21-09-2009, 19:18
(20-09-2009, 17:45)Bion schrieb:konform schrieb:Zunächst: Selbstverständlich ist die Grundlage der neutestamentlichen Gemeinde das Alte Testament. Daran hat Paulus ja Timotheus erinnert (2. Tim. 3,15).
Zunächst sei einmal dahingestellt, wer da "erinnert" hat. Paulus war’s jedenfalls nicht, denn der war schon lange tot als die Pastoralbriefe (von wem auch immer) geschrieben wurden. Die meisten Theologen datieren 2 Tim um 100 nChr, selbst der von Dir wegen seiner Frühdatierungen so geschätzte K. Berger ordnet das Entstehen des Briefes mit 75 nChr ein. Also war Paulus auch nach Bergers Datierung schon ca. 8 (oder 11?) Jahre tot als 2 Tim entstanden ist.
Wenn man sich den Inhalt der beiden Timotheusbriefe vergegenwärtigt, fragt man sich, wie Theologen zu dem Urteil gelangen, dass die Briefe nicht vom Apostel Paulus geschrieben, zumindest diktiert wurden. All die Stellen, die auf Paulus als den Verfasser der Briefe verweisen, z.B. 1. Tim. 1,2 (“an Timotheus, meinem rechten Sohn im Glauben”) oder 2. Tim. 1, 5 (“Denn ich erinnere mich an den ungefärbten Glauben in dir, der zuvor schon gewohnt hat in deiner Großmutter Lois und in deiner Mutter Eunike; ich bin aber gewiss, auch in dir”) und viele andere mehr als absichtliche Täuschung zu werten, ist wirklichkeitsfremd und zeugt gleichzeitig von einer kaum zu überbietenden Verantwortungslosigkeit. In der Tat wären die Timotheusbriefe der Gipfel der Verlogenheit und der Irreführung, hätten sie ihren Ursprung - wie von der Theologie unterstellt - nicht bei Paulus. Die Propagandareden eines Josef Goebbels wären im Vergleich dazu ein Hort der Wahrheit.
Zwar wusste der Kirchenvater Tertullian (de baptismo 17) von einem Versuch, unter Paulus' Namen Schreiben in den Umlauf zu bringen. Doch wurde der Täuschungsversuch schnell erkannt und der Betrüger seines Amtes enthoben.
Obwohl Klaus Berger die Abfassung bei weitem nicht so spät ansetzt wie die Mehrheit der Theologen - er nennt, wie Sie richtig schreiben, das Jahr 75 - , sind die vorgebrachten Gründe gegen eine frühere Datierung nicht überzeugend:
Aus dem Vorwort Bergers zum 1. Tim.: “...Der Brief spiegelt die Auseinandersetzungen in der autoritätslosen Zeit nach dem Tod des Pauls.
...
Datierung: Der Brief setzt voraus, dass sich die schon in Phil. 1,1 bezeugten “Ämter” von Episkopen und Ältesten etwas weiterentwickelt haben. Denn von Episkopos ist nurmehr im Singular die Rede. Man kann daher die Zeit um 75 n.Chr. annehmen.
. . .
Es gibt judaisierende christliche Lehrer, die nach 4,3 sogar die Ehe verbieten wollen und aus Reinheitsrücksichten den Genuss bestimmter Speisen (wohl: z.B. Schweinefleisch) verbieten wollen.”*)
Jedoch sprechen aus der Sicht John A.T. Robinsons weder Wortwahl, noch Organisation der Kirche, noch die in den Briefen vorausgesetzte Theologie gegen eine noch frühere Abfassung zwischen den Jahren 50 und 60. Es ist für Robinson auch unvorstellbar, dass die Gemeinde einen derart offensichtlichen Betrug hingenommen hätte **)
Kritik an den Schriften der Bibel scheint sich seit Wellhausen zu einer sportlichen Disziplin entwickelt zu haben. Die Verfasser der bibelkritischen Werke begriffen schnell, dass sie damit auf bereitwillige Aufnahme stießen. Denn um die Forderungen der Bibel an Gewissen und Moral auf ein “erträgliches” Maß zu reduzieren, erwies sich die historisch-kritische Methode als äußerst effizient. Unterstützung erfuhren die Theologen aus anderen Wissenschaftsdisziplinen wie Paläobiologie, historische Geologie, Geschichtswissenschaft und sogar von der Physik.
*) DAS NEUE TESTAMENT UND FRÜHCHRISTLICHE SCHRIFTEN. Übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord. Sechste revidierte Auflage. Frankfurt am Main 2003, S. 744.
**) Robinson, John A.T.: Wann enstand das Neue Testament? Wuppertal 1986, S. 76-78.