22-11-2008, 14:20
(22-11-2008, 12:08)Petrus schrieb:Karla schrieb:Da die Erzählungen um Jesus herum erst einige bis viele Jahrzehnte nach seinem Tod notiert wurden, ist es schwer zu trennen, was vermutlich von Jesus selber stammt und was ihm die junge Gemeinde in den Mund gelegt hat.
Bei diesem Teil des Essays von Lutze und Deinen Anmerkungen wurde ich an eine Buch-Werbung erinnert [...]: Es ist von GERD LÜDEMANN und heisst "Der erfundene Jesus. Unechte Jesusworte im Neuen Testament". Die Verlagswerbung verheisst, dass ca. 80 Aussagen (und damit fast alle, die Jesus im NT gemacht hat), nicht authentisch sein sollen. Geht Lutzes und Deine Kritik in eine ähnliche Richtung?
Das weiß ich nicht. Lüdemann selber habe ich bisher im Zusammenhang nicht gelesen, und ich weiß nicht, welches Kriterium der Unterscheidung er benutzt. Aber Lüdemann ist ein bekannter (und mutiger, mitunter sehr frecher) Mann, und es lohnt sich sicherlich, ihn zu lesen.
Mich persönlich interessiert die Gruppe der niederländischen "Radikalkritik"; Hermann Detering - amtierender Pfarrer in Berlin, jedenfalls noch, als ich vor ein paar Monaten das überprüft habe - ist da höchst aktiv. Ein frommer Christ hat ihm auf seiner Website in das Gästebuch geschrieben, es sei besser, er würde im tiefsten Wasser ersäuft werden, als dass er noch weiter seine Sachen schreiben und dadurch sein Seelenheil verlieren dürfte.
Diese Website ist übrigens mehr als lohnenswert. Da kann man jede Menge pdf-Dokumente kostenlos herunterladen; die Arbeiten der Niederländer aus den Zwanziger Jahren werden sukzessive ins Deutsche übersetzt und der Allgemeinheit kostenlos zur Verrügung gestellt. Auch Arbeiten von Hermann Detering sind darunter:
http://www.radikalkritik.de/index.htm
Zitat:Zitat:Lutze geht – in meinen Augen zurecht – davon aus, dass die junge Gemeinde mit Sicherheit die Lehre Jesu an ihre realen Bedürfnisse – und die waren:
Verteidigung der Lehre vor anderen Lehren – angepasst haben. Das aber, was dazu nicht passte – dem Denken der jungen Gemeinde eher widersprach – ist darum vermutlich historisch. Manchmal sei erkennbar, wie eine Zusatzbemerkung das ursprüngliche Jesus-Wort abschwächen wollte.
Kann man Deiner Meinung nach daraus schliessen, dass alles, was "passt", unhistorisch ist, oder ist dieser Umkehrschluss nicht erlaubt.
[...]
Bezogen auf das von Dir genannte Beispiel Lukas 24,13ff würde das also bedeuten, dass diese Zitatstelle vermutlich historisch ist, weil sie diesen von Dir/Lutze genannten Widerspruch zulässt? Habe ich das richtig verstanden?
Ich denke, dass da noch ein Kriterium enthalten ist, das ich bisher nicht ausdrücklich gesagt habe, Lutze aber auch nicht:
Wenn widersprüchliche Aussagen im Neuen Testament vorhanden sind, dann sortiert Lutze diese so wie von mir beschrieben. Die ersten Jünger seien ganz selbstverständlich dem jüdischen Denken verhaftet gewesen, es sei da keine Rede davon gewesen, eine neue Religion zu schaffen. Diese ersten Jünger hielten Jesus für den versprochenen Messias, und zwar so, wie es im jüdischen Glauben aufgefasst wurde.
Als Jesus hingerichtet wurde, war das geplatzt. Die Enttäuschung der Jünger darüber sieht Lutze als authentisch an.
Der spätere Überbau dann - Jesus sei gar nicht richtig gestorben, jedenfalls nicht endgültig, und er sei gar nicht nur für die Juden gekommen, sondern auch für die Heiden, und er sei ein Messias für die ganze Erde und nicht nur für die Juden - ist dann eben als ein solcher zu erkennen. Erst mittels dieses Überbaus wurde Jesus zum Welterlöser, und man konnte die ganze Welt verdammen, die nicht diesen Welterlöser "annahm".
Alle Stellen also, die beinhalten, dass Jesus schon zu Lebzeiten darum wusste, dass er wiederauferstehen wird, seien keine authentischen Jesus-Aussagen.
Zitat:Zitat:Jesus übernimmt nicht den Rachegott Jahwe, sondern lehrt
bedingungslose Liebe.
So ein Zitat: Mk. 16,16: "Wer da glaubt und getauft wird, der wird
selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden"
sei eine Konstruktion der Urgemeinde. Damit wurde die eigene
Position aufgewertet.
Aber der historische Jesus habe keine Bedingungen des Glaubens gelehrt.
Dieses Beispiel verstehe ich nicht. Es kann doch sein, dass Jesus da durchaus ambivalent war.
Wenn Du von der Ambivalenz - oder Schizophrenie - von Jesus ausgehst, ist natürlich keinerlei Sortierung möglich. Dann hat Jesus heute die allumfassende Liebe als Heilmittel verkündet, morgen mit dem Feuer gedroht, wer ihn, Jesus, nicht annimmt.
Lutze geht davon aus, dass Jesus der Opfertheologie des Alten Testamentes etwas radikal entgegengesetzt hat: die Aufhebung dieses Opferdenkens. Es muss kein Blut mehr fließen, damit Menschen "entsündigt" werden.
Außerdem weist Lutze nach, dass Jesus an manchen Stellen keinerlei glaubensmäßige Beschränkung gemacht hat (es gibt solche Stellen, wo er Andersgläubigen Recht gibt).
Solche Stellen widersprechen anderen Stellen, wo zum Beispiel ein so magisches Mittel wie die Taufe über das Heil oder Unheil entscheidet (siehe oben Markus 16, 16).
Riten als Bedingung hält Lutze für ein typisches Merkmal einer Gemeinde, die sich von anderen Gemeinden oder Lehren abgrenzen will. Da Jesus eine solche nicht gründen wollte, kann die Aussage nicht authentisch sein.
Zitat:Zitat:Wer den Gott des Jesus und Jesus selbst wieder zum Richter macht, der ist nach dem historischen Jesus weit weg vom Reich Gottes oder dem Friedensreich.
Dieses Zitat gefällt mir sehr, weil ich da etwas von dem spüre, was Jesu Lehre sein KÖNNTE...
Laut Lutze hat die junge Gemeinde diesen Richtergott wieder aktiviert, um sich gegen andere Lehren behaupten zu können. Die Ansicht des historischen Jesus hingegen habe sich dagegen davon distanziert - denn was sonst hätte denn überhaupt bewirken können, dass man ihm hinterlief? Wenn er gar nichts Neues gehabt hätte?
Über die Naturwissenschaft als - wertfreie - Grundlage für eine Ethik dann ein andermal von meiner Seite. Aber ich hoffe ja auch, dass hier noch mehr das Wort ergreifen.