02-09-2009, 15:34
(02-09-2009, 15:11)petronius schrieb: wie du also selber schreibst, gibt es kein etwa einem bundesgesetzbuch gleichkommendes für alle muslime verbindliches gesetzeswerk namens "scharia", sondern islamisches recht ist auslegungssache. für welche sich immer wieder verschiedene rechtsschulen herausgebildet haben, und wohl auch in zukunft noch werden
es ist also unsinnig, irgendwelche konkreten vorschriften (etwa die verpflichtung zum angriffskrieg gegen nichtmuslime) zu formulieren, an die sich muslime zu halten hätten, wollten sie nicht "der scharia" widersprechen
die "scharia", also der "weg" (zur errettung) kann und muß also unter konkreten umständen immer wieder neu hinterfragt und sozusagen "neu erfunden" (zumindest angepaßt) werden. auch muslimen leuchtet ein, daß es für das leben im 21. jhdt, unter völlig anderen bedingungen als zu zeiten des propheten, in der diaspora einer pluralistischen säkulargesellschaft, nicht funktioniert, sich stur an irgendwelche regeln aus dem mittelalter zu halten
Es gibt zwar keineswegs ein völlig einheitliche islamisches Recht, aber sobald man fragt, wo im einzelnen die Unterschiede der vier traditionellen Rechsschulen bzw. und neuerer Ansätze auf dieser Grundlage, vor allem der Salafiyya, liegen, bekommt man ein rießiges Sammelsurium an umstrittenen kleinen Einzelheiten, in den Grundzügen sind sich die verschiedenen Ansätze aber doch fast identisch.
Zudem geht die ganze Entwicklung in Richtung Schafi'iyya, Hanbaliyya und Salafiyya.
Die jeweils neueren Rechtschulen gelten als strengerals die älteren . Die liberalste ist also die Hanafiyya, dann kommt die Malikiyya, dann die Schafi'iyya, zuletzt Hanbaliyya und Salafiyya.
Fragt man in einem muslimischen Land einfach mal die fromme Leute, was das islamische Recht zu einem bestimmten Thema sagt, bekommt man fast immer genau die klassischen Positionen, die von der ganz großen Mehrheit vertreten werden, oft mit einer apodiktischen Ausdrucksweise, so nach dem Motto, "der Islam verbietet..." oder "der Islam sagt..." oder so ähnlich.
Auch unter frommen Muslimen im Westen sind die Meinungverschiedenheiten eher Dinge im Detail, ganz wie in der islamischen Welt, auch wenn die Meinungsvielfalt etwas größer sein mag.
Der allgemeine Trend unter Gläubigen geht aber überall ganz klar in Richtung zu einer strengen Auslegung und nicht in Richtung einer Liberalisierung.
Die Regierung in den meisten islamischen Länden haben lange in Richtung Liberalisierung gearbeitet, aber nirgends den Trend, der so seit den 1970er Jahren läuft, umkehren können. Heute beugt man sich immer mehr den Vorstellungen der Frommen, nicht zuletzt um die eigene Macht daduch abzusichern.

