbigen bezogen. Die Natur selbst war Zeichen für das Wirken Gottes, man musste sie erforschen um die biblisch angekündigten Zeichen der Apokalypse zu erkennen, damit man jene nicht mit "normalen" Phänomenen verwechselt.
Das bedeutet, dass die Natur sehr wohl nicht als frevelhaft verworfen wurde, sondern sich in ihr die Offenbarung Gottes zeige, wenngleich man auf das "Jenseitige", "den neuen Himmel und die neue Erde" (Apk 21,1) hingerichtet war.

Im Hochmittelalter ist es dann vor allem die Schule von Chatres, die sich für eine Trennung der Naturphilosophie (hieraus wird sich dann die Naturwissenschaft emanzipieren) und Theologie einsetzt. Sie plädiert für eine Einordnung der Natur aus sich selbst, d.h. dass sie nach den causata secundae und nicht nach der causa prima (Gott) erklärt wird und somit der Blick mehr auf das Einzelne, seine Sache und seine "Natur" gelegt wird, als auf seine Hinordung in einer Wirkkette, wie sie eine rein metaphysische Ordnung der Natur erklären will.
Auch bei diesem theologischen Ansatz, der sich in der Naturphilosophie und seiner Grundlage, der aristotelischen und stoischen Philosophie, bis ins 19. Jh. gehalten hat, gibt es weder eine Verteufelung der Natur, noch ein Verunehrung, sondern eine Einordnung der Dinge in ein metaphysisch-physikalisches Konzept, dass erklärt warum die Dinge sind, so wie sie sind und nicht anders sind als sie sind.

3. Hat die Katholische Kirche seit dem Aufkommen urbaner Sozialgefüge und ihrer Auswirkung auf die Natur sich stets als Advokat der Natur gesehen, wenngleich nicht in einer aktivistischen, teilweise gesetzeswirdigen Art wie Greenpeace, sondern in einem Verweis auf die hohe Ordnung der Schöpfung und dem Auftag des Menschen zur Bewahrung.

" [... man muss] der 'Natur eines jeden Wesens und seiner Wechselbeziehung in einem geordneten System wie dem Kosmos Rechnung tragen'.
[... Daher] darf [der Mensch] nicht 'willkürlich über die Erde verfügen (...) indem er sie ohne Vorbehalte seinem Willen unterwirft, als hätte sie nicht eine eigene Gestalt und eine ihr vorher von Gott verliehene Bestimmung['.]"
(Kompendium der Soziallehre der Kirche, libreria editrice vaticana 2004, S. 330 u 331, "Die Umwelt bewahren" Nr. 459 u. 460, erschienen bei Herder, Freiburg in der 2. Auflage 2006)


Zu finden ist der Beitrag hier.
Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est et speculum.
-
Jedes Geschöpf der Welt ist sozusagen ein Buch und Bild und ein Spiegel für uns.
(Alanus ab Insulis, Theologe, Philosoph und Dichter)
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Umfrage "Tier im Christentum" - von Levia - 06-11-2008, 20:13
RE: Umfrage "Tier im Christentum" - von Petrus - 06-11-2008, 20:25
RE: Umfrage "Tier im Christentum" - von Ekkard - 07-11-2008, 01:05
RE: Umfrage "Tier im Christentum" - von Alanus ab Insulis - 07-11-2008, 01:40
RE: Umfrage "Tier im Christentum" - von wojciech - 07-11-2008, 06:22
RE: Umfrage "Tier im Christentum" - von indymaya - 09-11-2008, 15:39
RE: Umfrage "Tier im Christentum" - von wojciech - 09-11-2008, 22:11
RE: Umfrage "Tier im Christentum" - von indymaya - 10-11-2008, 12:38
RE: Umfrage "Tier im Christentum" - von wojciech - 13-11-2008, 10:55
RE: Umfrage "Tier im Christentum" - von indymaya - 16-11-2008, 13:04

Möglicherweise verwandte Themen…
Thema Verfasser Antworten Ansichten Letzter Beitrag
  Christentum und Wiedergeburt Farius 306 21813 09-09-2025, 21:34
Letzter Beitrag: Ulan
  Gütergemeinschaft im Christentum heute ? Sinai 0 177 08-08-2025, 00:35
Letzter Beitrag: Sinai
  Christentum versus Karrierismus Sinai 35 3441 26-05-2025, 19:57
Letzter Beitrag: Ulan

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste