(13-09-2009, 21:21)alwin schrieb: Ist bei diesem Wissen nur eine religiöse Erkenntnis gemeint oder auch nicht religiöses Wissen? Letzteres würde allerdings das statische "Denken" erklären.
In erster Linie kann nach dem koranischen Menschenbild der Mensch durch selbständiges Nachdenken nicht erkennen, was er tun soll und was nicht.
Was anderes Wissen angeht, ist es etwas komplizierter: nach koranischer Vorstellung ist die Welt nicht wie ein Uhrwerk, das ein Schöpfer einst geschaffen hat und das dann von alleine (nach Naturgesetzen) selbständig weiterlaufen kann.
Im biblischen Gottesbild hat Gott am siebten Tag geruht, das kann er, weil das Universum auch ohne ihn weiterläuft.
Im Koran geht alles Existierende in jedem Augenblick vom Willen Gottes aus, von der göttlichen Fügung (al-amr). Daher gibt es auch keine Naturgesetze, sondern höchstens göttliche Gewohnheiten. Gott muss nicht in das naturgesetzliche Walten eingreifen, sondern dieses Walten ist Ausdruck des absoluten und UNEINGESCHRÄNKTEN Willen Gottes.
Naturgesetze erforschen zu wollen hat dadurch etwas schon fast gotteslästerliches. Man würde nämlich versuchen Gott sozusagen in Gesetze zu pressen. Der Mensch wurde versuchen seine Stellung als Sklave ('abd) Gottes, als Unterworfener (muslim) zu verlassen. Das wäre nichts als Hybris, nichts anderes als Anmaßung.
Das Muslimsein besteht ja gerade in der Unterwerfung unter den übermächtigen, eigentlich gar nicht fassbaren Gott, der auch keinerlei menschliche Züge hat, im Gegensatz zum dreieinigen Gott der Christen, der eine sozusagen väterliche Person (Gott Vater) und eine menschliche, geradezu brüderliche Person (Gott Sohn; Bruder Jesus) umfasst.
Der muslimische Gott ist sehr abstrakt, oftmals wird er als nichts weiter als die Wirkmacht hinter allem Seienden verstanden. Würde man versuchen, das in moderne Sprache zu fassen, wäre Gott nichts weiter als die Naturgesetze, wobei natürlich das Konzept moderner Naturgesetze in der orthodox-islamischen Gottesauffassung nicht vorkommt.
Das ganze macht die Gottesvorstellung im Islam viel robuster. Gott ist nicht das "allmächtige Gespenst" auf der Wolke, er ist die verborgene Wirkmacht hinter allem Offenkundigen.
So kann dann jemand wie Ibn Arabi seine pantheistische Theologie entfalten, die bis heute eine Wirkung nicht nur im Islam, sonder über den Sufismus vermittelt, auch darüber hinaus, ausübt.
Im Islam ruht Gott also nie, er hat sich nach der Schöpfung auf seinem Thron zurechtgesetzt (nach orthodox-islamischer Auffassung ist das nur bildlich zu verstehen) um von dort aus nach freiem Willen in jeder Sekunde das Universum bis in jede kleinste Kleinigkeit zu lenken.
Dem Menschen bleibt nur ein Platz als Sklave, der nicht anderes tun kann, als den Willen Gottes in Form der Scharia zu erkennen. Letztendlich steht der Mensch vor einen unbegreiflichen Schauspiel der Naturkräfte (was gleichgesetzt wird mit der Natur Gottes), das durchschauen zu wollen ein Anmaßung wäre.
Das der Zweifel eine Quelle von Wissen sein könnte (Naturwissenschaft wird von Muslimen oft als systematisches Zweifeln wahrgenommen, was ja nicht ganz unzutreffend ist), ist für die meisten Muslime bis heute ein Skandalon.
Man glaubt deshalb unter Muslimen auch weit verbreitet, selbst naturwissenschaftliches Wissen gehe letztendlich auf den Koran und damit auf göttliche Offenbarung zurück.
Die Europäer hätten ihr modernes Wissen von den Muslimen gestohlen, und zwar auf dem Weg über das mittelalterliche Spanien. Wenn Muslime heute westliches Wissen übernehmen, ist das nichts weiter als die gerechte Rückname von Wissen, das eigentlich den Muslimen gehört. Alles Wissen kommt ja von Allah und die Muslime sind ja als einzige im Besitz der unverfälschten Wahrheit, ja der Islam selbst ist ja die Wahrheit schlechthin.